Präsidentin der Salzburger Festspiele - „Wir wollen das Epizentrum des Besonderen bleiben“

Die Salzburger Festspiele gibt es seit 100 Jahren. Mit dem Jubiläum wollte Helga Rabl-Stadler als Präsidentin aufhören. Dann kam die Corona-Pandemie. In Salzburg wird im Sommer trotzdem gespielt. Ein Gespräch über die Kraft der Kunst und Live-Genuss in Gemeinschaft.

„Wir Festspieler investieren unsere ganze Fantasie und Kraft“: Salzburger Festspiele / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Irene Bazinger ist Theaterjournalistin und lebt in Berlin. Zuletzt gab sie das Buch „Regie: Ruth Berghaus“ heraus (Rotbuch-Verlag)

So erreichen Sie Irene Bazinger:

Anzeige

Frau Rabl-Stadler, der 100. Geburtstag der Salzburger Festspiele in diesem Jahr sollte eigentlich ein großes Fest werden. Doch wegen Corona wurde lange befürchtet, alles absagen zu müssen, wie in Baden-Baden, Bayreuth, Bregenz, Oberammergau, Avignon, Edinburgh. Ab 1. August aber geht der Vorhang in Salzburg wieder auf. Wie haben Sie das geschafft?
Helga Rabl-Stadler: Wir haben nie daran gezweifelt, dass wir spielen werden. Aber natürlich mussten wir verfolgen, wie sich die Pandemie entwickelt. Die Gesundheit hat Vorrang, doch wir wollten die Flinte nicht einfach zu früh ins Korn werfen. In Salzburg wie in ganz Österreich gingen die Infektionszahlen glücklicherweise stark zurück. Wenn es also eine auch noch so kleine Chance gäbe, die es uns erlaubte, unter den neuen Hygieneregeln die Sommerfestspiele stattfinden zu lassen, wollten wir das unbedingt tun.

Dass Sie so lange die Nerven bewahrt haben, hat auch Widerspruch erregt. Zwar adelte Sie die Süddeutsche Zeitung wegen Ihrer Standhaftigkeit gerade zur „Königin der Festspiele“, doch in anderen Medien hieß es bald, Sie würden herumlavieren. Das böse Wort vom „Sommer-Ischgl“ machte die Runde, in Anlehnung an den Corona-Hotspot in Tirol.
Damit wollte man mich von Anfang an einschüchtern. Dabei stimmt der Vergleich absolut nicht, denn wir verfolgen eine ganz klare Vorgehensweise mit eindeutigen Verordnungen der Behörden, die wir übererfüllen werden. Mit einem medizinischen Expertengremium haben wir ein umfangreiches Sicherheits- und Präventionskonzept ausgearbeitet. Dieses würde uns sogar erlauben, Aufführungen mit Pausen und Buffets anzubieten. Aber wir machen weder das eine noch das andere, denn die Warteschlangen sind besonders schwierig zu kontrollieren. Wir werden auch nicht mehrere Veranstaltungen parallel zeigen, um die Besucherströme zu entzerren. Die Sitzplätze werden im Schachbrettmuster belegt, damit die Abstandsregeln eingehalten werden. Die Eintrittskarten sind personalisiert, jeder muss sich beim Einlass ausweisen, damit im Fall des Falles die Infektionsketten nachzuverfolgen sind. Und jede der sechs Spielstätten hat einen eigenen Covid-19-Beauftragten.

So verteilt sich die Verantwortung für das Gesundheitsrisiko bei den Festspielen auf mehrere Schultern?
Die Entscheidungen müssen wir schon selbst treffen, aber wir befolgen akribisch genau den Rat der Experten und vereinbaren ihn mit dem, was wir künstlerisch leisten wollen. Wir wollen das „Epizentrum des Besonderen“ bleiben, als das wir uns seit 100 Jahren verstehen. Aber wir möchten uns keinen Vorwurf machen müssen, falls doch etwas passiert. Für uns ist das eine zusätzliche Herausforderung, denn diesmal stehen wir nicht nur künstlerisch auf dem Prüfstand, sondern müssen auch Maßstäbe hinsichtlich der Sicherheitskonzepte setzen.

Trotz aller Hochkultur sind die Salzburger Festspiele auch ein legendäres Society-Event. Was wird davon bleiben, wenn die Pausen und das Sehen-und-Gesehen-Werden vor und nach den Aufführungen entfallen?
Ich liebe Salzburg als Gesamtkunstwerk. Schon Max Reinhardt, einer der Gründungsväter, veranstaltete auf seinem Schloss Leopoldskron die tollsten Feste, denn die Besucher sollten besondere Erlebnisse genießen – auf den Bühnen und danach. Bestimmt wird es in diesem Jahr ein wenig fehlen, dass man nicht so unbeschwert feiern kann, und es wird viel weniger gesellschaftliche Anlässe geben. Aber dafür können wir stolz und glücklich sein, dass wir wieder Festspiele haben und ein Zeichen für die Kraft der Kunst setzen können.
 

Helga Rabl-Stadler / Tanja Kernweiss

Das beeindruckend umfangreiche Programm wird drei Theaterinszenierungen samt dem traditionellen „Jedermann“ und diesmal Caroline Peters als Buhlschaft umfassen, 53 Konzerte unter anderem mit den Wiener und den Berliner Philharmonikern sowie die Opern „Elektra“ und „Così fan tutte“. Letztere dauert über drei Stunden. Und das ohne Pause?
Ja, wir werden die „Così“, die Joana Mallwitz dirigiert – als erste Frau am Opernpult in Salzburg! – und Chris­tof Loy inszeniert, kürzen. Das ist der Pandemie geschuldet. Wir sind sicher, diese Corona-„Così“ wird in einer sehr ans Herz gehenden Version ins Große Festspielhaus kommen.

Sie sind seit 1995 Präsidentin der Salzburger Festspiele und wollten eigentlich zum Jahresende aufhören. Nun haben Sie noch ein Jahr drangehängt.
Ich wurde von verschiedenen Seiten und vor allem von Markus Hinterhäuser gebeten, in dieser Situation nicht zu gehen und ihn nicht mitten im Jubiläum quasi im Stich zu lassen. Wir wollen ja alles, was wir in diesem Jahr nicht zeigen können, 2021 nachholen. So wird unsere intensive Vorbereitung aufs Jubiläum nicht vergebens gewesen sein. 

Warum gelten die Salzburger Festspiele trotz aller künstlerischen Seriosität immer noch als luxuriöses Festival der Reichen und Schönen? 
Klischees haben halt ein langes Leben. Natürlich ist es nicht billig, hier im Sommer zu sein, aber die Hälfte unserer Eintrittskarten bewegt sich in einem Segment von fünf bis 105 Euro. So viel müssen Sie auch bezahlen, wenn Sie etwa in der Staatsoper Unter den Linden eine gute Besetzung hören wollen. Und wir wollen hier immer die besten Sängerinnen und Sänger haben. Außerdem ist alles, was szenisch auf die Bühne kommt, teuer. Überdies möchten wir natürlich auch zeitgenössische Opern zeigen und nicht nur „Tosca“ mit Anna Netrebko, wie es in diesem Jahr geplant war.

Sind die Honorare für die Künstlerinnen und Künstler in Salzburg so hoch, wie man munkelt?
Was auch immer gemunkelt wird – eindeutig nein. Denn bei den Salzburger ebenso wie bei den Bayreuther Festspielen gastiert man, weil Auftritte da wie dort jede Künstlerbiografie aufwerten. Und weil man sicher sein kann, dass man weltweit wahrgenommen wird und sich tolle Anschlussverpflichtungen ergeben können. Diese Chance ist mehr wert als eine horrende Gage. So haben schon manche großen Karrieren begonnen. Denken Sie an den kanadischen Dirigenten Yannick Nézet-Séguin, den Jürgen Flimm entdeckte und 2008 nach Salzburg verpflichtete, wo ihn Peter Gelb hörte, der Generaldirektor der New Yorker Met, und ab 2018 als Musikdirektor an sein Haus engagierte. Oder die von Markus Hinterhäuser entdeckte litauische Sängerin Asmik Grigorian, unsere wunderbare Salome von 2018, die unglaublich gefeiert wurde und heute auf allen bedeutenden Bühnen singt – und nun bei uns heuer die Chrysothemis in „Elektra“.

Mit dem Amtsantritt des Belgiers Gerard Mortier 1991 wurden die Festspiele in die Moderne geführt, oder?
Ja, das war die entscheidende Weichenstellung der Nach-Karajan-Ära. Mein Vorgänger Heinrich Wiesmüller wurde nicht müde zu wiederholen, dass man keine Karajan-Festspiele ohne Karajan machen kann, wie es sich manche in Salzburg auch nach dessen Tod 1989 vorgestellt hatten. Wiesmüller wollte den ästhetischen Nachholbedarf abdecken und dabei auch alle mitnehmen, also die Festspiele für die Salzburger Bürgerschaft und für „normale“, nicht nur prominente kunstinteressierte Menschen öffnen. Mortier war dafür der richtige Partner. Die Festspiele blieben weiterhin exklusiv, aber nicht im Sinne von „nicht für alle“, sondern vom künstlerischen Anspruch und von der Entschlossenheit, das Beste zu schaffen.

Sie haben außer Mortier noch fünf weitere Intendanten als Präsidentin begleitet: Peter Ruzicka, Jürgen Flimm, Alexander Pereira, Sven-Eric Bechtolf, jetzt Markus Hinterhäuser. Wie geht man mit solchen Alphatieren um?
Für mich war immer entscheidend, dass die Kunst die absolute Priorität hat. Insofern war und bin ich hoffentlich vor der Gefahr gefeit, mich als Präsidentin zu überschätzen. Auch wenn das jetzt wie ein Eigenlob klingt, kann ich über mich doch sagen, dass ich auf die Leistungen von anderen weder neidisch noch eifersüchtig bin. Klar bin ich gut vernetzt und ein Finanzprofi, aber ich könnte nicht gut arbeiten und nicht so viele Sponsorengelder auftreiben, wenn das Programm nicht so gut und die Qualität bloß mittelmäßig wäre.

Mit welchem Intendanten hatten Sie am meisten Stress?
Ich habe das Glück, schnell vergessen und damit verzeihen zu können. Es kostet mich keine große Überwindung. Insofern will ich dazu nichts weiter sagen. Ich möchte mich auch gar nicht damit aufhalten, was mich von diversen Intendanten charakterlich getrennt hat. Ich genieße es jedenfalls sehr, dass ich meine zwei letzten Salzburger Jahre, vor allem aber das 100-Jahr-Jubiläum, an der Seite von Markus Hinterhäuser gestalten darf. 

Welcher Intendant hat Sie am meisten unterschätzt?
Alexander Pereira!

Er leitete vor Salzburg die Zürcher Oper und nach Salzburg die Mailänder Scala und ist derzeit Intendant des Maggio Musicale in Florenz. Haben Sie noch Kontakt?
Nein, aber nicht, weil wir zerstritten wären, es hat sich einfach so ergeben. Im Übrigen wurde ich ansonsten selten in meinem Leben unterschätzt. Mir hilft es zum Beispiel, dass ich als besonders kampf- und streitlustig gelte. Das stimmt überhaupt nicht, ich bin sehr harmoniebedürftig, aber durch diesen Ruf bleibt mir manche Auseinandersetzung erspart. Gerard Mortier wiederum liebte als ehemaliger Jesuitenschüler die heftigen Debatten und Kontroversen. Er wurde im Streit besser, ich werde in Harmonie besser. Obwohl die Zeit mit ihm für mich manchmal schwierig war, weil er am liebsten eine One-Man-Show machen wollte, denke ich überaus positiv daran zurück. Denn er war eine wirkliche Intendantenpersönlichkeit. So etwas gibt es kaum noch. Und die Politiker sind meist derart unerfahren und schlecht informiert, dass sie denken, ein guter Regisseur, eine gute Schauspielerin müssen auch gute Intendanten sein. Dabei ist das ein ganz anderer Beruf.

Sie wurden als erste Frau zur Präsidentin berufen und sind auch erst die dritte Ehrenbürgerin der Stadt Salzburg – und das mit einem Doppelnamen. Den wollten Sie nie ablegen, oder?
Nein, auf keinen Fall, obwohl ich seit Jahren geschieden bin. Ich bin über den Doppelnamen ganz froh, denn er hat einen hohen Wiedererkennungswert, auch wenn er oft verdreht wird. Ich wurde schon als „Gabelstapler“ und „Radlstap­ler“ angesprochen. Aber die meisten Menschen bemühen sich, ihn sich richtig zu merken, und so bleibe ich ihnen wahrscheinlich mehr im Gedächtnis, als wenn ich einfach Stadler hieße.

An Ihrer Bürotür haben Sie in Messingbuchstaben das Wort „Präsidentin“ befestigen lassen. Das war 1995 bestimmt nicht einfach.
Im Gegenteil, man sagte mir, für die kurze Zeit, die ich aller Wahrscheinlichkeit nach in diesem Amt wäre, würde es sich gar nicht lohnen, zu „Präsident“ die zwei Buchstaben „in“ hinzuzufügen … Anfangs schlug mir durchaus eine Welle der Ablehnung entgegen, unter dem Motto: Kann die überhaupt ein Instrument spielen? Weiß die, wie man eine Mozart-Oper richtig besetzt? Kaum jemand hat auf mich gehört, als ich antwortete, dass ich nicht das künstlerische Vorschlagsrecht für mich beanspruche! Dieses obliegt dem Intendanten, und dem würde es gar nicht gefallen, wenn ich mich einmische und ihm sage, wer die Donna Anna singen soll, obwohl ich dazu inzwischen durchaus etwas zu sagen hätte. Nein, meine Aufgabe bestand auch damals schon darin, das Programm mitzutragen und zu finanzieren, und nicht, es zu entwerfen. 

Hat sich der Umgang mit Frauen in Führungspositionen mittlerweile geändert?
Davon bin ich überzeugt. Als ich Präsidentin wurde, hat mich der Fahrer, den ich bekam, mürrisch gefragt, ob er zu mir jetzt „Frau Präsident“ sagen müsse … Früher hieß es meist, dass eine Frau pro Gremium genüge. Das habe ich noch nie als Argument gegen einen Mann gehört, wenn der irgendwohin berufen werden sollte. Insofern habe ich oft noch eine ziemliche Wut über die eingerosteten Denkmuster in der Gesellschaft. In dieser Hinsicht verstehe ich mich nicht als Vorbild, sondern als Mutmacherin für andere Frauen – traut euch was, dann traut man euch etwas zu. 

Oft tragen Zuschauerinnen und Zuschauer in Salzburg traditionelle Trachtenkleidung. Sie hat man noch nie im Dirndl gesehen, warum?
Wissen Sie, das passt einfach nicht zu mir. Ich bin weder der Typ für zerknittertes Leinen noch für ein Dirndl. Wie hätte ich denn da neben meinen Intendanten ausgesehen, die haben auch nie Tracht getragen. Ich habe einen schönen Busen, aber ein Dirndl ist mir nicht angenehm. Ich fühle mich in meinem klassischen Hosenanzug vor allem neben meinen Intendanten wohler. Ich im Dirndl, er in der Krachledernen – so sehen Sie uns doch nicht?

Wird es die Salzburger Festspiele weitere 100 Jahre geben?
Aber unbedingt! Ich bin da ganz optimistisch.

Stirbt die gebildete, interessierte, kunstaffine Besucherschicht nicht aus, wenn man den Pisa-Studien glaubt? 
Nein! Ich bin überzeugt, dass ein Live-Erlebnis wie in der Oper oder im Theater durch nichts zu ersetzen ist. Gerade in Corona-Zeiten, die dies unmöglich machten, haben wir den Verlust beklagt und gemerkt, wie wichtig und bereichernd es ist, gemeinsam künstlerische Ereignisse erleben zu können. Deshalb wollen wir vom Gesundheitsstandpunkt alles so vorsichtig programmieren, dass sich die Menschen wieder zu einer Begeisterungsgemeinschaft zusammenfinden und Genuss ohne Reue teilen können. Es gibt eine große Sehnsucht, Menschen auf der Bühne sprechen, singen und die Themen behandeln zu hören, die uns alle beschäftigen: Liebe, Hass, Eifersucht, Rache, Verzweiflung, Vergebung, Tod.

Könnten Computerspiele diesen Urtrieben nicht einfacher und besser entsprechen?
Das hoffe ich nicht. Da sitzt doch wieder jeder allein vor seiner Maschine. Wir Festspieler investieren unsere ganze Fantasie und Kraft, um die Kunst auf der Bühne unersetzlich zu machen. Und ich bin mir sicher, es wird niemals ein Computerspiel erfunden werden, das an die Kraft und Herrlichkeit eines Liebessonetts von Shakespeare heranreicht.

Ursprünglich waren für die Jubiläumsfestspiele 200 Vorstellungen an 16 Spielstätten in 44 Tagen geplant. Der reduzierte Spielplan unter Pandemie-Bedingungen bietet nun 110 Vorstellungen an 8 Spielstätten in 30 Tagen. Statt rund 240 000 Eintrittskarten werden nur 80 000 verkauft. Ist dies ein Konzentrationsprozess, der in seiner Entschleunigung den Festspielen vielleicht ganz gut tut? 
Ich wehre mich sehr dagegen, an der Pandemie Positives zu erkennen. Aber ich teile Ihre Meinung, dass die Entschleunigung auch ein Nachdenken bedeutet. Wir werden in diesem Jahr ein bisschen demütiger sein – und das schadet uns nicht. Aber ich glaube nicht, dass die Festspiele ihre programmatische Linie grundsätzlich ändern müssen. Und zum 100-jährigen Bestehen dürfen wir schon auch zeigen, was die Festspiele können. Und wieder einmal passt eines der Zitate unseres Gründervaters Hugo von Hofmannsthal: „Wenn der Wille nur erwacht, ist schon fast etwas erreicht.“ 

Dieser Text stammt aus der August-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

Jetzt Ausgabe kaufen

 

 

 

Anzeige