Sachbuch im Juni - Entertainer und Freunde

Influencer sind die neuen Superstars unserer Zeit, mit jeweils vielen Millionen Followern. Endlich liegt eine anspruchsvolle Studie zum Phänomen vor. Sie urteilt hart, aber überzeugend.

Influencer geben sich als nette Freunde. Oft sind sie jedoch nur Werbefiguren / Christian Schulz
Anzeige

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

So erreichen Sie Alexander Grau:

Anzeige

Sie heißen Pia Wurtzbach, Pamela Reif, Caro Daur oder Lisa und Lena. Die meisten Menschen hierzulande werden sie kaum kennen. Für viele Teenager jedoch sind sie Superstars: die Influencer. Pia Wurtzbachs Instagram-Account hat über 12 Millionen Follower. Bei Pamela Reif sind es 7,7 Millionen. Caro Daur hat immerhin noch knapp drei Millionen.

Der Influencer ist das Symbol des digitalen Kapitalismus. Und zugleich eine Karikatur des American Dream. Er scheint das alte Versprechen zu beglaubigen, dass jeder es schaffen kann. Doch nicht durch harte Arbeit, wie Generationen zuvor glaubten. Sondern durch Konsum, Spaß und Selbstvermarktung.

Erste Analyse des Influencertums

Der Influencer ist daher nicht nur eine Werbefigur wie einst der Melitta-­Mann oder der Marlboro-Cowboy, sondern Sinnbild einer Ideologie. Er wirbt nicht nur für Produkte, sondern zugleich für ein politisch-ökonomisches System und dessen Überbau: den globalen entgrenzten Kapitalismus.

Etwa 15 Jahre nachdem der Begriff „Influencer“ Einzug in das mediale Bewusstsein gehalten hat, ist nun die erste stichhaltige Analyse zu diesem Phänomen erschienen. Es wurde höchste Zeit. Und um es gleich zu verraten: Die beiden Autoren Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt sezieren in ihrem facettenreichen und dabei immer gut lesbaren Buch nicht nur das Phänomen des Influencers schonungslos, sondern auch die Gesellschaft, die es hervorgebracht hat, und deren herrschende Ideologie. Das ist auch deshalb wichtig, weil einschlägige medienwissenschaftliche Untersuchungen zum Thema auffallend verharmlosend und affirmativ daherkommen.

Marxistische Kritik

Nymoen und Schmitt lassen hingegen keine Sekunde einen Zweifel daran, für was sie die Produkte der Influencer halten: konsumistischen Schund, der zur Volksverdummung beiträgt und insbesondere Jugendliche ideologisch manipuliert. Die beiden Verfasser argumentieren dabei von einem explizit marxistischen Standpunkt aus. Was kein Hindernis ist, im Gegenteil. Und beide sind Youtuber. Wissen also, wovon sie reden. Schmitt unterhält seit neun Jahren den Kanal „Die Filmanalyse“, den vielleicht intelligentesten deutschsprachigen Beitrag zum Thema Film und Kino auf Youtube. Sein zusammen mit Co-Autor Nymoen bespielter wirtschaftspolitischer Podcast „Wohlstand für alle“ leidet hingegen etwas unter der marxistischen Perspektive. Die Stärke der beiden Autoren liegt eindeutig in der kultur- und ideologiekritischen Analyse. Genau die macht das vorliegende Buch so spannend.

Die Wurzeln des Influencers sehen Nymoen und Schmitt in dem medial überhöhten Konsumkult der neunziger und nuller Jahre, etwa in „American Psycho“ oder „Sex and the City“. Insbesondere die Serie um vier New Yorker Singlefrauen zelebrierte nicht nur einen extremen Konsumfetischismus (unterstützt durch entsprechendes Product-­Placement), sondern verband ihn mit einer stereotypen Idee moderner Weiblichkeit. Hier sind schon sämtliche Bil­derwelten versammelt, die wenig später Instagram und Co. prägen sollten.

Angebliche Freunde

Der Influencer ist, wie Nymoen und Schmitt herausstellen, eine Figur des Spätkapitalismus. Faktisch gibt es in den westlichen Wohlstandsgesellschaften keinen Konsumbedarf. Alle haben alles. Die meisten viel zu viel. Man kauft nicht, weil man etwas braucht, sondern um zu kaufen. Doch Werbung, die zum Kauf überreden soll, nervt auf Dauer. Der Influencer löst dieses Problem. Hier spricht keine Werbefigur mehr, sondern scheinbar eine Freundin, die ihre Follower an ihrem glamourösen Leben teilhaben lässt. Und man kann direkt mit ihr kommunizieren, indem man ihren neuen Bikini mit einem Flammen-Icon kommentiert.

Auch die Influencer selbst begreifen sich natürlich nicht als Erfüllungsgehilfen eines globalisierten Kapitalismus, sondern als Entertainer und Freunde. Sie sind die ersten Opfer der Ideologie, die sie verbreiten. Deutlich wird das an der verwendeten Sprache und ihren Leerformeln. Natürlich will der Influencer nicht werben, er will seine „Community“ vielmehr „inspirieren“ und „anregen“, „kreativ“ zu sein. „Doch die behauptete Pluralität ist bloß bunte Uniformität“, so Nymoen und Schmitt. Der „Content“ wird einfach aneinandergereiht. Produkt folgt auf Produkt. Zugleich wird so die Logik der Algorithmen in die Köpfe der Follower implantiert: Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch jenen.

Fassade entlarvt

Hinter den immer gleichen Inszenierungen, Phrasen, Posen und Gesten steht die Sehnsucht nach Individualität und Authentizität. Doch „Instagram-­Profile und Youtube-Kanäle sind vor allem Orte der Konformität“, wie die beiden Verfasser diagnostizieren. Das zeigt sich insbesondere bei der Inszenierung der Körper, unterstützt durch die Bildbearbeitung der Instagram-App. Traditionelle Geschlechtsstereotypen werden hier geradezu karikiert: Die Taille wird noch schmaler, der Busen noch höher, der Bizeps noch gestählter. Der Köper wird zur Ware, aber zugleich wirkt alles steril und prüde.

Dazu passend herrscht in der Influencer-Welt ein infantiler Ton mit großen Gesten, naiver Begeisterung und hohlen Phrasen: „Lass Deine Träume nicht nur Träume sein!“

Nymoen und Schmitt entlarven in ihrer kurzweiligen und aufschlussreichen Analyse nicht nur die Verlogenheit und Widersprüchlichkeit des Influencer-­Kosmos, sondern auch die Gefahren, die er mit sich bringt. Denn der Geist, der hinter der schrillen Fassade herrscht, ist im Kern totalitär. Die Vielfalt ist simuliert, und die fröhliche Unbeschwertheit Fassade vor einem Verwertungszusammenhang, der von den Protagonisten selbst nicht durchschaut wird. Ein wichtiges Buch. Und nebenbei sei es auch für die Lektüre in der Oberstufe dringend empfohlen.

Ole Nymoen/Wolfgang M. Schmitt. Influencer: Suhrkamp, Berlin 2021. 192 Seiten, 15 €

 

Dieser Text stammt aus der Juni-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

 

Jetzt Ausgabe kaufen

 

Anzeige