Türkischer Rechtsextremismus - Die Grauen Wölfe sind unter uns

Die Grauen Wölfe sind ein Beispiel für importierte weltanschauliche Strömungen, die bedenklich und gewaltbereit sind – und ein Integrationshindernis obendrein. Trotzdem werden sie immer noch verharmlost.

Erdogan-Unterstützer formen das Handzeichen der Grauen Wölfe / dpa
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Autoreninfo

Alfred Schlicht ist promovierter Orientalist und pensionierter Diplomat. 2008 erschien sein Buch „Die Araber und Europa“. Sein Buch „Das Horn von Afrika“ erschien 2021, beide im Kohlhammer-Verlag.

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Seit der ehemalige Fußballnationalspieler Mesut Özil sich 2023 offen zu den „Grauen Wölfen“ bekannte und seit radikale politische Strömungen aus Nahost auch bei uns nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 neuen Aufwind erhalten, fällt das Licht der Medien wieder auf die rechtsradikale türkische Organisation der „Grauen Wölfe“. Es gibt sie schon lange bei uns, sie wurden auch hie und da von einzelnen Journalisten oder Fachleuten einer mäßig interessierten Öffentlichkeit dargestellt. Größeres Interesse freilich haben sie kaum je erregt.

Islamistische Gewalt auf der einen, Islamophobie auf der anderen Seite absorbierten die Aufmerksamkeit und steckten den Perzeptionsrahmen ab. Und in den „Kampf gegen rechts“ passten die Wölfe, die sich selbst auch gern „Idealisten“ (Ülkücüler) nennen, nach den hiesigen Denkschablonen nicht wirklich. Denn „rechts“ sind in unserem Verständnis vor allem Deutsche – gerade bei Bewegungen aus dem Nahen Osten neigt man hier eher zu Großzügigkeit.

Woher kommen die Grauen Wölfe?

Ihre historischen Wurzeln haben die Grauen Wölfe im Panturanismus des 19. Jahrhunderts. Diese zunächst eher geistig-wissenschaftliche Bewegung, zu der auch westliche Gelehrte im Zuge ihrer Erforschung Zentralasiens beitrugen, entstand zu einer Zeit des Niedergangs des Osmanischen Reiches. Im Kontext des Aufkeimens von Nationalismen der verschiedenen Ethnien des Osmanischen Reiches empfanden auch die Türken das Bedürfnis nach einem nationalen Bezugsrahmen und entwickelten nationalistische Narrative.  

Der Panturanismus geht von einer Zusammengehörigkeit aller Turkvölker, die aus einer gemeinsamen Urheimat in Zentralasien stammen, aus. Erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts entstand vor diesem Hintergrund eine ultranationalistische Bewegung, die in ihrer Symbolik tief in die Geschichte zurückgeht. In der alttürkischen Mythologie spielen Wölfe eine wichtige und positive Rolle. Deshalb haben die „Idealisten“ den Wolf zu ihrem Symbolbild gewählt. 
 

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Nach dem Schock der Auflösung des Osmanischen Reiches stieg der türkische Nationalismus in der Mitte des 20. Jahrhunderts auf. Er nahm, auch unter dem Einfluss des Nationalsozialismus und in Zusammenarbeit mit ihm, zunehmend rechtsradikale Formen an. Rechtsnationalistische Parteien und Vereinigungen wurden gegründet. Zunächst gingen die türkischen Behörden gegen diese neuen gefährlichen Strömungen vor, aber im Zuge des Kalten Krieges, als die Türkei sich zunehmend dem Westen zuwandte, rückte die Bekämpfung linker und marxistischer Kräfte in den Vordergrund. Rechte erhielten wieder Freiraum, konnten sich in Parteien organisieren, deren wichtigste die MHP ist.

In ihrem Umfeld entstand in den 1960er Jahren dann die Bewegung der Grauen Wölfe, die vor allem jüngere Menschen anzog, die Straße erobern wollte und sich durch zahlreiche Gewalttaten auszeichnete. Inzwischen bemüht sich die MHP, etwas gemäßigter aufzutreten – denn eine neue, von der MHP 1993 abgespaltene Partei, die BBP, übernahm nun die radikale Rolle. Ihren Sympathisanten werden mehrere Morde zugeordnet, wie der an dem armenischen Journalisten Hrant Dink 2007.

Was wollen die Grauen Wölfe?

Im Mittelpunkt ihrer Ideologie steht ein radikaler türkischer Nationalismus. Die Turkvölker müssen alle in einem Großreich „Turan“ vereinigt werden, das sich von den Küsten der Adria bis nach China und Sibirien erstrecken soll und dessen Landkarte durchaus auch Territorien nichttürkischer Nationen einschließt. Einer überhöhten Wertung des Türkentums steht, wie so häufig bei Nationalismen, die ins Rechtsextreme abdriften, die Abwertung anderer Ethnien – etwa Kurden, Griechen , Armenier – gegenüber.

„Der Westen“ schlechthin gehört zu ihrem Feindbild, aber ebenso wurde die sozialistische Sowjetunion als Gegner betrachtet. Das wird durch eine stark islamische Komponente der Ideologie verstärkt, durch eine „türkisch-islamische Synthese“, die in ihrer Symbolik durch drei Halbmonde oder den Tauhid-Finger zum Ausdruck kommt. Auch antisemitische Züge weist die Lehre der Ülkücüler auf. Liberale Rechtsstaaten wie beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland lehnen sie ab.  

Zu ihrem autoritären Staatsverständnis gehört ein prononcierter Führerkult. Sie pflegen ein stark traditionalistisches Frauen- und Gesellschaftsbild, und sind auch durchaus bereit, ihre Ziele mit Gewalt zu verwirklichen. Die grauen Wölfe haben in der Türkei, aber auch in Europa, zahlreiche Anschläge verübt – der spektakulärste war wohl das Papstattentat 1981. Je nach aktueller Lage werden ihre Feindbilder und Verschwörungstheorien angepasst und modifiziert. Intensive Befassung mit Inhalten oder allzu intellektuelle Herangehensweisen sind der Bewegung fremd. Ihr genügen unhinterfragte Schlagworte und Kernsätze als Glaubensartikel.

Graue Wölfe und Erdogan

In den letzten Jahren ist deutlich geworden, dass sich die Grauen Wölfe mehr und mehr mit der türkischen Regierungspartei AKP zusammenschließen. Bei den Parlamentswahlen von 2018 gab es eine Allianz zwischen der MHP, der Partei, mit der sie am engsten verbunden sind, und Erdogans AKP. Aus früherer Gegnerschaft ist jetzt Zusammenarbeit geworden.

In der Tat passt Erdogans islamischer und imperialer Nationalismus gut zur Ideologie der Ülkücüler, die ja auch radikalen Nationalismus mit Großmachtvisionen und konservativem Islam verbinden. Die Mobilisierung der vielen Anhänger der türkischen Rechten ist für Erdogan gerade in der Diaspora sehr wichtig – ebenso versprechen sich die Grauen Wölfe eine Aufwertung durch eine Allianz mit dem türkischen Präsidenten. Im türkischen Parlament ist die AKP/MHP-Koalition Ausdruck dieser politischen Symbiose.

Graue Wölfe in Deutschland

Wo immer auf der Welt Türken sind , erscheinen auch bald die Grauen Wölfe. In Frankreich, ein Land, in das sich zahlreiche Armenier aus dem Osmanischen Reich und der Türkei geflüchtet hatten, gingen sie mit brutaler Gewalt gegen die armenische Minderheit vor. In China sah man eine Verbindung der Grauen Wölfe mit uighurischen Terroranschlägen. Auch Deutschland, in dem besonders viele Türken leben, wurde ein bevorzugtes Aktionsfeld für die Grauen Wölfe. In der Bundesrepublik soll es bis zu 20.000 Graue Wölfe geben. Viele sind in unterschiedlichen Vereinen organisiert, die meisten davon in der Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine (ADÜTDF). Eine große Vielfalt unterschiedlichster Vereinigungen sind letztlich getarnte Organisationen der Grauen Wölfe – Sportvereine, Jugendclubs, Kulturvereine. Auch Mitarbeiter des Moscheeverbandes DITIB gehören zu den „Idealisten“.

Seit den 1990er-Jahren bestimmt das Konzept des „Europäischen Türkentums“ das Verhalten der Grauen Wölfe. Türken sollten in ihren europäischen Gastländern, vor allem in Deutschland, deren Staatsangehörigkeit annehmen, im Herzen aber dem Türkentum verbunden bleiben und die neue Staatsangehörigkeit im Interesse des türkischen Nationalismus nutzen. Der „Marsch durch die Institutionen“ war das Ziel, der Eintritt in politische Parteien, Einflussnahme auf die Zivilgesellschaft im Interesse nationalistischer und islamischer türkischer Interessen wurde und wird angestrebt.

Neben dieser eher zivilen, friedfertigen Methodik gehört zum Instrumentarium der Grauen Wölfe weiterhin rohe Gewalt. Wirkliche oder vermeintliche Anhänger der Gülen-Bewegung (also faktisch Gegner von Präsident Erdogan) waren ebenso im Visier von Gewalttätern wie Kurden, die unter Verdacht waren, der PKK nahe zu stehen oder mehr Rechte für die kurdische Minderheit in der Türkei zu fordern. Besonders beunruhigend ist, dass der Beschluss des deutschen Bundestags im Juni 2016, den Mord an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915/16 als Völkermord (Genozid) einzustufen, zu Morddrohungen gegen Bundestagsabgeordnete führte, von denen eine zweistellige Zahl unter Polizeischutz gestellt wurde.

Ein kaum greifbares Milieu

Die Grauen Wölfe sind also ein weiteres Beispiel, wie Konflikte und bedenkliche weltanschauliche Strömungen samt der zugehörigen Gewalt aus dem Nahen Osten problemlos nach Europa gelangen und hier zu einem Integrationshindernis werden. Die Grauen Wölfe zu verbieten, wie in Frankreich geschehen, ist bei uns jedoch kaum eine zielführende Option. Sie sind in unterschiedlichen Organisationen zuhause und eine große Zahl von ihnen ist unorganisiert. Es handelt sich also um Sympathisanten, Influencer und Aktivisten, die keiner Vereinigung angehören, und somit kaum greifbar sind.

Hier ist die Gewaltbereitschaft höher als bei den organisierten Grauen Wölfen. Ihre „Gewaltneigung gefährdet die innere Sicherheit in Deutschland“ sagt das Bundesamt für Verfassungsschutz und bescheinigt den Anhängern der Bewegung „eine hohe Waffenaffinität“. Es kam zu Angriffen auf Kippa-Träger und Anschläge auf Moscheen. Wir sollten also das Tattoo des ehemaligen Nationalspielers Özil, mit dem er seine Sympathie für die Grauen Wölfe zeigt, nicht verharmlosen – und seine Wirkung nicht unterschätzen.
 

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