Neuer Pressekodex - Die Sonntagsschule der Moralisten

Der ehemalige Spiegel-Journalist Georg Diez und der Ex-Staatssekretär Farhad Dilmaghani fordern einen neuen Pressekodex. Demnach soll es Medien verboten sein, über rechte Themen, Personen und Ideologien zu berichten. Ein reaktionärer Eingriff in die Pressefreiheit

Rückkehr der Sonntagsschule? Bitte nicht! / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Bernd Stegemann ist Dramaturg und Professor an der Hochschule für Schauspiel (HfS) Ernst Busch. Er ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschienen von ihm das Buch „Die Öffentlichkeit und ihre Feinde“ bei Klett-Cotta und „Identitätspolitik“ bei Matthes & Seitz (2023).

So erreichen Sie Bernd Stegemann:

Anzeige

Der AfD wird oft vorgeworfen, sie wolle zurück in die muffigen 50er Jahre, als die Welt noch übersichtlich eingeteilt war. Mit diesem Wunsch ist sie spätestens seit dem bizarren Vorstoß zweier Vordenker der guten Gesellschaft nicht mehr allein. Die Autoren Georg Diez, Exjournalist des Spiegel, und Farhad Dilmaghani, Staatssekretär außer Dienst, haben sich die Mühe gemacht und eine Änderung des Pressekodexes für das Online-Magazin Krautreporter ausformuliert. Und man kann es kaum glauben, sie nehmen die 50er Jahre zum Vorbild, namentlich den Erziehungsauftrag der Siegermächte, dem deutschen Volk die Werte der Demokratie und Freiheit nahe zu bringen.

Was unter dem wenig verlockenden Wort der „Reeducation“ lief und von bösen Zungen als Umerziehung tituliert wurde, ist eine historisch sinnvolle Arbeit am politischen Bewusstsein der Deutschen gewesen. Wollte eine Nation, die die größten Verbrechen der Menschheit zu verantworten hatte, wieder ein Mitglied der zivilisierten Welt werden, konnten von ihr einige Anstrengungen erwartet werden. Wenn hingegen im Jahr 2019 zwei Autoren ernsthaft den Vorschlag machen, die Rundfunkanstalten und Verlagshäuser sollten sich einem verschärften Konzept der Reeducation verschreiben, ist das doch befremdlich. Was genau wird hier gefordert?

Fehlinterpretation des Urteils gegen Björn Höcke

Die ganze Argumentation beginnt mit einem leider verbreiteten Irrtum. Dass man nun, richterlich bestätigt, Björn Höcke einen „Faschisten“ nennen darf, wird von den Autoren dahingehend fehlinterpretiert, dass nun richterlich festgestellt sei, dass er ein Faschist ist. Würde dieser Schluss stimmen, dann wäre Renate Künast einiges, das man hier nicht wiederholen möchte. Der Unterschied zwischen Meinungsfreiheit und Tatsachenbehauptung ist offensichtlich für viele noch immer schwer zu verstehen. Dass ich jemanden als dicken Rudi bezeichnen darf, bedeutet weder, dass er dick ist, noch dass er Rudi heißt.

Die Minimalforderung an logisches Denken oder juristischen Sachverstand erfüllen die beiden Autoren also nicht, aber das hält sie bei ihrem Auftrag, die deutsche Öffentlichkeit auf Kurs zu bringen, nicht auf. So führt ihre logische Rutschpartie zu dem verunglückten Interview, das das ZDF mit Björn Höcke gemacht hat. Und hier beginnt ihr großer Ärger. Denn was die einen als einen gelungenen Versuch verstehen, den Politiker Höcke bloßzustellen, ist für die anderen ein weiterer Beweis für die Parteilichkeit der Medien und sie betrachten den so Vorgeführten als Opfer.

Verbot von demokratiefeindlichen Themen und Personen

Diese Freiheit, eine umsichtig eingefädelte Medienfalle einfach anders verstehen zu wollen, als es das ZDF intendiert hat, gefällt den Autoren überhaupt nicht. Und so kommen sie zu dem bizarren Teil ihrer Forderungen. Damit solche Freiheiten, bei denen jemand etwas anders versteht, als es der Sender meint, erst gar nicht entstehen, fordern sie ein generelles Verbot von Themen und Personen, die von den Autoren als Feinde der Demokratie ausgemacht werden.

Das muss man erst mal verdauen. Doch der Text ist noch lange nicht zu Ende. So wird als nächstes der Einwand, dass in einer Demokratie doch alle Stimmen, solange sie nicht juristisch verboten sind, gehört werden dürfen, mit einer bemerkenswerten Wendung abgetan. Die Autoren drehen die Beweislast um und fragen, „mit welcher Legitimation Rechtsradikale diesen medialen Repräsentationsanspruch begründen“. Diese Frage ist selbstverständlich Unsinn, denn ein allgemeines Recht muss nicht individuell begründet werden. Wenn das so wäre, könnte man unendlich viele unsinnige Fragen stellen, wie etwa, mit welcher Legitimation Linkshänder Eis essen dürfen.

Keine Bühne für Rechts

Von dieser seltsamen Argumentation kommen sie zum Kern ihrer Forderung. So wie einst die Siegermächte den Medien einen Auftrag zur Volkserziehung erteilt haben, sollten die Medien heute selbst diesen Auftrag erneuern und verschärfen.

Dummerweise tut sich hier ein Dilemma auf, denn im bisherigen Pressekodex, wie sie etwa in der Satzung des ZDF steht, wird sowohl ein „umfassendes Bild der deutschen Öffentlichkeit“ gefordert als auch gemahnt, dass die Angebote die Würde des Menschen achten sollen. Dieses Dilemma lösen die Autoren kurzerhand dadurch auf, dass sie die Pluralität dem moralischen Gebot opfern und ab jetzt nur noch einwandfrei menschenwürdige Berichte zulassen wollen. Die Forderung lautet kurz und bekannt: Keine Bühne für Rechts.

Ein weitreichender Eingriff in die Pressefreiheit

Gilt diese Forderung, dann können die Medien nicht mehr das zum Thema machen, was in der Öffentlichkeit verhandelt wird, sondern sie müssen nun begründen, warum sie „Rechten“ eine Bühne geben wollen. Für diese Umdrehung ziehen die Autoren den umstrittenen Passus aus dem Pressekodex heran, in dem festgelegt ist, dass die Herkunft von Tätern nur dann veröffentlich werden darf, wenn das im allgemeinen öffentlichen Interesse ist. Der hierin festgeschriebene Erziehungsauftrag der Medien soll also deutlich ausgeweitet werden.

Geht es nach dem Willen der Autoren, muss von nun an ein Medium, wenn es einen „Rechten“ vorkommen lassen will, zuerst begründen, warum das im allgemeinen Interesse ist. Ein so weitreichender Eingriff in die Pressefreiheit will natürlich wohl begründet sein. Denkt man zumindest. Die Begründung der beiden Autoren bildet jedoch den Höhepunkt all der Ungereimtheiten, die sie zuvor aneinander gereiht haben. Die Begründung für die Einschränkung der Meinungsfreiheit lautet: Rassismus ist keine Meinung.

Aus dem Giftschrank des Totalitarismus

Diese Aussage ist häufig in sozialen Netzwerken zu lesen. Und Niemand scheint sich hier ernsthaft darüber Gedanken zu machen, dass diese Formel aus dem Giftschrank des Totalitarismus kommt. Denn wenn Rassismus keine Meinung ist, ist dann Sozialismus auch keine politische Meinung, sondern ein Verbrechen, und was ist mit dem Kapitalismus, dem Maoismus, dem Stalinismus, dem Atheismus und dem Islamismus?

Alle Ideologien haben unzähliges Leid in die Welt gebracht. Dürfen sie ab jetzt nicht mehr öffentlich besprochen werden? Und wer legt fest, ab wann eine Aussage keine Meinung mehr ist, sondern verboten werden muss? Braucht es ein neues Wahrheitsministerium, das die Öffentlichkeit überwacht, oder wollen die beiden Autoren diese Aufgabe gleich selbst übernehmen, da ihnen die Unterschiede so eindeutig und unstrittig erscheinen?

Moralischer Hochmut

Ist ein solcher Weg einmal eingeschlagen, dauert es nicht mehr lange und es wird darüber gestritten, ob Witze über Greta Thunberg noch gestattet sind, oder ob bestimmte Fragen an Robert Habeck noch zugelassen werden müssen. Denn auch Witze und Fragen könnten dann „keine Meinung“ mehr sein.

Bevor der neue Pressekodex in Kraft tritt, möchte ich die Freiheit für eine letzte Frage nutzen: Meinen die Verteidiger der offenen Gesellschaft wirklich, dass sie die Freiheit retten, indem sie die Freiheit abschaffen? Oder anders gefragt: Halten sie ihren moralischen Hochmut, mit dem sie das verführbare Volk erziehen wollen, wirklich für besser, als alle die anderen Angriffe auf die liberalen Werte? Ich zumindest höre lieber manchen Quatsch und auch manch Ärgerliches in den öffentlichen Medien, als dort in einer permanenten Sonntagsschule zu sitzen.

Ans Licht der Öffentlichkeit!

Und zum Schluss sei noch angemerkt, dass sich im Keller der moralisch eingehegten Zwangsgemeinschaften die größten Monster bilden. Die Odenwaldschule lässt grüßen. Lässt man die Monster hingegen bei Zeiten an die Luft, entpuppen sie sich nicht selten als Scheinriesen. Darum würde ich fordern, wenn ich überhaupt mich zu Forderungen versteigen würde, zerrt die Rechten und alle anderen Spinner ans Licht der Öffentlichkeit. Dort schrumpfen sie auf Normalmaß zusammen. Und sollte es wirklich etwas Monströses an ihnen geben, dann ist es besser, dass es alle sehen können, als dass es sich im Verborgenen mästen kann. Nichts verhilft dem Bösen zu mehr Macht, als dass alle vor ihm Angst haben und seine Erscheinung dämonisiert wird.

Die schwarze Pädagogik der Reeducation hatte ihre historische Berechtigung, wird sie heute auf halbwegs erwachsene Menschen angewendet, führt sie zu den bekannten Abwehrreflexen. Mit einem Wort, die Vorschläge von Diez und Dilmaghani sind reaktionär, da sie die Rechten größer machen als sie sind und zugleich deren Opfernarrativ institutionell absegnen. Sollte ihr Vorschlag ein U-Boot der AfD sein, so ist es kein schlechter Versuch, die Partei noch stärker zu machen. Doch soviel strategische Raffinesse will ich den Rechten nicht zubilligen. Insofern, Schwamm drüber und etwas mehr Vertrauen in die Meinungsfreiheit, denn die ermöglicht sogar solche bizarren Vorschläge wie die hier besprochenen.

Anzeige