Vielfalt über alles - Es lebe das Frühstück

Unser Genusskolumnist begnügt sich nach dem Aufstehen mit einem doppelten Espresso macchiato, einem frisch gepressten Saft und meistens noch einem weichgekochten Ei. Rund zwei Stunden später legt er dann etwas nahrhafter nach. Als Empfehlung will er das nicht verstanden wissen, denn es geht auch ganz anders.

Beim französischen „Petit Déjeuner“ in der Regel nicht dabei: eine kräftige Käseplatte / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Man kann es drehen und wenden wie man will: Das Frühstück ist die erste Mahlzeit des Tages und hat entsprechend Einfluss auf den weiteren Verlauf. Ohne angemessene Energie- und Flüssigkeitszufuhr kommen weder der Körper noch der Geist auf angemessene Betriebstemperatur, auch Vitamine und Mineralstoffe spielen eine Rolle. Und abgesehen von einigen Gesundheits-Taliban stellt auch niemand die positiv belebende Wirkung von Kaffee oder Schwarztee am Morgen in Frage.

Auf der anderen Seite heißt es nicht ganz falsch im Volksmund auch: „Ein voller Bauch studiert nicht gern“, denn Völlegefühl kann zu schneller Mattigkeit führen. Das betrifft besonders vorwiegend geistige Tätigkeiten, während ein Land- oder Bauarbeiter ruhig anständig zulangen kann. Aus dieser Tradition stammt etwas das klassische Bauernfrühstück mit Kartoffeln, Speck, Eiern und Zwiebeln als Grundzutaten. Nie vergessen werde ich auch eine Gaststätte in der bayerischen Provinz, wo sich Landarbeiter am frühen Morgen erstmal eine große Portion Kesselsülze mit Bratkartoffeln einverleibten.

Europäische Frühstücksvielfalt

Die klassische deutsche Frühstückskultur basiert aber in erster Linie auf einem Heißgetränk sowie Brot oder Brötchen samt Butter oder Margarine. Dazu noch einen süßen Aufstrich, Wurst, Käse und manchmal auch ein Ei dazu. Genau das wurde einem früher in Hotels, Pensionen, Cafés und Kantinen portionsweise serviert, Buffets waren äußerst selten. Später etablierten sich dann Orangensaft und Fruchtjoghurt auf dem Frühstückstisch, es folgten Müsli und Cerealien wie Cornflakes. Als Veredelung – vorzugsweise an Sonn- und Feiertagen – erfreuen sich vor allem Räucherlachs und verschiedene Rührei-Varianten großer Beliebtheit.  

In Süd- und Westeuropa geht es ziemlich anders zu. Das französische „Petit Déjeuner“ kreist um Baguette, Croissant, Butter und Milchkaffee. Manchmal auch Marmelade dazu. Aber Käse ist kaum vorstellbar. In einem kleinen Hotel an der bretonischen Küste wurde unsere Frage nach Käse zum Frühstück mit ungläubigem Erstaunen aufgenommen – verbundenen mit dem freundlichen Angebot, wir könnten ja Käse auf dem Markt kaufen, der dann im Hotelkühlschrank aufbewahrt und zu unserem Frühstück auf den Tisch gestellt werden würde. Was wir dankend annahmen. Auch in Spanien und Portugal geht es nicht besonders üppig zu.

Suppen in Vietnam, Merkwürdiges in England

Ganz anders dann wieder in Vietnam, wo es üblich ist, am Morgen eine kräftige Pho mit Rindfleisch, Fisch oder Huhn zu verspeisen. Aber den schrillsten Ruf als deftige Frühstücker genießen unangefochten die Briten, denn schon der Name „breakfast“ (Fastenbrechen) signalisiert bereits eine gewisse Üppigkeit. Der Hauptgang eines „full breakfast“ besteht aus gebratenem Frühstücksspeck, kleinen gebratenen Würstchen, Spiegel- oder Rührei, gebackenen Bohnen und gegrillten Tomaten. Dazu noch Toastbrot mit Butter und Ingwer- oder Zitrusmarmelade. Verbreitet ist auch ein recht schleimiger Haferbrei namens „Porridge“, was für Nicht-Briten wohl immer ein Mysterium bleiben wird. Als Getränk gibt es natürlich Tee oder – traditionell grauenvollen – Kaffee.

Natürlich hat sich die Frühstückskultur auch in Deutschland mittlerweile beträchtlich diversifiziert und globalisiert. So manch Geistesarbeiter der Generation Laptop belässt es bei einem Milchkaffee und einem Croissant, also ganz französisch. Schwer im Trend sind ferner diverse Müslivariationen und frische „Smoothies“ sowie allerlei Milchersatzprodukte. Andere folgen für Uneingeweihte nur schwer nachvollziehbaren Ernährungsregeln. Etabliert hat sich ferner die Kombination aus dem sehr kleinen Hallo-Wach-Frühstück und einem +/- zwei Stunden später folgendem zweiten Frühstück, das dann – vor allem am Wochenende – gerne ein „Brunch“ sein darf, also eine Kombination aus Frühstück (Breakfast) und Mittagessen (Lunch).

Ernährungssoziologe warnt vor „diätetischen Ernährungsaposteln“

Der Ernährungssoziologe Daniel Kofahl kann der traditionellen deutschen Frühstückskultur durchaus einiges abgewinnen. Im Mittelpunkt stehe „ein nahrhaftes Mahl, das sowohl süße als auch herzhafte Elemente enthalten kann“. Es sei aber nicht so süßlich wie in Frankreich oder Italien und auch nicht so opulent schwer, wie man es aus England kenne. Frühstück sei „der gleichermaßen symbolische wie auch materielle Beginn eines der schaffenden Tätigkeit gewidmeten Tages“. Dazu gehörten seit dem Beginn des bürgerlichen Zeitalters „die Produktivität unterstützenden Stimulanzien, also Kaffee oder Tee“. Doch seit einigen Jahren sei das Frühstück allerdings in der Krise. So versuchten „diätetische Ernährungsapostel den Menschen einzuimpfen, sie sollten Intervalle fasten, um auf diesem wirren Wege irgendwie das kleine Bürositzpummelchenproblem in den Griff zu bekommen“. Damit laufe man „dem moralinsauren Zeitgeist entsprechend in vielfacher Hinsicht unterzuckert durch die erste Tageshälfte“. Auch die Struktur der zeitlich oftmals entgrenzten Arbeitswelt sei in vielen Fällen „ausgesprochen lebens-, gesundheits- und frühstücksfeindlich“.

Alkoholfreies Bier als Wachmacher

Gerne verrät Kofahl auch seine eigenen Frühstücksvorlieben. Es beginne „alltags mit einem Glas alkoholfreiem Bier zum Wachwerden, dann ein Beerenmüsli mit Vollmilch und im Anschluss einem doppelten Espresso aus der Mokkakanne“.

Das Fazit dieser Beobachtungen fällt recht unaufgeregt aus. Unbestreitbar schlecht ist lediglich die Variante, am Morgen überhaupt nichts zu sich zu nehmen. Ausreichend Flüssigkeit und ein einigermaßen ausgewogenes Verhältnis von Fett, Kohlehydraten und Eiweiß sind durchaus anzuraten, ein paar Vitamine können nicht schaden. Allzu viel Zucker, etwa mittels einer täglichen Nutella-Dröhnung, ist wohl eher kontraproduktiv. Ansonsten: Anything goes – je nach eigenem Geschmack und Körpergefühl. In diesem Sinne wünsche ich ein schönes Sonntagsfrühstück!

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