Scharf, schärfer, am schärfsten - Wie umgehen mit Chilis? 

Unser Genusskolumnist isst gerne auch mal ziemlich scharf. Das richtige Maß zu finden, war auch für ihn nicht ganz einfach. Mit den Zeitgenossen, die „Kann gar nicht scharf genug sein“ zur Weltanschauung machen, will er nichts zu tun haben. 

Im Zweifel doch lieber europäisch scharf: Chilischoten / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Es war eine nützliche Lektion. Als wir in Singapore im indischen Viertel ein Restaurant aufsuchten und verschiedene Currys – mit Lamm, Fisch oder Garnelen – bestellten, fragte uns der Kellner, ob wir es „original“ oder „europäisch“ scharf wollten. Hah! Was für eine Frage. Wir auf allen kulinarischen Weltmeeren gesegelten Genussfreunde wollten natürlich „original“. Seine leicht besorgte Miene und die Bemerkung, das sei dann aber „wirklich sehr scharf“, ignorierten wir geflissentlich. Was haben wir mit den kontinentalen Weicheiern zu tun, die hier sonst einkehren! 

Mit immer noch erkennbarem Zweifel servierte er einige Zeit später die Gerichte – alles sah köstlich aus, und roch auch köstlich. Doch schon die ersten Bissen machten uns unmissverständlich klar, dass wir ignorante Trottel sind. Mit einer Mischung aus Trotz und Scham versuchten wir, wenigstens die knappe Hälfte zu verspeisen, doch die Schmerzen wurden immer unerträglicher und fraßen sich vom Gaumen über die Speiseröhre in den Magen, lösten Hitzewallungen und Atemnot aus, und der lodernde Brand ließ sich weder durch trockenen Reis, noch durch Bier oder grünen Tee löschen. 

Chilis, bis der Arzt kommt 

Glücklicherweise hat dieses eher unschöne Erlebnis meiner Freude am differenzierten Spiel mit Schärfe bei der Zubereitung von Speisen keinen Abbruch getan. Vor allem Chilis in all ihrer Vielfalt haben es mir angetan. Deren Schärfe entsteht durch Capsaicin, ein fettlösliches Alkaloid, dessen Anteil mit der Einheit Scoville (SHU) gemessen wird. Während eine normale Peperoni bis zu 500 SHU aufweist, bringt es die weit verbreitete Chili-Sorte Jalapeño auf bis zu 15.000. Bei Habaneros können es auch 250.000 SHU sein, und speziell auf extreme Schärfe gezüchtete Sorten wie Carolina Reaper verzeichnen Spitzenwerte von über zwei Millionen SHU. Manche Zeitgenossen sehen das als sportliche Herausforderung, es gibt regelrechte Wettbewerbe, bei denen auch stets Notfallsanitäter zum Einsatz kommen. Mit Geschmack und Genuss hat das allerdings nichts zu tun. Andererseits gibt es Menschen, die schon Schweißausbrüche bekommen, wenn sie einen winzigen Chili-Krümel auch nur sehen. 

Ernährungssoziologe sieht Parallelen zur SM-Szene 

Den Ernährungssoziologen Daniel Kofahl erinnert das an die sexuelle Sphäre, wo man sich in der SM-Szene „glückselig lustvoll auspeitscht, während für die anderen schon ein leichter Klaps auf den Po ein Skandal sexueller Gewalt ist. Dazwischen gibt es wenig Töne“. Bei scharfem Essen sei es ähnlich: „Die einen nutzen das gesteigerte Empfinden durch die Schmerzreize, um sich völlig fortzuschießen, bis nur noch der pure Schärfeschmerz alles überlagert. Die anderen fürchten sich vor jedem kleinen Gaumenschmerz, als wäre der Höllenfürst der Gastronomie es selbst, der dieses Essen gekocht hätte.“ Genießer wüssten aber selbstverständlich, „dass Schärfe weder der Heiland noch der Beelzebub ist, sondern bloß eine schöne und breite Palette an sensorischen Erlebnissen bietet“. 

Schärfe kann Geschmacksverstärker sein 

Schärfe ist weder ein Geschmacksempfinden (wie süß, sauer, bitter, salzig und umami), noch ein Aroma. Schärfe ist schlicht ein Schmerzimpuls, der durch die Reizung von Rezeptoren der Schleimhaut hervorgerufen wird. Bis zu einem gewissen Grad kann dieser Impuls als anregend und angenehm empfunden werden und geschmacksverstärkend wirken. Doch der Grat zwischen dem optimalen, genussvollen Einsatz von Schärfe und den anfangs beschriebenen, äußerst unangenehmen Schmerzattacken ist sehr schmal und vor allem individuell sehr verschieden. Kulturelle Prägungen und allmähliche Gewöhnung spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. In großen Teilen Asiens und der Karibik sind scharfe Speisen viel mehr verbreitet als in Mitteleuropa. Und nichts in alberner als jene „Poser“, die mit stolzem Blick und sehr beherzt mit Chilikernen oder Tabasco nachwürzen – und dann nur mit äußerster Mühe verschleiern können, dass es ihnen eigentlich ziemlich schlecht geht und das Essen für sie faktisch ungenießbar geworden ist. 

Tipps für den genussvollen Umgang mit Chilis 

1.) Langsam an die individuelle Genussgrenze herantasten. Allen Mengenangaben in Rezepten misstrauen, oft ist es zu wenig oder zu viel. 

2.) Für genussferne „Extremsportler“ speziell gezüchtete Sorten wie „Carolina Reaper“ prinzipiell meiden. Sie sind nicht vernünftig dosierbar. Eine weit verbreitete und nicht extrem scharfe Sorte ist „Jalapeño“. Wer es schärfer mag, sollte mal „Habanero“ probieren. 

3.) Vorzugsweise frische Chilis verwenden, weil die außer Schärfe oft auch noch ein feines Fruchtaroma haben. Aber getrocknete gehen natürlich auch. 

4.) Chilis selber anbauen. Samen und Jungpflanzen gibt es in der Saison in jeder Gartenabteilung von Baumärkten. Meistens wird dort auch der Schärfegrad angegeben. Sie gedeihen problemlos auf dem Balkon oder dem Fensterbrett und lassen sich gut trocknen oder einfrieren. 

5.) Der Chili-Wirkstoff Capsaicin ist fett-, aber nicht wasserlöslich. Daher bei der Zubereitung entweder trocken anrösten oder mit Öl anbraten. 

6.) Wenn man für Gäste kocht, unbedingt an der geringsten Schärfetoleranz ausrichten, wenn man den Abend nicht versauen will. Bestimmte Freunde dann eben z.B. nicht zu einem Madras-Curry einladen, denn das braucht eine merkliche Schärfe, die viele überfordert. 

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