Die Einsamkeit der Singles in der Pandemie - Knuffeln verboten!

Abstand halten. Dieses Gebot der Stunde stellt Singles auf eine harte Probe. In Belgien verbietet ihnen die Regierung sogar intime Kontakte. Judith Sevinç Basad über unerträgliche Einsamkeit, absurde Tipps von Experten und die Bedeutung der zärtlichen Berührung.

Eingesperrt: Die Pandemie stellt Singles auf eine harte Probe / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Judith Sevinç Basad ist Journalistin und lebt in Berlin. Sie studierte Philosophie und Germanistik und volontierte im Feuilleton der NZZ. Als freie Autorin schrieb sie u.a. für FAZ, NZZ und Welt. Sie bloggt mit dem Autoren-Kollektiv „Salonkolumnisten“. 

So erreichen Sie Judith Sevinç Basad:

Anzeige

Das Leben als Single hat Vorteile. Man kann etwa spontan in den Urlaub fahren oder nach dem Kneipen-Abend noch in den Club gehen, ohne sich vor irgendjemanden rechtfertigen zu müssen. Man kann kurzfristig den Job wechseln, die Stadt oder das Land verlassen und unverbindliche Beziehungen eingehen. Man kann Freunden gut zureden, wenn sie in einer Beziehungskrise stecken und sich insgeheim denken: „Zum Glück bleibt mir dieser Stress erspart!“. Kurz: Man kann rund um die Uhr den eigenen Willen, die komplette Freiheit, ausleben.

Aber die Unverbindlichkeit des Single-Lebens geht häufig mit einem Nachteil einher: dem Mangel an Geborgenheit. Im Stern beschrieb vor einigen Jahren eine Singlefrau, wie sie es als angenehm empfand, als bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen Beamte ihren Körper abtasteten. Der Grund: Sie sehnte sich nach Berührungen. „Viele Singles vermissen nicht unbedingt einen Partner. Aber Nähe, mitunter geistige, aber wohl vor allem körperliche. Jemand, der dich festhält, der dich drückt, dir durchs Haar wuschelt, seinen Arm um dich legt. Gesten, die auch unter Freunden üblich sind, und damit auch für Singles erreichbar.“, erzählte sie.

Eingesperrt in einer 30-Quadratmeter-Wohnung 

Die zwischenmenschliche Nähe, die Menschen in Beziehungen also täglich von ihren Partnern oder Familien erfahren, ist für Singles nicht selbstverständlich. Das kann zu emotionalen Durststrecken führen, weil Freunde und Affären nicht immer verfügbar sind. Diese Phasen der Einsamkeit gehören zum Single-Leben dazu. Das ist nervig, aber kein Weltuntergang.

%paywall%

Mit der Corona-Krise ist das Single-Leben unerträglich geworden, zumindest aus meiner Perspektive. Ich lebe in einer 30 Quadratmeter-Wohnung in Berlin-Kreuzberg und arbeite als freie Autorin. Das bedeutet: Fast keine kollegialen Kontakte, jeden Tag dasselbe Zimmer und – wenn man die Corona-Beschränkungen genau nimmt – darf ich mich dauerhaft nur mit einer Person treffen. Hand aufs Herz: Das ist nicht machbar, ohne in eine Depression zu verfallen.

Erotische Chats auf Tinder

Das sieht auch die Informatikstudentin Audrey (im echten Leben heißt sie anders) so, die ebenfalls ein Single-Leben in Berlin führt. „Wärme bekommt man ja als Single nicht nur von einer Person, sondern von verschiedenen Freunden, mit denen man sich auf unterschiedlichen Ebenen verbunden fühlt“, erzählt die 26-jährige. Verschiedene Sozialkontakte seien vor allem während der Corona-Isolation wichtig, zumal einzelne Freunde nicht immer Zeit hätten und sie nicht den exklusiven Status einer Beziehung einnehmen könnten.

Ein Problem, mit dem sich in letzter Zeit auch viele Medien beschäftigt haben. Im Internet kursieren Tipps, wie Singles die Einsamkeit während der Pandemie überwinden können. Die Techniker Krankenkasse etwa schreibt: „Wie wäre es, die Stuckleisten zu befestigen, die schon so lange im Keller lagern? Oder das angefangene Bild vollenden, Achtsamkeitsübungen, einen Podcast hören oder einen Wellness-Tag daheim einlegen?“ Häufig schreiben Zeitungen, dass die Isolation für Singles doch die ideale Zeit sei, um „in sich zu gehen“ und „sich selbst zu finden“. Soziale Kontakte könne man außerdem auf Skype verlagern, während man das Bedürfnis nach Sex und körperlicher Nähe durch erotische oder zärtliche Chats auf Tinder kompensieren solle.

Weihnachten ohne die Familie 

Meine Meinung: Solche Tipps kann man nur geben, wenn man glaubt, dass alle Menschen in Deutschland denselben, privilegierten Lifestyle pflegen wie man selbst. Oder, wenn man nicht weiß, wie es sich anfühlt, wenn man seit Tagen – oder Wochen – die Nähe einer geliebten Person vermisst hat.

Neulich veröffentlichte „WDR aktuell“ ein Interview mit der Neuropsychologin Lena Jelinek. Das Thema: Warum fällt es manchen Menschen schwer, sich an die Corona-Regeln zu halten? Als Grund wurden „fehlende Vorbilder“ und ein „unrealistischer Optimismus“ genannt. Der ignorante Glaube, dass viele Menschen den Ernst der Lage nicht verstünden und sich einfach mal zusammenreißen sollten, fühlt sich für manche Menschen bitter an. Audrey verbrachte Weihnachten etwa alleine, um ihre Familie nicht anzustecken.

Belgien schreibt Singles ein Sexleben vor

„Es nervt, dass Politiker bei Sonntagsreden immer nur die kleinbürgerliche Familie vor Augen haben. Alternative Lebensentwürfe fallen da komplett unter den Tisch“. Und: „Eigentlich kann der Staat dir nicht vorschreiben, mit wie vielen Leuten du dich triffst oder ob du trotz der Kontaktbeschränkungen Sex mit anderen Menschen hast. Aber genau das wird dir suggeriert: Dass du im Sinne der Pandemie lieber einsam bleiben solltest“, erzählt die Studentin.

Zumindest in Belgien hat der Staat keine Probleme damit, Singles ganz explizit ein spezielles Sexualleben vorzuschreiben. So legte die Regierung im Herbst 2020 fest, dass alle Belgier neben den Personen im eigenen Haushalt nur einen „Knuffelkontakt“ haben dürften. Also eine Person, mit der sie „knuffeln“, das heißt „knuddeln“ oder „knutschen“ dürfen. Für Alleinstehende machte der Staat eine Ausnahme: Ihnen wurde erlaubt, eine weitere Person zu empfangen, mit der das „Knuffeln“ aber verboten ist. 

Die Pandemie führt Menschen an ihre Grenzen  

Dass der Staat so weit in die intimen Sphären der Bürger eingreift, ihnen Berührungen und zwischenmenschliche Nähe verbietet, erinnert an Maßnahmen von totalitären Regimen. Dass diese Forderung in den Medien als besonders niedlich und progressiv bejubelt wurde, zeigt erneut, wie krass man in der öffentlichen Wahrnehmung die Probleme mancher Bevölkerungsgruppen ignoriert.

Um es kurz zu machen: Wenn sich Menschen nicht an die Kontaktbeschränkungen halten, dann liegt das nicht immer an der Leichtsinnigkeit der Menschen – sondern an einer nicht enden wollenden Pandemie, deren Auswirkungen die Menschen gerade an ihre psychischen Grenzen treibt. Und das gilt, wenn man sich die Schilderungen von befreundeten Familien anhört, nicht nur für Singles.

Anzeige