Rassismusvorwürfe gegen Churchill - Raserei statt Reflexion

Erst Greta, dann die Corona-Wutbürger– und jetzt die Rassismus-Rebellen. In Großbritannien stürzen sie Denkmäler von prominenten Persönlichkeiten vom Sockel, die des Rassismus beschuldigt werden. Jetzt hat es Winston Churchill getroffen. Wer kommt als nächstes?

Sturm auf Churchill: Demonstranten auf dem Parliament Square/dpa
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Als im mittelenglischen Bristol die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston im Hafenbecken versank, da dachte ich noch: Na gut, Bristol, ein Sklavenhändler vom Sockel geholt, das passt irgendwie. Bristol ist so etwas wie das britische Kreuzberg, nur mit Meerzugang. Junge Leute zieht der Ort magisch an, er ist hip, Banksy kommt von dort. Oder wird jedenfalls als von dort kommend vermutet. 

Aber als Sadiq Khan Winston Churchill am Parliament Square in London in einem Bretterverschlag verschwinden ließ und Nelson Mandela und ein paar andere Standbilder in der britischen Hauptstadt gleich noch mit, da dachte ich, jetzt drehen offenbar alle durch, und Londons Bürgermeister macht dabei mit. 

Grandiose Memoiren

Vor vielen Jahren, als ich SZ-Korrespondent in London wurde, schenkte mir ein liebenswerter Kollege eine schöne antiquarische Ausgabe der sechsbändigen Memoiren von Winston Churchill. Ich habe sie nicht am Stück durchgelesen, aber immer wieder einen Teil davon. Es ist eine grandiose Lektüre. Churchill hat für dieses Werk, ein Sachbuch, den Literaturnobelpreis bekommen. Ungewöhnlicherweise, aber völlig zu Recht. 

Die sechs Bände stehen immer noch hinter mir in meinem Büro im Regal, neben mehreren Biografien über ihn, von Roy Jenkins oder Sebastian Haffner. Hinter meinem Schreibtisch hängt ein Poster, ein Mitbringsel aus dem Cabinet War Rooms unter Downing Street. „Deserve Victory!“ begrüßt mich der Alte jeden Morgen und zeigt mit dem Finger auf mich. 

Bücher in die Spree? 

Muss ich die Bücher jetzt in die Spree schmeißen? Das Poster von der Wand nehmen? Was, wenn die Sittenpolizei vorbei kommt und sieht, dass ich dieses Bildnis des britischen Ungeheuers an meiner Wand hängen habe? 

Man könnte jetzt sagen: Auch dieser rasende Irrsinn geht wieder vorbei. So wie in jüngster Zeit alles rasend schnell und mit Wucht kommt. Und genauso schnell auch wieder weg ist. Gerade war noch Greta, dann der Corona-Wutbürger mit Hauptsitz in Stuttgart. Jetzt die Rassismus-Rebellen, die Bilderstürmer, die Kulturkämpfer, die die falschen Götzen von den Sockeln stürzen. Das Rückenmark regiert. Es sind Reflexe, keine Reflexionen, man könnte also einfach die Schultern zucken und sich gar nicht groß das zerbrechen, das besser denken kann als das Rückenmark. 

Geschichtsvergessenheit und Selbstgerechtigkeit

Aber ganz so leicht geht das nicht. Weil die Geschichtsvergessenheit und Selbstgerechtigkeit dieser Sittenpolizei nicht einfach hingenommen werden darf. Was geht in einem Bürgermeister von London vor, wenn er kapituliert und Churchill lieber gleich selbst unsichtbar macht, bevor es der Mob macht? Sind in Deutschland etwa Synagogen verrammelt worden, als beschämenderweise Anschläge gegen jüdische Gotteshäuser zunahmen? In Berlin stehen vor all diesen Einrichtungen Polizisten. Warum kann London seine Denkmäler nicht so schützen, dass man sie trotzdem sieht? 

Aktivisten fragen Aktivisten

Es geht nicht darum, Winston Churchill zum Heiligen zu erklären. Er ist aber in jedem Fall eine große Persönlichkeit der britischen Geschichte. In seinem Namen sind gute Dinge passiert und schlechte auch. Wer will die gegeneinander aufrechnen? Hat Churchill mehr Leid über die Welt gebracht als Karl Marx und Friedrich Engels, die beide völlig zu Recht in Berlin nahe des Alexanderplatzes stehen? Weil sie mit ihrer politischen Philosophie die Welt geformt haben. 

Aber Churchill wird jetzt der Prozess gemacht. Aktivisten, die in den Journalismus gegangen snd, löchern Aktivisten, die an die Universität gegangen sind und dort Interessenpolitik unter dem Mantel der Wissenschaft betreiben, mit Fragen, die keine sind. Sondern Einladungen das zu sagen, was von der fragenden Person erwünscht wird. So wie Kehinde Andrews, Jahrgang 1983, Professor an der Universität Birmingham. Er hat den ersten Black-Studies-Studiengang in Großbritannien mit aufgebaut. Andrews forscht zum Thema schwarzer radikaler Aktivismus. Er rechtfertigt den Kulturkampf derjenigen, die den Sklavenhändler in die Mündung des River Avon geworfen haben: „Sie hätte von mir aus gern im Hafenbecken bleiben können. Das wäre der perfekte Ort gewesen“, sagt er im Spiegel

Mit Affengeräuschen bedacht

Es ist gut und richtig, an die Wurzeln des Rassismus zu gehen und also auch in die Kolonialzeit zurück. Aktueller Rassismus ist ein Phänomen, dass man nicht hinnehmen darf. Es ist ekelhaft und beschämend, wenn dunkelhäutige Fußballspieler in deutschen Stadien, als dort noch Zuschauer sein durften, mit Affengeräuschen bedacht wurden, wenn sie am Ball waren. 

Aber das hier, das hat alles kein Maß und auch keinen Verstand. Bei Bristol mündet der River Avon ins Meer. Vorher, lang vorher fließt er durch das kleine Städtchen Stratford-upon-Avon, das eine Art Freilichtmuseum für dessen berühmtesten Sohn geworden ist. Wollen die Bilderstürmer von Bristol nun auch flußaufwärts tätig werden und Shakespeare entsorgen, den wahrscheinlich größten Dichter, den Europa hervorgebracht hat?  

Warum nicht gleich Shakespeare, Platon, Sokrates?

Aber ist sein Mohr von Venedig, ist Othello nicht bar jeder Vernunft? Und ist nicht der Jude Shylock ein skrupelloser, blutrünstiger Händler? In den Avon mit ihm, diesen Rassisten und Antisemiten Shakespeare! Und wenn  wir schon eben dabei sein, dann gehen wir doch gleich noch etwas weiter zurück in der Geistesgeschichte dieses Kontinents und verbannen Platon und Sokrates aus dem Kanon, stürzen ihre Bildnisse vom Sockel. Beide hatten Sklaven in ihren Haushalten und haben in ihren Lehren auch noch nicht alle Grundzüge eines heutigen Multikulturalismus beherzigt, lupenreine Demokraten im heutigen Sinne waren sie auch nicht. Hinfort mit Ihnen, es gibt noch viel zu tun für die Kämpfer gegen die falschen Götzen.

Und die Zeit ist knapp. Die nächste Wutwelle gegen irgendwas anderes baut sich bestimmt schon irgendwo auf, wir sehen sie nur noch nicht. Aber die Reflexe machen sich schonmal bereit.   

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