Vorstoß von Georg Friedrich Prinz von Preußen - Ein weiser Schachzug

Der Chef des Hauses Hohenzollern verzichtet auf Entschädigungsansprüche aus jenen Immobilien und Kunstwerken, die nach 1945 in der sowjetischen Besatzungszone enteignet wurden. Damit endet ein von Anfang an naives Unterfangen.

Burg Hohenzollern in Baden-Württemberg, Eigentum von Georg Friedrich Prinz von Preussen / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Es gehört zu den Tücken zwischenmenschlicher Debatten, dass sie fast immer einen doppelten Boden haben. Da ist zum einen das Offensichtliche, die sachliche Frage, um die es angeblich immer allen geht. Und dann gibt es noch die unterschwellige Ebene, das Verborgene und Subtile. Hier schwingen fast immer persönliche Neigungen und Abneigungen mit hinein, weltanschauliche Befindlichkeiten oder irgendwelche anderen irrationalen Motive. Und machen wir uns nichts vor: Es ist diese subkutane Ebene, weshalb Konflikte mitunter so schwer zu lösen sind. Das ist auf privater Ebene so, das ist in der Politik nicht anders.

Besonders arg wird es – zumal in Deutschland –, wenn politische, ökonomische oder juristische Sachfragen mit historischen Bewertungen verknüpft werden. Dann gibt es erfahrungsgemäß kein Halten mehr. Selbsternannte Fachleute melden sich zu Wort. Die betroffenen Parteien rekurrieren eigene Experten, die ihre Sicht der Dinge zum Besten geben. Die Medien klinken sich ein. Wenn es ganz übel läuft, werden die üblichen Empörungsrituale abgefeiert. Schlagworte schwirren durch den medialen Raum, Anschuldigungen und Verdächtigungen.

Deutsche Vergangenheitsbewältigung

Diese Mechanismen sind so öde wie absehbar und zudem brisant, zumal wenn eine prominente Familie involviert ist. So gesehen kann man Georg Friedrich Prinz von Preußen, den Chef des Hauses Hohenzollern, nur zu seiner Entscheidung beglückwünschen, auf Entschädigungsansprüche aus jenen Immobilien und Kunstwerken zu verzichten, die nach 1945 in der sowjetischen Besatzungszone enteignet wurden.

Natürlich ging es in dem Streit zwischen dem Haus Hohenzollern und dem Land Brandenburg beziehungsweise der Bundesrepublik Deutschland nie einfach nur um Entschädigungsansprüche. Es ging vor allem immer um deutsche Geschichte, deutsche Vergangenheitsbewältigung, um das Erbe Preußens, um das deutsche Selbstverständnis und natürlich um den Nationalsozialismus.

Befeuert wurde diese Gemengelage durch die Nähe, die Kronprinz Wilhelm („immer feste druff“), der 1882 geborene und 1951 verstorbene älteste Sohn Kaiser Wilhelms II., gegenüber Größen des NS-Regimes pflegte. 1933 trat er der Motor-SA bei. Dass er in den ersten Jahren des Regimes versuchte, für die neue Regierung insbesondere im konservativen Bürgertum und Adel zu werben, ist unstrittig.

Ein naives Unterfangen

Gemäß dem 1994 erlassenen Ausgleichsleistungsgesetz verlieren Personen oder deren Erben ihre Entschädigungsansprüche aus Enteignungen zwischen 1945 und 1949, wenn diese Personen dem nationalsozialistischen oder kommunistischen System „erheblichen Vorschub“ geleistet haben. Das ist die Formulierung und der Moment an dem die Debatte den Bereich nüchterner Jurisprudenz verlässt und sich entschlossen auf das glitschige Terrain der Moral begibt. Denn was eine „erheblicher“ Vorschub ist, entzieht sich jeder objektiven Definition und öffnet weltanschaulich kontaminierten Debatten Tür und Tor.
 

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Aus diesem Grund wird man fragen dürfen, ob es wirklich eine kluge Entscheidung von Georg Friedrich Prinz von Preußen war, ab 2014 mit Vertretern der öffentlichen Hand über die Rückgabe mehrerer tausend Kunstgegenstände und die Nutzung einschlägiger Immobilien zu verhandeln. Spätestens als der damalige brandenburgische Finanzminister Christian Görke (die Linke) die Öffentlichkeit von den Gesprächen informierte, war der Schaden da. Dass Görke vermutlich genau das intendierte, macht das Unterfangen nicht weniger naiv – im Gegenteil.

Nun also hat der Hohenzollernchef in einem gestern veröffentlichten Interview in der Welt auf seine Restituierungsansprüche verzichtet – zumindest auf jenen Teil, der in der damaligen SBZ enteignet wurde. Sein Ziel sei es, den „Weg frei(zu)machen für eine unbelastete Debatte“, so der Prinz in besagtem Interview. Man könnte auch sagen: Er will das Thema vom Tisch haben.

Erheblich, stark, ein bisschen

Das ist sicher ein weiser Schachzug. Denn tatsächlich könnte man nun über die Frage diskutieren, die sich eigentlich aufdrängt. Und die lautet nicht, ob Urgroßvater Wilhelm dem NS-Regime erheblich, stark, ein bisschen oder gar keinen Vorschub geleistet hat. Viel interessanter ist, wie ein republikanischer Staat mit dem Vermögen einer Adelsfamilie umgeht, die ihren Besitz nach republikanischen Maßstäben nicht erarbeitet, nicht rechtmäßig erwirtschaftet oder sonst wie regulär verdient hat.

Faktisch handelt es sich bei dem gesamten „Besitz“ der Hohenzollern um Werte, die über Jahrhunderte erpresst und zusammengeraubt wurden – mittels Krieg, willkürlichen Abgaben und Ausplünderung von Menschen, die ohnehin wenig hatten. Nach bürgerlichen Maßstäben erarbeitet hat sich die Familie nicht eine einzige Türklinke, von den Schlössern drumherum ganz abgesehen.

Unermessliche Kunst- und Kulturschätze

Das bedeutet umgekehrt nicht, die gesamte Geschichte des Adels in Europa nach Maßstäben zu bewerten, die unhistorisch wären. Wir verdanken dem europäischen Adel unermessliche Kunst- und Kulturschätze und eine vielschichtige, facettenreiche und kultursatte Geschichte. Die antiaristokratischen Untertöne, die die Hohenzollerndebatte bis hin zum Wiederaufbau des Stadtschlosses in Berlin begleiteten, sind daher ebenfalls verfehlt.

Umso wichtiger ist es, dass über diese hochemotionale Gemengelage wieder nüchtern und sachlich diskutiert werden kann. Man kann nur hoffen, dass der Vorstoß von Georg Friedrich Prinz von Preußen den dazu notwendigen Beitrag leistet.

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