Vereinfachtes Weltbild - Die Rückkehr des Schwarz-Weiß-Prinzips

Vereinfachtes Denken ist wieder in Mode. Und volle Absicht. Ihren Höhepunkt erreicht die schwarz-weiße Weltsicht beim Thema Umweltschutz. Ein bekannter Philosoph ist die Wurzel dieses Denkens. Es ist die Sehnsucht nach Halt und Orientierung in postideologischen Gesellschaften

Kritisches Denken ist wichtig für eine Gesellschaft / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

So erreichen Sie Alexander Grau:

Anzeige

Schwarz-Weiß-Denken ist wieder angesagt. Das ist zunächst nicht weiter verwunderlich, da der Mensch an sich nun einmal nicht zu übertrieben nuanciertem Denken neigt. Doch das neue Schwarz-Weiß-Denken, das sich seit Jahren breitmacht, ist nicht Produkt intellektueller Faulheit. Im Gegenteil: Das neue Schwarz-Weiß-Denken ist Programm und erfolgt ganz bewusst und mit Absicht. Das ist für eine Gesellschaft, die sich viel aufh ihr Differenzierungsvermögen einbildet, ein erstaunliches Phänomen.

Der neue Stolz auf das vereinfachte Weltbild lässt sich an vielen Themen aufzeigen: angefangen bei der Migrationskrise und der Einwanderungspolitik, bis zum Islam oder Donald Trump. Bei vielen Zeitgenossen hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass sich zu den genannten Schlagworten eine ausgewogene und abwägende Sicht der Dinge von selbst verbietet. Mehr noch: Dass eine differenzierte Betrachtung Ausdruck einer Charakterschwäche sein muss.

Der Höhepunkt beim Umweltschutz

Ihren absoluten Höhepunkt hat die neue Lust am Schwarz-Weiß-Denken jedoch in Sachen Umweltschutz erreicht. Angestoßen durch Greta und die Fridays-For-Future-Bewegung, mit kräftiger Förderung durch Grüne und NGOs und flankiert von einschlägigen Instituten und einem Großteil der Medien, hat sich hinsichtlich Klima, Klimawandel, Klimawandelfolgenabschätzung und möglichen Gegenmaßnahmen ein Meinungsbild breitgemacht, das unterschiedliche Perspektiven, verschiedene Ansätze oder eine abwägende Beurteilung nicht mehr zulassen möchte. Vom offenen Widerspruch ganz zu schweigen. Mit neoautoritärem Habitus fordert man quasireligiöse Bekenntnisse und rigide Maßnahmen. Einfalt wird zur Tugend erklärt und Fundamentalismus zur Bürgerpflicht.

Auf der Suche nach den Wurzeln dieses Denkens sollte man sich eines Buches erinnern, das – wie es der Zufall so will – genau vor vierzig Jahren erschienen ist: „Das Prinzip Verantwortung“ des Philosophen und Religionswissenschaftlers Hans Jonas. Auch und vor allem für diese Schrift erhielt Jonas 1987 den Friedenpreis des deutschen Buchhandels.

Du bist nichts, die Menschheit ist alles

Bezeichnender Weise beginnt Jonas seine Schrift mit einer Kritik traditioneller Ethiken. Diese seien zu sehr auf das unmittelbare Umfeld des jeweiligen Menschen bezogen. Fremde Kulturen, zukünftige Generationen und die globale Biosphäre würden ausgeklammert. Das sei im Zeitalter moderner, global wirkender Technologien nicht mehr zeitgemäß. In einer technisch und wirtschaftlich globalisierten Welt, müssten die traditionellen Ethiken zu einer Fernstenliebe erweitert werden. Da zudem jeder Mensch für die Folgen seines Handelns verantwortlich sei, trage somit jeder Einzelne die Verantwortung für das Weiterbestehen und Wohlergehen der gesamten Menschheit. Diese Verantwortung müsse von einer Art Ethos der Furcht getragen werden, da unter den Bedingungen moderner komplexer Technologien eine seriöse Folgenabschätzung nicht möglich sei. Oder weniger kompliziert ausgedrückt: Besser mal vom Schlimmsten ausgehen.

Kurz: Jonas plädiert für eine radikale Ethik angeblicher Maximalverantwortung des Einzelnen auch für fernste Dinge, Ereignisse und Menschen, der er im Grunde nur durch eine radikale Selbstbeschränkung gerecht werden kann: Du bist nichts, die Menschheit ist alles.

Jonas Denken ist von radikaler Eindimensionalität. Ein ethischer Fundamentalismus, wie man ihn sonst nur bei religiösen Fanatikern findet. Kompromisse gibt es da nicht. Weil Du verantwortlich sein kannst, bist Du verantwortlich – und zwar für alles. Und da es um das Überleben der Menschheit geht, ist der Einzelne verpflichtet, sein Handeln ganz diesem Erhalt der Menschheit zu widmen. Schöner ist Tugendterror nie hergeleitet worden.

Keine Kompromisse

Jonas begann seine philosophische Karriere mit grundlegenden Studien zur Gnosis, einer spätantiken Lehre, die von einem radikalen Gegensatz zwischen Gut und Böse in der Welt ausgeht. Die Welt ist eingeteilt in Licht und Schatten, Hell und Dunkel, in Schwarz und Weiß. Zwischen diesen beiden kosmischen Prinzipien gibt es nichts. Entweder man steht auf der Seite des Bösen oder auf der Seite des Guten. Und wenn man auf der Seite des Guten steht, gibt es keine Kompromisse.

Jonas Denken hat die Ideologie der Umweltschutzbewegung und der Grünen (die ein Jahr nach Erscheinen von Jonas Verantwortungs-Schrift gegründet wurden) entscheidend geprägt. Vor allem aber hat er die Sehnsucht nach Halt und Orientierung postideologischer Gesellschaften gespürt und das passende Religionsderivat dazu formuliert. Deshalb aber auch lässt sich genau benennen, worum es sich bei der neuen Lust am Schwarz-Weiß-Denken handelt: um ein fundamentalistisches Sinnangebot.
 

Anzeige