Studie über Berichterstattung zum UN- Migrationspakt - Journalisten als Regierungssprecher

Eine Studie des Medienwissenschaftlers Michael Haller weist nach, dass das Gros der Medien zum Thema UN-Migrationspakt weitgehend unkritisch und ganz im Sinne der Regierung berichtete. Der systematische Befund ist erschütternder als ein Einzelfall wie der von Claas Relotius

Merkel, Journalisten: Höchste Weihen für die eigene Weltanschauung / picture alliance
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Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Mark Harbers: Wer den Namen nicht kennt, muss ihn sich nicht mehr merken. Seit vergangenem Dienstag ist Mark Harbers nur noch der ehemalige niederländische Minister für Einwanderung. Harbers stolperte über Vorwürfe, die im deutschen Nachbarland für Beförderungen gereicht hätten. Der liberale Politiker fasste in einem Bericht zur Kriminalität von Flüchtlingen die schweren Delikte „sexuelle Übergriffe“, „Mord“ und „Totschlag“ in der Rubrik „Andere“ zusammen. So habe er die Gewaltgeneigtheit mancher Migranten relativiert. Harbers war nicht mehr zu halten. Eine solch harsche Reaktion wäre in Deutschland undenkbar – auch deshalb, weil die Leitmedien hierzulande oft „der Agenda der institutionellen Politik und ihrer Elite folgen“.

Triumph der „Gesinnungsmoral“

So steht es in der neuen Studie des Leipziger Medienwissenschaftlers Michael Haller im Auftrag der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung. Unter dem Titel „Zwischen ‚Flüchtlingskrise‘ und ‚Migrationspakt‘ – Mediale Lernprozesse auf dem Prüfstand“ hat Haller sich folgende Frage gestellt: „Ist es den Journalisten der Informationsmedien gelungen, die verschiedenen Positionen und Überzeugungen“ zum UN-Migrationspakt „aufzugreifen, zu versachlichen und in einen klärenden öffentlichen Diskurs einzubringen?“ Die Antwort lautet: Nein, eher nicht. Sehr lange berichteten die Leitmedien überhaupt nicht, und dann taten sie es einseitig, wobei sich besonders die Süddeutsche Zeitung hervortat. Die Münchener Tageszeitung griff zu „meinungsgesättigten Formulierungen“, betrieb eine „besserwisserische Prophetie“ und schied die guten Migrationspakt-Befürworter von den bösen Migrationspakt-Kritikern. Die „Gesinnungsmoral“ triumphierte.

Nach der „qualitativ angelegten Durchsicht“ von rund 700 in der SZ, der taz, der FAZ, der Bild-Zeitung und der Welt erschienenen Pressetexten kommt Haller zum bitteren Resultat, dass auch nach dem von ihm 2017 dokumentierten Debakel namens „Die ‚Flüchtlingskrise‘ in den Medien“ zentrale Medien kaum zu einer Korrektur ihres Haltungskorridors bereit warten. Die Trennung von Meinung und Kommentar kollabierte erneut, Kritik am Migrationspakt wurde denunziert oder verschwiegen, Zustimmung glorifiziert, ganz im Sinn des Kanzleramts. Haller beschreibt einen willfährigen Journalismus, der sich der „PR-Maschine der politischen Meinungsführer, insbesondere der Regierungsparteien“ angeschlossen habe. Bis der Pakt im Dezember 2018 in Marrakesch unterzeichnet wurde, gab es tatsächlich eine sonst nur schimpfworttaugliche Regierungspresse. Dieser systematische Befund ist erschütternder als ein bizarrer Individualfall wie der von Claas Relotius.

Das Publikum wird belehrt und geschurigelt

Dass die linke tageszeitung harte Klientelbespaßung trieb – wundert’s wen? In der taz arbeiten offenbar überzeugte Schmittianer, leidenschaftliche Manichäer, die wie weiland Carl Schmitt ihr Gefallen (und ihre Existenzberechtigung) darin finden, zwischen den Guten und den Bösen keinen Raum für Vermittlung zu lassen. Aus dem Diskurs hat sich die taz damit verabschiedet und den Bereich des Glaubens betreten, folgten doch „praktisch alle erfassten Texte dem Credo: Der UN-Pakt ist per se eine großartige Sache. Den Verfassern diente das Thema quasi als Prüfstein, mit dem sich Freund und Feind trennen lässt (…). In den taz-Berichten wurde nicht zwischen rechtspopulistischen Polemiken und industriekritischen Einwänden differenziert, auch nicht danach, ob sich die Kritik auf den Inhalt, auf die mangelhafte Informationsarbeit der Regierung oder auf das Prozedere der Beschlussfassung bezog“, wie es in der Studie heißt. Auf einen Beweis linker Differenzierungskunst sollte man in der taz nicht hoffen.

Belehrt und geschurigelt wurde das zahlende Publikum auch andernorts. In der SZ gab es einen Hauch von Pluralität zunächst nur auf den Leserbriefseiten. Generell zeigen diese sich oft als Indikatoren einer Neujustierung des jeweiligen Blatts. In den Zuschriften kündigt sich an, was in die Kommentarspalten fließen kann, der andere Blick. Hallers Studie erzählt auch von der zunehmenden Bedeutung der Leserbriefe. Das online vertraute Userverhalten ragt in den Printbereich hinein. Außerdem lernen wir am Beispiel des Migrationspakts, dass Framing wirkt und dass neben SZ und taz auch die öffentlich-rechtliche „Tageschau“ den „Propagandisten des Pakt-Projekts“ zuzurechnen ist. Mit dem Gebührengeld der Allgemeinheit wurde Propaganda auf Regierungslinie betrieben. Das darf man einen Skandal der Mittelverwendung nennen, einen mit Ansage freilich.

Zweifler gelten als Ketzer

In den Provinzen echoten die kleineren Publikationen wie „Lemminge“ den Sound der Platzhirsche nach: „Die Lokal- und Regionalpresse folgte grosso modo den meinungsführenden Leitmedien mit deren Fokussierung und moralischen Bewertung des Großthemas Flüchtlingspolitik. Nach Maßgabe des in den Medienwissenschaften geläufigen Denkmodells des ‚Framings‘ stärkte die konsonante Behandlung des Flüchtlingsthemas den Frame ‚Die Deutschen sind eine weltoffene Willkommensgesellschaft für Geflüchtete‘.“ Womit wir beim Kern der journalistischen Malaise gelandet wären, die nur unwesentlich geringer wird dadurch, dass Welt und FAZ und Bild deutlich differenzierter und insofern professioneller vorgingen. Die Mehrheit der Medien feierte sich mit der Migrationspakt-Berichterstattung selbst. Man wollte vorführen, wie herrlich weit es ein Deutschland gebracht habe, das nach dem Geschmack der meisten Journalisten gemacht ist. Man klopfte sich auf die Schulter, dass in Marrakesch die eigene Weltanschauung höchste Weihen erhielt. Wer am migrationsfreundlichen Migrationspakt zweifelte, der spuckte nicht nur der Regierung in die Suppe; der war auch ein Ketzer wider das journalistische Lehramt.

„Nichtöffentliche Sitzungen“ zum Migrationspakt

Mittlerweile wurde bekannt, dass die Bundesregierung entgegen bisheriger Beteuerung auch in Geheimverhandlungen den Migrationspakt ausbaldowerte. Es gab „nichtöffentliche Sitzungen“ und also nur eine relative Transparenz der Verhandlungen. Die Regierung hat die Öffentlichkeit hinter die Fichte geführt. Nur dank der Hartnäckigkeit des Berliner Tagesspiegels wurde die Täuschung publik. Einsehbar ist nun ein Verhandlungsprotokoll des Auswärtigen Amtes von Juli 2018, in dem es abschließend heißt: „Wir sollten gemeinsam mit unseren europäischen Partnern aktiv daran mitwirken, den sich abzeichnenden Konsens über den Text des Migrationspaktes bis zur Annahmekonferenz zu bewahren und das vorliegende Ergebnis gegen ungerechtfertigte, unsachliche und überzogene Kritik zu verteidigen.“

Weite Teile deutscher Medien haben die Bundesregierung in diesem Abwehrkampf unterstützt. Die ideologische Zugewinngemeinschaft funktionierte. Deutschland, wir haben ein Problem.

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