Bayreuther Corona-Festspiele - Die Meistersinger aus dem Bayerischen Rundfunk

Die 108. Richard-Wagner-Festspiele mussten in diesem Jahr coronabedingt ausfallen. Als Ersatz gab es TV-gerechte Mini-Festspiele, die in gerade einmal 54 Minuten den Blick auf einen menschlicheren Wagner gerichtet haben.

Ludwig II. war der einzige Prominente bei den diesjährigen Wagner-Festspielen im Haus Wahnfried / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Es war das kürzeste Festival in der 144-jährigen Geschichte der Bayreuther Festspiele. Keine 54 Minuten dauerte es. Das Eröffnungskonzert war zugleich auch das Abschlusskonzert. Gegeben wurde kein Musikdrama, sondern zwei Arien, ein Orchesterstück und Lieder. Keine Prominenz aus Politik und Showbusiness flanierte an Neugierigen vorbei. Ort des Geschehens war auch nicht der ebenso berühmte wie berüchtigte Saal des Festspielhauses auf dem Grünen Hügel, sondern der Salon des Hauses Wahnfried. Die 108. Richard-Wagner-Festspiele, die 60. der Nachkriegszeit, sie werden ohne Frage in die Annalen der an Dramen und Kuriositäten alles andere als armen Geschichte dieser Festspielserie eingehen. Und als ein ästhetischer Höhepunkt.

Denn was am gestrigen 25. Juli, dem traditionellen Eröffnungstag der Festspiele, den Hörern an den analogen oder digitalen Endgeräten bei 3sat und BR-Klasssik sowie den 400 Public-Viewing-Gästen im Garten des Hauses Wahnfried geboten wurde, das war auch musikalisch so ganz anders als alles, was die Öffentlichkeit sonst in der Festspielzeit in Bayreuth geboten bekommt. Statt Pathos, Drangsal, Tod und Verhängnis herrschte gestern Stille, Zartheit und Intimität. Da brausten keine verschwitzten Orchesterwogen aus dem Graben, sondern leise, in sich versunkene und mitunter geradezu private Klänge erfüllten Haus und Garten.

Zauber der Täuschung

Richard Wagner, dem Zauberkind der gewaltigen Täuschungen und erhabenen Illusionen, dem Magier des Gesamtkunstwerks, wurde seine mitunter schwülstige Maskerade entrissen, seine theaterhafte Feierlichkeit, sein Ach und Weh. Und zum Vorschein kam ein ganz anderer, ehrlicherer und entschlackter Wagner. Oder anders formuliert: Im Haus Wahnfried war Richard zu erleben, und Wagner hatte Festspielpause.

Ermöglicht wurde dieser Perspektivenwechsel zunächst durch die glückliche Musikauswahl. Das Konzert begann mit der Arie des Walther von Stolzing aus dem 1. Aufzug der „Meistersingern von Nürnberg“ und der Szene Eva/Walther aus dem 2. Aufzug, dargeboten von Camilla Nylund und Klaus Florian Vogt, begleitet von Jobst Schneiderat am Klavier. Es folgte das Sigfried-Idyll. Und die Wesendonck-Lieder bildeten auch schon den Abschluss.

Kein überhöhtes Liebesleid

Dass man sich entschlossen hatte, mit zwei Stücken aus den „Meistersingern“ zu beginnen, war zunächst eine Reminiszenz an das ursprüngliche Festprogramm, das mit einer Neuinszenierung dieses Werks eröffnet werden sollte. Durch den Kunstgriff, zwei private Szenen aus dem musikästhetischen Programmstück um deutscher Meister Ehr’ und deutsche Kunst herauszuheben, konnte man jedoch erleben, was die „Meistersinger“ eben auch sind: das strahlende Gegenstück zu „Tristan und Isolde“. Hier ist kein Untergang, kein überhöhtes Liebesleid, sondern einfach zwei Menschen, Eva und Walther, die einander zugetan sind. Die „Meistersinger sind eben auch die große Säkularisierungsoper Wagners – von der Kunst, die selbst Religion wird bis hinein in intime Gefühle, die nicht religiös überhöht, sondern als das gezeigt werden, was sie sind: die Zuneigung zweier Menschen.

Ein impressionistisches Klanggemälde

Dieses Plädoyer für das Private und Humane setzte sich in dem Siegfried-Idyll fort, von Wagner ursprünglich nicht für die Öffentlichkeit gedacht, sondern Geschenk an seine Gattin Cosima anlässlich der Geburt des dritten gemeinsamen Kindes und nur im engsten Kreis aufgeführt. Gestern präsentierte Musikdirektor Christian Thielemann das subtile und geradezu impressionistische Klanggemälde mit kammermusikalischer Prägnanz, ohne das Intime des Stückes an professionelle Routine zu verraten.

Ein Glücksgriff war es, dieses in sich stimmige Programm mit den Wesendonck-Liedern abzuschließen, dem von Wagner nach Texten der von ihm verehrten Mathilde Wesendonck komponierten Liederzyklus. Dargeboten wurden die Stücke wiederum von Camilla Nylund, der es mühelos gelang, die musiksprachliche Vielschichtigkeit des Sujets aus dem privaten Salon in die Öffentlichkeit zu tragen und diese in das sehr Persönliche und Versunken-Lyrische des Zyklus einzubeziehen.

Persönliches bei Bier und Wurst

Im Garten der Villa lauschten die Menschen diesen überaus persönlichen Arbeiten des Meisters bei Bier und Wurst und so kam für einen zauberhaft verspielten Spätnachmittag das zu seinem Recht, was gerade in Bayreuth allzu gerne untergeht: das gelöst Menschliche. Man sollte im Hause Wahnfried daraus lernen.

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