Das politische Buch - Marco Buschmann über Christoph Möllers „Freiheitsgrade“

Christoph Möllers stellt in seinem Buch „Freiheitsgrade“ das Leistungsprinzip in den Mittelpunkt. Der freie Wettbewerb versteinere dies jedoch. Der FDP-Abgeordnete Marco Buschmann widerspricht.

Freiheit muss auch Freiheit des Wettbewerbs heißen / dpa
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Autoreninfo

Marco Buschmann ist Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP im Deutschen Bundestag.

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Christoph Möllers nimmt in seinem lesenswerten Buch „Freiheitsgrade“ keine neutrale Perspektive ein. Der Berliner Staatsrechtler bekennt sich zum Liberalismus. Dabei ist stets die alte Sollbruchstelle der Liberalen zu spüren: Die Aufklärung gebar das liberale Geschwisterpaar aus Freiheit von Geburt an und Gleichheit im Recht, wie sie sich in der Allgemeinen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 wiederfinden. Wie alle Geschwister vertragen sie sich mal besser und mal schlechter. 

Das muss kein Nachteil sein. Streit schützt vor Skle­rose. Trennen sich beide aber und ziehen auf eigene Faust los, wird es gefährlich: Die Gleichheit als verabsolutiertes Ideal drängt zur Gleichmacherei in Totalitarismen der Klasse, der Rasse oder was sich sonst als uniformierender Maßstab denken lässt. Die isolierte Freiheit, also außerhalb aller sozialen Bezüge in Gesellschaft oder Staat gedacht, kann in Einsiedelei, Anarchie und schlicht Antipolitik enden. Beide Geschwister gehören zusammen, und ihr Verhältnis zueinander muss immer neu ausgehandelt werden.

Freiheit durch das Recht

Möllers betont diese Zusammengehörigkeit. Die Freiheit, die er meint, lebt der Mensch in Gemeinschaften, die wiederum auf Recht basieren. Dazu bedient er sich der Vokabel „sozialliberal“. Um Reflexen vorzubeugen, grenzt er das Attribut sogleich von „linksliberal“ ab. Doch muss sich Möllers vorhalten lassen, dass seine Überlegungen zumindest einen linksliberalen Drall enthalten.

Zwar stellt er in den Mittelpunkt seiner Gesellschaftspolitik den Begriff der Meritokratie. Genau dieses Ideal, das einer Leistungsgesellschaft, eint alle Liberalen. Es ist eine Absage daran, dass der große Zufall der Geburt über den Lebensweg eines Menschen bestimmt und nicht sein Fleiß oder Talent. Möllers legt mit Recht seinen Finger in eine klaffende Wunde: Erfolgreiche Eltern gäben ihren Kindern so viel mehr Startvorteile mit, dass dieses Ideal infrage stehe. Das ist insbesondere in Deutschland eine drängende Frage. Kaum irgendwo in der westlichen Welt bestimmt das Elternhaus so sehr den Lebensweg.

Übers Ziel hinaus

Doch hieraus leitet Möllers Thesen ab, die übers Ziel hinausschießen: Er hält sich nicht mit der Staatsaufgabe einer aktiven Chancen- und Bildungspolitik auf. Es sei das Prinzip des Wettbewerbs an sich, das diese „Versteinerung“ der Verhältnisse herbeiführe. Man müsse die Begriffe des „Erfolgs“ am Markt und der Meriten beziehungsweise „Verdienste“ in der Meritokratie trennen. Und spätestens hier gerät sein Gedanke ins kurze Gras: Wenn nicht die Entscheidungen der vielen – seien es die Konsumenten am Markt oder ein „peer review“ in der Wissenschaft – den Erfolg bestimmen, dann muss es jemand anderes tun. Delegiert man die Kriterien des Erfolgs in der Gesellschaft aber an Politik und Staat, droht hier eine viel schlimmere „Versteinerung“, nämlich die Vermachtung der Gesellschaft.

Das „Problem jeder liberalen Theorie“, schreibt Möllers, bestehe „darin, wovor man sich mehr zu fürchten hat: vor den anderen, die uns nach dem Leben trachten, oder vor der politischen Gewalt, die sie in Schach halten soll“. Was er hier für den Bereich der inneren Sicherheit schreibt, lässt sich ähnlich für die Gesellschaftspolitik formulieren: Haben wir mehr Angst vor den Entscheidungen der anderen, die unseren Erfolg bestimmen, oder vor einer politischen Gewalt, die unseren Erfolg bestimmen soll? Wenn man als Liberaler die letztere Frage ähnlich beantwortet wie die erstere – dann kann ein Buch „Freiheitsgrade“ heißen und zugleich graduell zu sehr der Freiheit misstrauen.

Christoph Möllers: Freiheitsgrade. Suhrkamp, Berlin 2020. 343 Seiten, 18 €

Dieser Text stammt aus der März-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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