Wirtschaftspolitik nach der Pandemie - Postcoronomics? Ein Irrweg!

Schon Ende 2021 dürfte der Geschäftsklimaindex aufs Corona-Vorkrisenniveau klettern. Nach Corona ist also manchmal wie vor Corona. Nicht alles muss völlig neu gedacht werden. Zum Beispiel die Wirtschaftspolitik: die Bedingungen und Grenzen staatlicher Intervention.

Wir müssen nicht wegen jeder Krise all unsere wirtschaftspolitischen Instrumente über den Haufen werfen/ Caro (Fotofinder.com)
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Autoreninfo

Rainer Hank (Foto dpa) ist Publizist und regelmäßiger Kolumnist im Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

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Die deutsche Wirtschaft schüttelt die Corona-Krise ab. Bundesregierung und Wirtschaftsforscher haben im Verlauf des Frühjahrs ihre Prognosen kontinuierlich angehoben. Der Geschäftsklimaindex des Münchner Ifo-Instituts, der die Erwartungen der Unternehmen abbildet, kletterte im Juni auf einen neuen Höchststand. Schon im vierten Quartal 2021 dürfte das Vorkrisenniveau erreicht werden. Was besonders erfreulich ist: Die Firmen sind auf der Suche nach Beschäftigten, der Arbeitsmarkt ist stabil. Die befürchtete Pleitewelle ist ausgeblieben.

Wir könnten bald die Roaring Twenties des 21. Jahrhunderts erleben. Dafür spricht das vitale Bedürfnis vieler Menschen, endlich wieder in vollen Zügen zu leben. Dem gesellen sich ökonomische und historische Fingerzeige hinzu. Die Menschen wollen das Geld ausgeben, das sie in der Pandemie zwangssparen mussten. Schaut man sich die Szenarien an, so wird in allen G-7-Ländern in diesem Jahr ein Wohlstandsgewinn erwartet. Er reicht von mehr als 6 Prozent Wachstum in den USA über 3,6 Prozent in Deutschland bis zu gut 3 Prozent in Japan.

Realitätsferner Staatsinterventionismus

Einen derart synchron verlaufenden Aufschwung, noch dazu in dieser Stärke, hat die Weltwirtschaft seit den fünfziger Jahren nicht mehr erlebt. Das spült den Staaten Steuergeld in die Kasse: Der deutsche Finanzminister rechnet schon Anfang 2022 mit Einnahmen, die über dem Vor-Corona-Niveau liegen.

Zu diesen optimistischen Postcoronomics des deutschen Sommers 2021 passt der Sammelband „Postcoronomics“ wie die Faust aufs Auge. Die vom Präsidium des Wirtschaftsforums der SPD in Auftrag gegebenen Beiträge atmen den pessimistischen Geist der Jahreswende 2020/2021, als die Inzidenzzahlen der Corona-Infektionen abermals exponentiell nach oben schnellten und die Sorge vor überfüllten Intensivstationen und einem neuen Lockdown umging. Dass die Impferfolge auch in Deutschland wie ein Konjunkturprogramm wirkten, war damals in der Tat nicht absehbar. Konsequent malen die Herausgeber des Bandes schwarz: Sie befürchten hohe Arbeitslosigkeit, schwaches Wachstum und zunehmende Insolvenzen. 

Dass das Buch den ängstlichen Zeitgeist der Corona-Monate spiegelt, ist den Autoren nicht vorzuwerfen. Es handelt sich um eine Auswahl damals erschienener Beiträge des „Blogs politische Ökonomie“. Mein Mitgefühl ändert freilich nichts daran, dass der Wert der wirtschaftspolitischen Folgerungen schrumpft, wenn schon die Voraussetzungen nicht stimmen. Ohnehin liegt der Verdacht nahe, dass nicht wenige der Beiträge den von Corona angerichteten Niedergang klammheimlich argumentativ benötigen – ist wirtschaftspolitischer Pessimismus doch die Voraussetzung für fiskalisch opulenten Staatsinterventionismus, der den tonangebenden Sound des Buches bestimmt. 

 

Das alles kommt appellativ daher, nimmt es meist zwei Nummern zu groß und scheut selten das Klischee: Corona sei eine „Zäsur, die unsere Leben grundsätzlich verändert habe“, meint SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Es bedürfe „massiver Anstrengungen“ und „zentraler Richtungsentscheidungen“, um die „Zukunftsfähigkeit“ Deutschlands nicht zu gefährden. Das könnte man als unverbindliche Allerweltsprosa abtun, verbärge sich dahinter nicht die Absicht, alle fiskalischen Schleusen zu öffnen und die den Haushalt disziplinierende Schuldenbremse im Grundgesetz zu killen. „Viel Geld“ will der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans in die Ökonomie pumpen. Wofür? Klar, für Bildung, Infrastruktur und Dekarbonisierung. Ein im Juni nachgeschobenes Strategiepapier des Wirtschaftsforums schlägt einen mit 45 Milliarden Euro ausgestatteten staatlichen „Transformationsfonds“ vor. Woher will die SPD sich das Geld holen? Auch klar: Von den Reichen, denen sie die Steuern erhöht, und von künftigen Generationen, die irgendwann die massiv ausgeweiteten Staatsschulden an der Backe haben.

Kann man im Ernst der Sozialdemokratie nahestehenden Autoren vorwerfen, dass sie sich für Staatsinterventionismus und keynesianische Verschuldungspolitik starkmachen? Ja, das kann man. Vieles spricht nämlich dafür, dass mit „Deficit Spending“ der Weltwirtschaft in der derzeitigen Situation mehr Schaden als Nutzen zugefügt wird. John Maynard ­Keynes, der ökonomische Held der Linken, wurde nicht müde, den Staaten zu empfehlen, zwar den Abschwung expansiv abzufedern, in guten Zeiten aber zu sparen. 

Blogbeiträge machen noch kein Buch

Roaring Twenties sind nicht dazu geeignet, die Staatsverschuldung aufzublähen. Und zwar weniger aus moralischen („schwäbische Hausfrau“) denn aus ökonomischen Gründen: Das hätten die Autoren der „Postcoronomics“ bei Larry Summers, einem bekennenden, in Harvard lehrenden Keynesianer nachlesen können, hätten sie ihre Blogs nicht allzu voreilig zum Buch gemacht. Summers warnt: Es ist ohnehin schon zu viel Geld in der Welt. Zu viel Nachfrage, zu wenig Angebot. Das muss zwangsläufig zu Inflation führen. Nicht Arbeitslosigkeit, wie „Postcoronomics“ meint, sondern Arbeitskräftemangel ist das künftige Problem. Das treibt die Löhne und über kurz oder lang eben auch die Verbraucherpreise.

Bestreiten will ich gar nicht, dass der Klimaschutz die größte Herausforderung der kommenden Jahre werden wird, wie es in jedem zweiten Beitrag des Bandes heißt. Und dass der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft sinnvoll ist, kann gut sein. Doch solche Erkenntnisse sind wenig originell und haben mit Post-Corona nichts zu tun. Bestritten werden soll auch nicht, dass unter 70 Aufsätzen des Bandes auch ein paar Trouvaillen sich finden, die wert sind, gelesen zu werden: Gabriel Felbermayr über den dringend nötigen Grenzausgleich für Kohlendioxid-Emissionen etwa oder Michael Hüther über die erfolgreich bewältigte Bewährungsprobe des Sozialstaats in der Krise. 

Doch insgesamt lehrt der Band: Blogbeiträge sind Texte für den Tag und nicht für ein Buch. Und: Nicht jede Krise hat eine neue Postökonomie nötig. Falls doch, sollten wir mehr Zeit verstreichen lassen, darüber nachzudenken. Einen Schnellschuss braucht niemand.

M. Frenzel/M. Machnig/I. Zenke (Hg.): Postcoronomics. Neue Ideen für Markt, Staat und Unternehmen. Dietz, Bonn 2021. 360 Seiten, 26 €

 

Dieser Text stammt aus der August-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

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