Sexueller Missbrauch in Katholischer Kirche - Natürlich hat das was mit dem Katholizismus zu tun

Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Marx, hat die Opfer des massenhaften sexuellen Missbrauchs unter dem Dach der Kirche um Entschuldigung gebeten. Doch der Umgang mit Sexualität ist verklemmt und bigott. Lesen Sie noch einmal den Artikel von Christoph Schwennicke

Priesterweihe: Sexualität auf verstohlenen Wegen / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Die Zahlen zunächst in Kürze, damit alle wissen, wovon die Rede ist: Die Katholische Kirche in Deutschland hat die Fälle sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen, meistens Messdienern, seit 1946 bis heute untersucht und in einer Studie zusammengefasst. Es sind in diesem guten halben Jahrhundert (des aufgeklärten 20. und 21. Jahrhunderts!) 3677 Fälle von 1670 Tätern, was einem Anteil von 4,4 Prozent aller Geistlichen des Katholischen Klerus hierzulande entspricht. Anders gesagt: Jeder 20. hat es getan. Mehr als jedes zweite Opfer sei höchstens 13 Jahre alt gewesen, in jedem sechsten Fall sei es zu Formen der Vergewaltigung gekommen.

Diese Zahlen, die vorab durchgesickert sind, sind ungeheuerlich. Sie fügen sich aber ein in ein weltweites Bild. Denn sexueller Missbrauch in der Katholischen Kirche ist ein globales Phänomen. 

Der Sexualtrieb lässt sich nicht wegbeten

Was hat sexueller Missbrauch mit dieser Religion, mit dieser Glaubensrichtung des Christentums zu tun? Die Frage ist in jedem religiösen Zusammenhang gerechtfertigt. So wird immer wieder, zu Recht, festgestellt, dass der Islamismus natürlich etwas mit dem Islam zu tun hat. Das stimmt. Und ebenso stimmt es, dass dieser sexuelle Missbrauch von Minderjährigen etwas mit dem Katholizismus zu tun hat. 

Es wird immer so sein, dass in Machtstrukturen Mächtige diese Machtstrukturen zur sexuellen Ausbeutung Abhängiger nutzen werden. In Schulen, beim Militär, an Universitäten, in Firmen. Aber bei der Katholischen Kirche kommt etwas hinzu: der generelle Umgang mit Sexualität. 

Der Sexualtrieb gehört zum Menschen wie der Herzschlag. Er lässt sich nicht wegbeten. Auch nicht durch Spiritualität sublimieren. Es ist eine zutiefst primitive Sichtweise, so zu tun, als habe der Mensch ein bestimmtes Maß an Energie, das er entweder der Sexualität oder Gott widmen kann. Denn das ist der Kern der Begründung des Zölibats. Die Priester sollen sich voll auf ihre Beziehung zu Gott und das Studium und die Verbreitung seiner Botschaft konzentrieren. 

Das ist hanebüchener Unsinn. Jeder normale Mensch weiß, dass ein befriedigendes Sexualleben und auch eine intakte Familie für Ausgeglichenheit sorgen und Kraft geben, nicht nehmen, jedenfalls unterm Strich, auch wenn Kinder und die Aufrechtererhaltung einer Beziehung natürlich auch Kraft kosten. Beides gibt aber am Ende mehr als es kostet. 

Archaische Bigotterie im Umgang mit Sexualität

Jeder Mensch weiß das und lebt deshalb danach. Nur katholischen Priestern ist dies aufgrund des Zölibats versagt. Deshalb sucht sich ihre Sexualität verstohlene Wege, muss diese suchen. Denn Priester sind Menschen und keine Halbgötter wie die Mischwesen in der griechischen Mythologie – bei denen Sex ganz nebenbei bemerkt bis in die Gottheiten hinein stets eine ganz große Rolle gespielt hat. 

Bitte also jetzt keine bigotte Empörung und Überraschung über die erschreckenden Ergebnisse dieser Studie. Sondern eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit, besser: Sinnlosigkeit des Zölibats. Oder hat jemand eine andere Erklärung dafür, dass unter Protestanten das Problem des sexuellen Missbrauchs von Pfarrern kein Thema in dieser Dimension ist? Und bitte auch keine billige Ablenkung, in die Richtung dass strukturell bedingte Männeransammlungen wie die Katholische Kirche eben überdurchschnittlich viele Homosexuelle anzöge, wo es doch überwiegend um Pädophilie geht. Das ist doppelt schäbig: Es lenkt ab, stigmatisiert und pathologisiert Schwule.   

Dem Katholizismus, dem christlichen Glauben generell, gebührt das Verdienst, jene Grundwerte, die heute konstitutiv für unser Gemeinwesen sind, kreiert und allgemeingültig gemacht zu haben. Er trägt aber bis heute eine Verklemmtheit und eine Bigotterie im Umgang mit der Sexualität mit sich herum, die ebenso archaisch ist. Genauso wie das Handeln jener, die im Namen des Islam und des Koran Gewalt gegen Andersgläubige ausüben. 

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