Tod von Prinz Philip - Generation Pflichterfüllung

Prinz Philip ist verstorben. Er war ein herausragender Repräsentant der Generation Pflichterfüllung. Über einen Nachruf hinaus bietet sein Leben in Zeiten der Identitätspolitik und Selbstverwirklichung eine Chance zur Selbstreflektion. Wieviel Philip steckt in uns?

Der britische Prinz Philip besucht die Royal Dockyard Chapel in Wales / dpa
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Autoreninfo

Julien Reitzenstein befasst sich als Historiker in Forschung und Lehre mit NS-Verbrechen und Ideologiegeschichte. Als Autor betrachtet er aktuelle politische und gesellschaftliche Entwicklungen.

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Wenn von „Philip“ gesprochen wurde, wusste jeder, wer gemeint war. Ein Mann, der in seinem Leben viele Namen und Titel trug und ein Unikum war. Jemand, der sich augenscheinlich über mehr als siebzig Jahre als öffentliche Person nicht veränderte, aber unzählige und unterschiedliche Projektionen auf sich vereinte. Der Grund, dass er in verschiedensten sozialen Milieus beliebt war, lag in einigen Eigenschaften, die deshalb so wenig fassbar sind, weil sie aus einer vergangenen Zeit stammen.

Doch diese Eigenschaften bieten eine Chance: Man kann sie sich zum Vorbild nehmen, um sein eigenes Leben und auch den gesellschaftlichen Diskurs zu bereichern. Vieles, was heute die Gesellschaft erregt, hat das Potential zu spalten, statt zu versöhnen – auch und gerade, wenn das rechte Maß fehlt. Immer kleinere Gruppen fordern von Staat und Gesellschaft immer lauter immer mehr Rechte ein – die Bereitschaft Pflichten zu übernehmen, dafür Freizeit und Vergnügen zu opfern wird dagegen weniger laut angeboten. 

Bereit zu dienen 

His Royal Highness The Prince Philip, Duke of Edinburgh, Earl of Merioneth, Baron Greenwich, Lord High Admiral of the United Kingdom, trug beeindruckend viele Titel, Uniformen und rund 100 Orden. Doch das war nur die Dekoration der Folge von zwei wesentlichen Entscheidungen, auf denen sein Leben aufgebaut war: 1939 entschied sich der mittelose Abkömmling einer verarmten Familie des Hochadels Seeoffizier zu werden. Er konnte damals nicht wissen, dass er einmal von mehr leben würde als vom kargen Offizierssold. Immerhin, er wählte einen der wenigen Berufe, die jemand seiner Herkunft ohne soziale Konsequenzen ausüben konnte. Doch wer einen solchen Beruf ergreift weiß von vorherein: Er wird einzig an seiner Leistung gemessen.

Ein Torpedo interessiert sich nicht dafür, ob er vom Träger eines berühmten Namens auf den Weg gebracht wurde – oder einen solchen in den Tod reißt. Kein Wort beschreibt den Offiziersberuf so treffend wie: Dienen. Philip war von Berufs wegen bereit, Vorgesetzten Gehorsam zu leisten und sich hochzuarbeiten. Aber er war auch bereit, dem Land zu dienen, das ihn aufgenommen hat als seine Mutter in der Psychiatrie lebte, sein Vater im mondänen Monte Carlo nichts von dem Sohn wissen wollte und nach Beginn des Zweiten Weltkrieges auch die Schwestern in Deutschland nicht mehr besucht werden konnten. Philip war seinem Gastland gegenüber loyal, bereit ihm zu dienen. Aber Philip wusste wie jeder andere Seekadett, dass der Eintritt in die Royal Navy das Risiko vor seiner Zeit zu sterben signifikant erhöhen würde. Auch das war Teil des Dienens. 

Rasch wurde klar, dass der junge Offizier sehr begabt war. Experten sind sich darin einig, dass er es bis in die höchsten Positionen geschafft hätte, durch Talent, Fleiß und Demut. Mancher glaubte gar, dass ihm eine ähnlich glänzende Karriere gelingen würde, wie seinem entfernten Verwandten Louis Mountbatten. Dieser war aber nicht nur Offizier, sondern – neben Harry Graf Kessler – eine der interessantesten und anregendsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Mountbatten nahm den de facto Waisen Philip in England unter seine Fittiche und wurde eine Art Ersatzvater.

Die zweite seiner beiden Grundsatzentscheidungen

Es wird gesagt, dass Mountbatten einen gewissen Anteil daran hatte, dass die Kronprinzessin Elisabeth und sein Schützling ein Paar wurden. 1946 traf Philip die zweite seiner beiden Grundentscheidungen: Er hielt um die Hand der Kronprinzessin Elisabeth an. Damit würde er zwar auch fortan – an anderer Position – seinem Land dienen, aber auch der Ehefrau unbedingten Gehorsam leisten. Er wusste vor der Eheschließung, dass er bei der Krönung seiner Frau vor den Augen der Welt niederknien und ihr dabei unbedingten Gehorsam schwören muss. Vor allem aber wusste er, dass durch die Eheschließung seine eigene Karriere zu Gunsten der Familie aufzugeben war – für einen Mann seiner Zeit keine Selbstverständlichkeit.

Und die Aussicht, zwar in einem Palast voller Luxus zu leben bedeutete auch, praktisch ständig von Angestellten umgeben zu sein und damit auf ein Privatleben weitgehend zu verzichten. Doch das schloss nicht aus, dass er gleichzeitig eine bemerkenswerte Individualität entwickelte, die manchen Zug „alter weißer Männer“ seiner Generation aufnahm: Dazu gehörten das Überspielen eigener Schwäche, aber auch sich selbst nicht ernster zu nehmen als notwendig. Dazu gehörte – frei nach Horaz – lieber einen Freund zu verlieren, als auf eine gute Bemerkung zu verzichten.

Daraus ergab sich eine Kombination aus Haltung, sowie guten Manieren als Zeichen des Respekts gegenüber anderem und anderen – bei gleichzeitiger Lässigkeit gegenüber Gegenwind. Diese lebensgierige Kriegsgeneration unterschied sich von den moralinsauren Eiferern heutiger Generationen. Allzu oft interpretierten diese schlechte Gesinnung in aus ihrer Sicht unpassenden Bemerkungen, selbst wenn diesen Lässigkeiten kein Arg innewohnte. 

Generation Pflichterfüllung

Prinz Philip war ein herausragender Repräsentant der Generation Pflichterfüllung. Pflichtübernahme beim Eintritt in die Royal Navy, Pflichtübernahme beim Eintritt in das britische Königshaus. Und er wusste, dass beide Entscheidungen immer neue, immer weitere Pflichten nach sich ziehen würden, denen er nicht sich entziehen können würde. Das mag ihn dazu bewogen haben, erst mit 96 Jahren in den Ruhestand zu treten. Aber so wurde er bis ins höchste Alter ein Mahnmal. Während um ihn herum die Wellen der Selbstverwirklichung und Identitätspolitik anbrandeten, stand er für Dienst und Pflichterfüllung. Und zwar nicht, weil er wie seine Gemahlin die Bürde der Krone geerbt, sondern sich auf freien Stücken dazu entschieden hatte. 

Sicherlich, diese Generation Pflichterfüllung wuchs vor fast 100 Jahren in einer von anderen Werten geprägten Welt auf. Aber hat es dem Gemeinwohl, dem gesellschaftlichen Frieden geschadet, dass es den meisten Vertretern dieser Generation selbstverständlich war, die eigenen Bedürfnisse zurückzunehmen, wo dem großen Ganzen zu dienen war? Um zu tun, was getan werden musste? Ob die Trümmerfrauen oder der Herzog von Edinburgh – sie alle wussten, dass man mit egoistischer Rosinenpickerei die Gesellschaft nicht weiterbringt. Der Rückblick auf das Leben des verstorbenen Prinzen schafft eine gewaltige Fallhöhe gegenüber all jenen, die immer lauter immer individuellere Rechte einfordern und immer weniger bereit sind, dem Allgemeinwohl zu dienen und Pflichten zu akzeptieren.

Frieden und Zusammenhalt 

Die Nachrufe auf den 1921 geborenen Prinzen rufen die Amtseinführungsrede des vier Jahre zuvor geborenen US-Präsidenten John F. Kennedy ins Gedächtnis: „Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann – fragt, was ihr für euer Land tun könnt.“ Diesen Rat zu beherzigen würde nicht nur dem gesellschaftlichen Frieden und Zusammenhalt dienen. Es würde vor allem jenen dienen, die zu schwach sind und zu leise, sich in sozialen Medien zu empören.

Viele von ihnen gehören selbst der Generation Pflichterfüllung an. Sie hat nach dem Krieg das Land wieder aufgebaut, den Wohlstand geschaffen, von dem das Land heute noch zehrt – und blickt hochbetagt auf nachfolgende Generationen, die sie oft verspottet und die Notwendigkeit von Pflichten vergisst, doch nie die eigenen Ansprüche und Forderungen. Neben vielen Nachrufen vermag der Rückblick auf das Leben Philips auch ein Aufruf sein, dessen Wertesystem mit Wohlwollen zu erforschen. 

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