Schrebergärten als Integrationskurse - „Rhabarber gehört zur Leitkultur“

In der Coronakrise schlägt die Stunde der Schrebergärtner. Besonders in den Städten flüchten sich die Menschen in ihre Biotope, wo alles geregelt ist. Wladimir Kaminer hat seinen Kleingarten inzwischen verkauft. Im Interview verrät er, warum der die bessere Alternative zum Integrationskurs war.

„Der Schrebergarten verändert den Menschen“: Wladimir Kaminer / dpa
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Wladimir Kaminer ist Schriftsteller, Kolumnist und Veranstalter der bekannten Partyreihe „Russendisko". Das ist auch der Titel seines ersten Kurzgeschichtenbands, mit dem der gebürtige Moskauer 2000 den Durchbruch als Autor schaffte. Inzwischen sind 29 Bücher von ihm erschienen, u.a. auch „Mein Leben im Schrebergarten“, Goldmann, 10 Euro. 

Herr Kaminer, ich höre Vogelgezwitscher im Hintergrund. Erreiche ich Sie gerade in Ihrem Schrebergarten?
Nein, den Schrebergarten habe ich verkauft. Ich hab jetzt einen richtigen Garten in der Prignitz mit einem alten Haus, einer Grillanlage und einem Teich. Da sitze ich gerade. Hier gibt’s tatsächlich viele Vögel, und in diesem Jahr sind sie besonders laut und frech, weil sich die Menschen in der Coronakrise zurückgezogen haben.

Was meinen Sie denn mit einem „richtigen“ Garten?
In einem richtigen Garten ist der Gartenfreund der Zar. Er muss niemandem gehorchen. Es gibt keine Prüfungskommission und keine Pflanzbeauftragten. Und er hat die Freiheit, im eigenen Garten zu übernachten. Im Schrebergarten war das eigentlich nicht erlaubt. Aber das Hauptproblem waren die deutschen Kleingartengesetze. Wir haben es geschafft, innerhalb weniger Monate gegen alle zu verstoßen.

Dem Schrebergarten haben Sie ein Buch gewidmet. Darin heißt es, Schrebergärten seien Buddelkästen für Erwachsene, die nichts mit ihrer Freizeit in der Großstadt anzufangen wüssten. Das klingt nicht gerade, als hätten Sie den Garten aus Leidenschaft fürs Buddeln, Pflanzen und Rasenmähen gekauft.
Ach, wir haben uns diesen Schrebergarten eigentlich aus Spaß angeschafft. Wir hätten nie damit gerechnet, dass wir diese Parzelle wirklich kriegen. Das war ein Zufall.

Warum?
2007 hat ein Generationswechsel in dieser Schrebergartenkolonie stattgefunden. Die älteren Pächter hatten keine Kraft mehr, ihre Parzellen zu bestellen, und neue waren noch nicht in Sicht. Deshalb haben sie sogar uns Russen aufgenommen.

Ohne Vorbehalte?
Nein, die Nachbarn waren sehr hilfsbereit und freundlich, aber sie hatten natürlich auch Vorurteile. Russen, das seien Menschen, die von Natur aus faul sind und nur feiern und saufen wollen. Also, im Grunde genommen waren sie gar nicht sooo weit von der Wahrheit entfernt.

In Ihrem Buch kommen die Nachbarn aber gut weg.  
Das Buch ist ja auch eine Hommage an diese Gartenfreunde. Menschen, die aus dem Paradies vertrieben wurden, versuchen dieses Paradies im Schweiße ihres Angesichts auf einem kleinen Stück Erde im Maßstab 1:1.000.000 nachzubauen.

Paradies? Sie schreiben, die Kleingartenkolonie sei das letzte Bollwerk deutscher Spießigkeit – mit blickdichten Hecken, Stacheldraht auf den Zäunen und Deutschlandflaggen, die im Wind flattern. 
Am Anfang hat mich das wirklich gewundert, dass sie uns in dieses Bollwerk überhaupt reingelassen haben. Nach und nach lernte ich dieses Land und die Menschen aber besser kennen.

Was sind das für Menschen, die Deutschlandfahnen auf ihrer Scholle hissen? 
Es gibt in dieser Kolonie mehrere Deutschlands. Jede Parzelle ist ein eigenes Deutschland. Das wollen die Leute mit dieser Fahne ausdrücken. Auf ihrem Grundstück gelten ihre eigenen Vorschriften. Daran habe ich mich jetzt in der Coronakrise wieder erinnert. 

Warum?
Das öffentliche Leben wird auch gerade reglementiert. Ich kannte das schon aus der Kleingartenkolonie. Im Grunde genommen ist die der ideale Ort, um das Virus zu bekämpfen. Zwischen den Parzellen gibt es Hecken, Menschen halten gesunden Abstand zueinander. Und alles wird gemessen.

Im Buch heißt Ihre Kolonie „Glückliche Hütten“. Sind Schrebergärtner glücklichere Menschen?
Ach, Glück ist ein flüchtiger Zustand. Der Schrebergarten vermittelt ein Gefühl von Beständigkeit. Es ist eine Insel der Ordentlichkeit in einer chaotischen Welt. Und das brauchen die Menschen gerade jetzt in der Krise. 

Aber so ein Garten macht auch viel Arbeit, und Sie sind ein Freund des Feierns und Chillens. Wie passt das zusammen?
Ehrlich gesagt, habe ich dort gar nicht so viel gearbeitet.  

Aber Sie schreiben, Sie hätten an einigen Tagen vor Muskelkater nur auf allen Vieren kriechen können.
Echt? Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Die Gartenarbeit hat meine Frau gemacht, ich hab nur darüber geschrieben. Wir haben da so eine Arbeitsteilung. Weltfrieden oder Selbsterkenntnis, das mache ich. Blumen gießen, das macht meine Frau.

Sie haben häufig gegen die Regeln der Kolonie verstoßen. Welche Vorschrift hat sie am meisten genervt?
Dass es vor dem Gartenzaun einen Meter gibt, den man freihalten muss. Da darf kein Zweig über den Zaun wachsen, aber auch keine Wurzel im Boden. Ich nenne das den Todesstreifen.

Sie haben von einem Generationswechsel in den Schrebergärten gesprochen. Sind die neuen Pächter genauso spießig wie die alten?   
Ja, die Gesetze im Schrebergarten verändern die Menschen. Mein bester Freund Yuriy, mit dem ich die Russendisko-Partys veranstaltet habe, hat zur gleichen Zeit wie ich einen Schrebergarten gepachtet wie ich, und er ist noch immer sehr aktiv. Jetzt, in der Coronakrise, ist er jeden Tag im Garten. Der ist jetzt Teil seines Lebens. Er ist dort deutsch – und zu Hause Ukrainer. 

Was kann man in so einer Schrebergartenkolonie lernen, was man in einem Integrationskurs nicht lernen kann?
Vor Corona waren die Menschen immer unterwegs. Die fühlten sich nirgendwo zu Hause. Es war, als wäre der Planet eine Art Hotel. In diesem Schrebergarten geben sie alles, um dieses Stück Erde besser zu machen. Sie schmeißen da keine Kippen auf den Boden. Sowas lernt man in keinem Klassenzimmer. Ich würde vorschlagen, dass Menschen, die nach Deutschland kommen, sich alle in einer Schrebergartenkolonie integrieren.

Sie schreiben, Rhabarber gehört zur deutschen Leitkultur. Man muss ihn essen, auch wenn man ihn nicht mag. Der Begriff stammt aus der Klamottenkiste der CDU. Brauchen wir so eine Verständigung darüber, was typisch deutsch ist?
Doch, na klar. Wir müssen über die Kultur reden, das ist ganz wichtig. Aber diese deutsche Leitkultur muss auch europäisch sein. Jede Kultur lebt ja davon, dass sie sich mit anderen Kulturen austauscht. Sonst ist sie irgendwann tot.

Was kann die deutsche Kultur von Ihnen als Russen lernen?
Dass man durchaus gärtnern UND feiern kann. Gleichzeitig. 

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt. 

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