Proteste gegen Corona-Demos - Was macht die Antifa denn da?

Die Antifa hat eine neue Aufgabe gefunden: Sie setzt jetzt die Maskenpflicht in der Berliner S-Bahn durch, blockiert Corona-Proteste Seite an Seite mit der Staatsmacht und bekommt dafür Applaus in den sozialen Medien. Dabei gäbe es Gründe genug, selbst gegen die Corona-Politik auf die Straße zu gehen. Ein paar Gedanken zur Lage des deutschen Antifaschismus.

Die Antifa mobilisiert jetzt gegen die Corona-Proteste, wie hier in Berlin / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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„Jeder anständige Mensch, der gegen Faschismus, Rassismus, Sexismus und Rechtsextremismus aufsteht. Jeden Tag. Denkt alle daran, jeder von uns ist Antifa! Wir überlassen die Welt nicht den Faschisten und Mördern. Daher: #DankeAntifa“, twitterte jüngst eine junge Medizinstudentin, offenkundig leicht erregt, die mit einem Ausrufezeichen „Eulenrechtlerin!“ ist, mit zwei Ausrufezeichen „Links-grün!!“ und mit gleich drei Ausrufezeichen eine „Echte Feministin!!!“, wie ihrer Profilbeschreibung zu entnehmen ist.

Auf Twitter teilt die junge Dame sonsten gerne Inhalte, die sich mit „Cis-Männern“ und dem Patriarchat beschäftigen, oder hilft auch mal dabei, für einen schwarzen Kater namens Lily (?) ein neues Zuhause zu finden, weil er sonst eingeschläfert werden muss. Letzteres ist äußerst ehrenwert. Zu dem Retweet mit den Cis-Männern möchte ich mich nicht weiter äußern, weil ich da biased bin – oder war’s geframed? Wie auch immer: Aber was das Dritte betrifft, das mit der Antifa, verdient dann doch ein paar Zeilen.

Die Medizinstudentin ist nämlich nicht die einzige, die derzeit unter „#DankeAntifa“ twittert – obwohl mir „#Dankifa“ besser gefallen hättte, aber was soll’s – und sich dafür bedankt, dass Antifa-Gruppen jetzt deutschlandweit gegen die Corona-Proteste mobilisieren. Ich stelle mir in dem Zusammenhang zwei ganz konkrete Fragen. Wissen diejenigen, die sich auf Twitter bei den Linksradikalen bedanken, eigentlich, wem sie sich damit anbiedern? Und warum macht die Antifa das überhaupt, also gegen Corona-Proteste auf die Straße zu gehen? Schließlich richten die sich ja zuvorderst gegen staatliche Maßnahmen.

Ein Etikett für politische Standpunkte

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich habe nichts gegen Menschen, die meinen, für ihre politischen Standpunkte eine Art Etikett zu benötigen, in dem Fall eben „Antifa“. Das macht es wohl schlicht einfacher, neue Freunde in der linken Kneipe oder schnell Anschluss beim nächsten Klimastreik zu finden. Und ich weiß aus erster Hand, dass es selbst unter Menschen, die sich eher als Linksaußen sehen, viele sehr kluge und kurzweilige Zeitgenossen gibt, mit denen man ganz wunderbar auf ein paar Bier gehen und ganz sachlich über Politik diskutieren kann. Aber per Du mit der Antifa zu sein, ist halt nochmal eine andere Nummer.

Nein, ich störe mich nicht an dem Label „Antifa“ generell, sondern daran, wofür es eben auch steht. Und ich sage deshalb „auch“, weil mir bewusst ist, dass die Antifa kein Verein ist wie der Münchner Kajakfahrerclub mit einer festen Satzung, sondern eher ein inhomogener Haufen, der auch untereinander immer mal wieder uneins ist, zum Beispiel in Sachen Israel.

Und dennoch: Was mich betrifft – siehe eingangs erwähnten Tweet – würde ich gerne weiterhin gegen Faschismus, Rassismus, Sexismus und Rechtsextremismus sein wolllen, ohne dafür in schwarzer Funktionskleidung  gegen den Kapitalismus zu demonstrieren. Oder, wie bei G20 in Hamburg damals, irgendwelche Kieze verwüsten zu müssen, was vor allem zur Folge hat, dass irgendein Arbeiter von der Stadtreinigung – nicht selten mit Migrationshintergrund – am nächsten Tag wieder Überstunden schieben muss, weil gelangweilte Wohlstandverwahrloste ein bisschen Revolution spielen mussten.

Ich finde außerdem – und das ist einer meiner Hauptkritikpunkte an der Antifa – dass es eben nicht besonders nett ist und ein bisschen unreif, Menschen immer gleich „Faschist“ zu schimpfen, wenn die eine andere Meinung zu Themen wie Grenzkontrollen oder Integration haben. Hinzu kommt: Für das Jahr 2020 wurden unter anderem fünf versuchte Tötungsdelikte durch Linksextreme registriert, außerdem 423 Körperverletzungen und 173 Brandstiftungen – und auch diejenigen, die dahinterstecken, nennen sich dann „Antifaschisten“. Der Fall Lina E. ist so einer, den der Spiegel in dem Zusammenhang sehr eindrücklich aufgeschrieben hat, und der gut als Exempel taugt, warum man sich lieber zwei Mal überlegen sollte, wem man wie zujubelt. 

Abgerissene Mercedes-Sterne

Das ist das eine. Das andere ist dies: Ich frage mich nämlich auch, wie es mittlerweile um den deutschen Antifaschismus bestellt ist. Ich habe die Antifa – und mir ist bewusst, dass das Beispiel, das gleich folgt, ein anekdotisches ist – in Summe immer als staatskritisch und antiautoritär wahrgenommen. So wie meinen Jugendkumpel Max, der selbstredend anders heißt und in der bayerischen Kleinstadt, in der wir zur Schule gegangen sind, für schätzungsweise die Hälfte aller abgerissenen Mercedes-Sterne verantwortlich war. Ich finde das nicht gut, wirklich nicht, aber Max‘ Geschichte hilft mir dabei, hier einen ordentlichen Übergang hinzubekommen.

Max jedenfalls hat wirklich viel Mist gebaut in seinen jungen Jahren und eine ganze Menge Grenzen überschritten, aber in einer Sache war er sich immer treu: in der Überzeugung, dass die Staatsmacht vieles sein mag, aber nicht sein Kumpel. Doch entweder war Max nicht wirklich Antifa oder irgendwas ist im deutschen Antifaschismus eben ins Wanken geraten. Anders kann ich mir jedenfalls nicht erklären, dass zum Beispiel in Berlin Leute, die sich Antifa nennen, sogenannte „Querdenker“ aus der S-Bahn drängen, weil die sich nicht an die Maskenpflicht halten. Das ist ja quasi vermummtes Ordnungsamt, sozusagen Coronamaßnahmen-Guerilla.

Die Sache mit der Staatsferne

Nun ist mir freilich bewusst, dass das mit der linken Szene und der Staatsferne so eine Sache ist. Denn bekanntermaßen stellt die Bundesregierung jährlich eine Milliarde Euro für den „Kampf gegen Rechts“ zur Verfügung. Da sind gewiss viele ehrenwerte Projekte dabei, aber dass daran auch Linksradikale oder Linksextreme partizipieren, liegt auf der Hand, weil am politischen Rand die Grenzen eben fließend sind – und ja selbst demokratisch gewählte Spitzenpolitiker gewisser Parteien sichtlich Schwierigkeiten haben, sich von den Linksradikalen abzugrenzen. Oder zumindest wenig reflektiert mit dem Begriff „Antifa“ oder Slogans wie „Antifa bleibt Handarbeit“ um sich werfen.

Hinzu kommen etwa Steuererleichterungen, die sich linke Kulturvereine über die Sache mit der Gemeinnützigkeit sichern, was im Prinzip indirektes Geld vom Staat ist. Von der Kultur- und Theaterszene mal ganz zu schweigen, die sich über weite Strecken klar als links oder sehr links definiert, auch viel Systemkritik macht, aber ansonsten blendend vom System profitiert. Dass Behörden, Polizei und Antifa jetzt aber auch noch Schulter an Schulter gegen die Corona-Proteste stehen, das ist schon eine neue Dimension, finde ich.

Die einzelnen Antifa-Gruppen begründen ihren Gegenprotest freilich damit, dass sie dort eine antifaschistische Aufgabe zu verrichten hätten. Die Nordstadtblogger aus Dortmund etwa zitieren eine gewisse Kim, die einer Gruppe namens Autonome Antifa 170 angehört, mit den Worten: „Unter dem Label ,Querdenken’ versammelt sich von Corona-Leugner:innen über Verschwörungsideolog:innen bis zu Antisemit:innen eine gefährliche Mischung, der wir uns entgegenstellen wollen.” In ihren Ohren mag das, was sie sagt, komplett Sinn machen, und ich weiß auch nicht, was in Dortmund ganz konkret abgeht. Ich habe dennoch so meine Zweifel, was die Sache mit den Anti-Corona-Protesten-Protesten betrifft.

Faschismus, Feminismus, Rassimus

Ich wundere mich unter anderem deshalb, weil es zwischen der Kritik an der Corona-Politik und dem, wofür die Antifa eigentlich stehen will, dann doch einige Schnittmengen gibt. Trotzdem stellen sich Vertreter der Antifa nun de facto an die Seite eines autoritär auftretenden Staates, der derzeit mit Hilfe der Polizei unter anderem Demonstrationen gegen ihn unterbindet, was schon per se eigentlich nicht im Sinne der Antifa sein dürfte – und von ihr in anderem Zusammenhang sicherlich als „faschistoid“ gebrandmarkt worden wäre.

Außerdem leiden unter den Corona-Maßnahmen vor allem jene, die es ohnehin schon schwer genug haben, weil sie zum Beispiel in prekären Verhältnissen leben. Und das trifft vielerorts eben auf Menschen mit Migrationshintergrund zu, Stichwort: struktureller Rassismus. Überdies haben die Fälle häuslicher Gewalt im Zuge der Corona-Politik zugenommen, und nicht wenige Frauen sind in den vergangenen zwei Jahren auch zurückgeworfen worden auf ihr Mamasein, was nun wirklich nicht im Sinne des Feminismus scheint, wie er von linker Seite ansonsten bei jeder Gelegenheit propagiert wird. Von der sozialen Schere, die sich noch einmal geweitet hat, ganz zu schweigen (Stichwort: Kapitalismus).

Nun mag es zwar so sein, dass auf den Corona-Protesten auch wirklich unangenehme Zeitgenossen herumlaufen, aber schon die schiere Zahl der Protestler – 188.000 waren es zuletzt auf über 1500 Demos – spricht eher dafür, dass summa summarum doch eine gewisse Heterogenität herrscht, wo Menschen derzeit gegen die Corona-Maßnahmen und die Idee einer gesetzlichen Impfpflicht auf die Straße gehen. Meine These ist, dass da ein gewisser Querschnitt der Gesellschaft demonstriert, was unter anderem zur Folge hat, dass, je weiter rechts die Menschen vor Ort stehen, desto weiter rechts auch die jeweiligen Corona-Proteste angesiedelt sind. Aber das zu erläutern, würde hier den Rahmen sprengen. Und es ist, wie gesagt, eben nur eine These.

Weniger steinig und staatskonform

Nun kann ich – aus Antifa-Perspektive – gut verstehen, dass man sich eher nicht an Protesten beteiligen will, bei denen auch Leute aus der Reichsbürger-Szene teilnehmen oder, wie in Bautzen etwa, einige Glatzen mitmarschieren. Mal ganz unabhängig davon, wie das tatsächliche Zahlenverhältnis zwischen Rechtsaußen und dem Rest bei diesen Protesten eigentlich ist. Im Umkehrschluss frage ich mich gleichwohl, warum die Antifa aufgrund all dessen und mehr nicht eigene Proteste gegen zumindest die autoritären Facetten der deutschen Corona-Politik organisiert? Ist das nicht eigentlich Teil ihrer DNA?

Denn es ist doch so: Man kann sehr wohl für das Impfen sein, wenn man Impfen als Akt der Solidarität begreift. Ich finde das zwar nicht schlüssig, wenn ich mir beispielsweise die Zahl der Impfdurchbrüche ansehe, aber das tut erstmal nichts zur Sache. Parallel kann man dann trotzdem gegen einzelne Corona-Maßnahmen sein und gegen einen autoritär auftretenden Staat und überdies sogar eigene Themen setzen, die einem wichtig scheinen. Was wohl aus Max geworden ist?

 

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