Wahlwerbespot der AfD - Normales Deutschland?

Nicht nur die Grünen werben mit Stockfotos. Auch die AfD bewirbt mit vorproduzierten Bildern ihr Programm für ein „normales“ Deutschland – mit Szenen, die zum Großteil im Ausland spielen. Was sagt das über die Partei aus?

Welche Gesellschaft soll hier abgebildet werden? / Screenshot Youtube/AfD TV
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Autoreninfo

Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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„Die Welt um uns herum, die ist irgendwie so verrückt geworden“, klagt der Off-Erzähler im AfD-Werbespot „Deutschland. Aber normal“. Zum Ton die Bilder: eine Antifa-Flagge, Randale auf dem G-20-Gipfel in Hamburg, eine junge Klimaaktivistin, die ein Plakat hochhält: „Klima statt Kinder!“

So verrückt müsse es nicht sein, sagt der Erzähler. Das Problem sei, dass die Kategorie „normal“ irgendwann als spießig in Verruf geraten sei. Zu Unrecht, wie die nostalgisch-verwackelten Bilder glücklicher Familien aus längst vergangenen Zeiten suggerieren sollen. Die Kernbotschaft: Komm auf unsere Seite, wir sind die braven, regional verwurzelten und mit gesundem Menschenverstand ausgestatten Bürger. Dort drüben wüten die gewalttätigen und irrsinnigen Globalisten.

Es handelt sich um einen bei der AfD beliebten rhetorischen Trick, den der Philosoph Daniel-Pascal Zorn als „dogmatische Setzung“ bezeichnet. Was bedeutet, dass „jeder Versuch der Rechtfertigung der eigenen Position in der bloßen und unbegründeten Behauptung verschwunden [ist], was man sage, sei schon von vorneherein ‚verstandesgemäß‘, ‚vernünftig‘, ‚ideologiefrei‘ und auf ‚Fakten beruhend‘. Die AfD richtet sich in solchen Aussagen selbst in einer dogmatischen Setzung ein – sie setzt ihre eigene Sichtweise für jede Diskussion absolut und akzeptiert entsprechend keine Kritik, die sie nicht durch diese Setzung beherrschen kann.“ Implizit ist damit alles, was von der normativen Setzung der AfD abweicht, von vorneherein unvernünftig oder gar pathologisch.

Deutsche Familie gespielt von Ausländern

Die klassische Familie bildet den „Normalitätskern“ des Kampagnenfilms: drei Generationen ausgelassen am Esstisch. Ein Großvater, der mit seiner Enkelin kuschelt. Ein kleiner Junge, der im Pyjama die Treppe hinunterkommt. Allerdings stammen die Bilder, die ein „normales“, glückliches deutsches Familienleben illustrieren sollen, zum Großteil nicht aus Deutschland. Nach Spiegel-Recherchen wurden etliche der Szenen in England, Russland und anderen Ländern aufgenommen. Schon 2018 schrieb das Medienkritik-Portal Übermedien, dass die AfD Stockmaterial „von Fotografen aus Andorra oder Serbien, mit Models aus Brasilien oder der Slowakei“ verwende. Das beschworene Zurück zu einer vermeintlich ursprünglicheren deutschen „Normalität“ steht damit in groteskem Widerspruch zur globalen Massenästhetik des Stockmaterials. Sicher, sie ist auch dem Genre Wahlwerbung geschuldet, doch sie passt gut zu der Ortlosigkeit der behaupteten Harmonie.

Wer nicht gemeint ist

Wer alles nicht zur „Normalität“ gehört, die „wir“ laut dem Erzähler wieder brauchen, zeigen die Bilder: Einstellungen ausschließlich weißer Schauspieler sind zu sehen, wenngleich die meisten der von einer internationalen Internetdatenbank bezogenen Szenen auch mit schwarzen Schauspielern angeboten werden, wie der Spiegel berichtet.

Das bedeutet nicht, dass Nicht-Weiße überhaupt nicht in Wahlwerbespots der Partei auftauchen. Ihr „Fremdsein“ wird geduldet, allerdings nur so lange, wie sie sich dem Normalitätsbegriff der Partei anpassen und mit Hurra-Patriotismus auf die deutsche „Leitkultur“ schwören. Dass der Migrationshintergrund von „unechten“ Deutschen allerdings schlagartig zu einer Angriffsfläche wird, wenn jemand nicht auf der gewünschten Linie ist, demonstrieren zahlreiche verbale Entgleisungen von AfD-Politikern (zum Beispiel hier).

Förderung „bejahender deutscher Kultur“

Ein Blick auf die Kulturpolitik der Partei lässt erahnen, was ein Ergebnis der beworbenen „Normalität“ wäre. Im Programm zur Bundestagswahl 2021 heißt es: „In der Filmförderung muss die künstlerische Freiheit gewahrt bleiben. Identitätspolitische Vorgaben der staatlichen Filmförderung sind abzulehnen.“ Im Abschnitt „Brauchtum und Gedenken“ steht: „Die deutsche Geschichte ist in ihrer Gänze zu würdigen. Die offizielle Erinnerungskultur darf sich nicht nur auf die Tiefpunkte unserer Geschichte konzentrieren, sie muss auch die Höhepunkte im Blick haben.“

Ein Blick in das Wahlprogramm der AfD Sachsen-Anhalt offenbart die Doppelmoral der Forderung nach mehr Objektivität. Darin wird eine die Meinungsfreiheit beschneidende identitätspolitische Linke angeprangert, woraufhin absurderweise ein Plädoyer für die Instrumentalisierung der Kunst zugunsten des AfD-Programms folgt: Nur noch Kunst, „die ihrer eigenen deutschen Kultur grundsätzlich bejahend gegenübersteht“, solle gefördert werden. Einer von der Partei als „anti-deutsch“ definierten Kunst sollen Förderungen entzogen werden. (Die Liste der Versuche von AfDlern und ihren Anhängern, rechtsideologisch motivierten Druck auf Kulturinstitutionen auszuüben, ist übrigens lang, siehe hier.)

Um zu sehen, worauf die Passagen abzielen, braucht es nicht viel Phantasie. Wie schon Gaulands „Vogelschiss“ implizierte, läuft diese Erinnerungspolitik auf eine Kulturfrömmigkeit hinaus, die den Nationalsozialismus von der geistig-kulturellen, „irgendwie griechisch-christliche[n] Substanz der Deutschen“ (Thomas Assheuer) abgrenzt, und diese unschuldig hält.

„Hinfort mit Abwegigkeiten“

Welche „anti-deutschen“ Kunstwerke in einem Deutschland der AfD keinen Platz hätten, belegt auch ein Zitat von Hans-Thomas Tillschneider. Der kulturpolitische Sprecher der Landtagsfraktion Sachsen-Anhalt forderte vor einigen Jahren in einer Rede über die Zukunft der Bühnen Halle: „Zurzeit spielt das Neue Theater in Halle ,Angst essen Seele auf‘, eigentlich ein Film der 68er-Ikone Fassbinder. ,Angst essen Seele auf‘ ist die bizarre Liebesgeschichte zwischen einem Marokkaner und einer 25 Jahre älteren deutschen Putzfrau. Wer bitte schön will solche Abwegigkeiten sehen? – Hinfort damit!“

„Abwegig“ ist hier auch nur ein anderes Wort für „abnormal“, womit wir wieder bei der Pathologisierung dessen wären, was nicht in die AfD-„Normalität“ passt.

Dass Fassbinders Film über die soziale Unterdrückung von Minderheiten in einer Leistungsgesellschaft keinen Platz im „normalen“ AfD-Deutschland hätte, spricht Bände. Vermutlich würde Tillschneider am liebsten das Oberhausener Manifest von 1962 rückgängig machen. Damals erklärten Filmemacher wie Alexander Kluge oder Peter Schamoni „Papas Kino“ für tot. Gemeint waren damit beispielsweise die Heimatfilme der 1950er-Jahre, die die nationalsozialistische Vergangenheit mit süßer Glasur überkleistern sollten.

Zurück zu Papas Kino

Das Oberhausener Manifest war die Geburtsstunde des Neuen Deutschen Films, jener Aufbruchphase des deutschen Kinos mit eben Fassbinder, aber unter anderen auch Werner Herzog und Edgar Reitz. Sie folgten dem Adorno-Motto über die Anstrengung der Kunst: „Die gesellschaftlich kritischen Zonen der Kunstwerke sind die, wo es wehtut; wo an ihrem Ausdruck geschichtlich bestimmt die Unwahrheit des gesellschaftlichen Zustandes zutage kommt.“

Die AfD will in jeder Hinsicht zurück zu Papas Kino und zu allem, wofür es kulturell und gesellschaftspolitisch steht. Die schwülstige Glätte und der hohle Heimatkitsch des Werbesports „Deutschland. Aber normal“ passen gut dazu.

Der Spot beginnt übrigens mit einem Menschen, der in einem Online-Wörterbuch nach der Definition von „normal“ sucht. Jedoch wird abgeblendet, bevor das Suchergebnis zu sehen ist. Schaut man selbst im Wörterbuch nach, stößt man auf folgende Definition: „lateinisch normalis = nach dem Winkelmaß gemacht“ oder auch „rechtwinklig, orthogonal“. Das passt in der Tat zu dem starren Begriff einer „Normalität“, in den die Partei Menschen pressen will.

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