Political Correctness - Die totale Reinheit

Bilder werden abgehängt, Kunstwerke zensiert, Gedichte übermalt. Prüderie und radikale Schuldzuweisung greifen um sich. Aufklärung bekämpft im Zeitalter der Migration sich selbst. Was darf die Kunst heute noch thematisieren?

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Der Dichter Eugen Gomringer bezeichnete die Sexismus-Vorwürfe gegen sein Gedicht als „Vorgang der Säuberung“ / picture alliance
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Viola Roggenkamp ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg

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Eine enorme Gereiztheit plagt die deutsche Gesellschaft, und diese Gereiztheit kreist um einen Bezugspunkt: die Alternative für Deutschland. Man ist entweder wie die AfD – das ist schlecht. Oder man ist nicht wie die AfD – das ist gut. Dabei geht es am allerwenigsten um diese kleine rechtskonservative, nationale Partei, die dieser Gereiztheit ihren Zuwachs verdankt.

Vielleicht geht es stattdessen um den Versuch, in einer Epoche des nach Westen wandernden und im Westen sich verbreitenden Islam zu Hause im christlichen Abendland verzweifelt und verbissen Ordnung zu schaffen durch radikale Schuldzuweisung und öffentliche Anklage. Das alles ereignet sich womöglich nicht von ungefähr, da mit den Flüchtlingen aus der islamischen Welt rigide Sittlichkeitsnormen Anspruch auf freie Entfaltung erheben. Der Kompass solcher Systeme gibt ebenfalls nur zwei Richtungen vor: gut oder schlecht.

Alles muss moralisch sauber sein

Geschieht nicht eben die Vergangenheitsbewältigung kolonialen Erbes und Raubguts in der Kunst, der man sich in den kommenden Jahren mit finanzieller Förderung des Bundes intensiv widmen will, vor diesem Hintergrund? Sie ist schon etwas her, die wenig glorreiche Kolonialherrschaft, und Deutschlands Kaiser mit seinen kleinen Eroberungen damals war neidisch auf die großen Kolonialmächte Frankreich, England, Spanien, Niederlande, Portugal, Italien.

Welche Spuren hat die Kolonialzeit in der Kunst deutscher Maler hinterlassen? Rassistische Spuren? Und das Raubgut? Muss man davon zurückgeben? Jetzt sind diese Fragen dran. Denn kommen nicht immer mehr Menschen von dort und könnten nach ihrem gestohlenen Erbe suchen und Schuld entdecken?

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz will ab 2019 im neuen Humboldt-­Forum im rekonstruierten Berliner Stadtschloss ihre weltberühmten Sammlungen zeigen aus dem Museum für Asiatische Kunst und dem Ethnologischen Museum. Manches aus Afrika wird dabei sein. Dergleichen kann man jetzt nicht mehr so einfach vorzeigen. Das muss moralisch sauber präsentiert werden.

Erschreckende Sprachsäuberungen

Nach Tate Britain und der Schau „Artist & Empire. Facing Britain’s imperial past“ (2015/2016) machte in Deutschland Ende vergangenen Jahres die Bremer Kunsthalle den Anfang mit ihrer Ausstellung „Der blinde Fleck“. Was dort erarbeitet wurde, ist bedeutend, und vieles ist gelungen. Die begleitenden Texte jedoch sind durchtränkt vom eifrigen Streben, in jedem Pinselstrich Rassistisches zu entdecken und als bösen Vorsatz zu entlarven.

Sogar Werktitel wurden in Bremen zensiert. Wie es heißt, mit Rücksicht auf traumatisierte Migranten, die ja im Museum vorbeikommen könnten. Man säuberte die Sprache, und zwar radikal, Buchstabe für Buchstabe. Aus dem „Negermädchen“, das Anita Rée zu Beginn des 20. Jahrhunderts malte, wurde „Das N****mädchen“. In diesem sprachlichen Konstrukt bildet sich in absurder, ja tragischer Weise die Radikalität der Gutmeinenden ab: N****, unaussprechlich, entmenschlicht, bar jeden Zusammenhangs, jetzt Träger der Reue reuiger Nichtneger. N****, erschreckend nahe der Nummer aus einem anderen bekannten historischen Zusammenhang. Das J***-Wort ersetzt man heutzutage durch Zionist, kann ungehemmt antisemitisch bleiben und findet sich unverdächtig. Für den Neger suchen die Nichtneger noch immer nach einem für sie selbst schuldfreien Wort.

Der Shitstorm wird zum wichtigsten Kriterium

Natürlich werden alle, die das eindrückliche Gemälde von Anita Rée betrachten und den Titel lesen, für jedes Sternchen den fehlenden Buchstaben einsetzen, weil der Mensch so ist, wie er nun mal ist. Eingeborener? In Bremen: E***********. Man zähle nur immer nach, dass auch kein Sternchen fehle. Eingeborene in Papua-Neuguinea porträtierte Emil Nolde übrigens Anfang des vergangenen Jahrhunderts. Die Aquarelle sind von hinreißender Intensität, zeigen Kraft, Misstrauen, Sinnlichkeit.

Aber dass Nolde seine Modelle mit vorgehaltener Waffe malte, sie wären ihm sonst davongerannt oder an die Gurgel gegangen, das und weitere Details aus seinem Tagebuch dienen in Bremen dazu, den Maler vernichtend zu stigmatisieren (nur Richard Wagner wird das in Deutschland nie ereilen). Sogar der Kaffeegenuss damaliger Zeit wird anhand eines Gemäldes geächtet als gewissenlos im Hinblick auf einstige Plantagensklaven.

Was die Bremer Kunsthalle vorgibt, hält freilich jedem sogenannten Shitstorm stand. Das wird ein zunehmend wichtiges Kriterium. Der Aufschrei Einzelner, der berechtigt sein kann, vermag per Internet Massen zu mobilisieren, die vernichtend gegen Menschen oder Kunstwerke vorgehen können, und auch gegen Institutionen. #MeToo ist dafür das aktuell prominenteste Beispiel.

So droht etwa im Metropolitan Museum in New York dem Gemälde „Träumende Thérèse“, 1938 gemalt von Balthus, die Deportation in den Keller. Aufruhr im Internet, Empörung im Fahrwasser von #MeToo. Das Bild zeigt eine Jugendliche auf einem Stuhl sitzend, das Bein ist aufgestellt, zwischen den Schenkeln ist die Unterhose zu sehen, das erhitzte Gesicht ist abgewandt, die Arme sind erhoben, die Hände auf dem Kopf verschränkt, am Boden daneben schlabbert eine Katze Milch aus einem Tellerchen.

#MeTooisten werden zu Sprecherinnen verstorbener Modelle

Lustvolle Selbstbestimmtheit einer sexuell fantasierenden Thérèse. Das kann man erkennen. „Sexuelle Ausbeutung einer Minderjährigen und Voyeurismus“ lautet die Anklage, die auch schon die Verurteilung ist. So müssen es die sehen, die in dem träumenden Mädchen nur ein Sexobjekt wahrnehmen können. Abhängen! Dem Blick der Öffentlichkeit entziehen! Das fordern feministische und studentische Kreise. Es dürften dieselben Kreise sein, die für die Freiheit der Burka eintreten, die den internationalen Boykott Israels propagieren und denen die Palästinenser die wahren Opfer von Auschwitz sind.

Ob man die „Träumende Thérèse“ so oder so sieht, noch jedenfalls ist das Gemälde zu sehen. Schon stehen einem die sexuell nicht minder aufgeladenen Werke von Egon Schiele vor Augen. Zu betrachten nur in gesonderten Räumen mit behördlicher Genehmigung? Das kann kommen. #MeTooisten könnten sich zu Sprecherinnen längst verstorbener weiblicher Modelle aufschwingen.

Weil in Berlin Studierende ein an der Hauswand ihrer Hochschule stehendes Gedicht von Eugen Gomringer sexistisch lesen, soll es überpinselt werden. Der Akademische Senat der Alice-Salomon-Hochschule gab dem studentischen Ansinnen bereits statt. Säuberungsaktivisten glauben an die totale Reinheit. Es gab sie angeblich nach 1933.

Eine anschwellende Opfertyrannei reiht sich ein in den islamischen Furor vor 13 Jahren gegen die Mohammed-Karikaturen, begleitet bis heute von Morddrohungen gegen deren Zeichner. Wie wortreich die westliche Gesellschaft, angeführt von einer Medienmehrheit, sich dem wohlfeil unterwarf und die Pressefreiheit verriet, war schockierend und darf nicht vergessen werden.

Ungehemmter Judenhass wird geduldet

Nach der Malerei wird die Literatur an die Reihe kommen. Der Giftschrank für Lolita, Lulu und für ihre Schwester Salome könnte sich wieder öffnen, auch für ihre Brüder aus „Tod in Venedig“ oder „Faust“. Knabenliebe legte Goethe seinem Mephisto in den Mund, vorsorglich für sich selbst. Und was ist mit der Zuneigung der Marschallin zu ihrem Mohammed, dem kleinen Mohr, der ihr und dem „Rosenkavalier“ morgens ans Bett die heiße Schokolade bringt? Ob heutzutage wohl jede ehrenamtliche Mittvierzigerin frei ist von solchem Begehren, wenn sie ihren glutäugigen Hussein an die Hand nimmt und den furchterregend Fremden durch den deutschen Behördendschungel geleitet?

Schicksalhafterweise für Deutschland sind manche Schutzsuchenden völlig ungehemmt in ihrem Judenhass, erachten Frauenapartheid sowie Gebärzwang als unverzichtbar richtig, arrangieren Kinderehen, begehen Ehrenmorde nach islamischem Recht. In den „Tagesthemen“ der ARD erklärte ein Therapeut neulich einer verständnisvoll lauschenden Redakteurin bezüglich der inländerfeindlichen Mordtat eines Migranten an seiner 15-jährigen deutschen Freundin, „die Menschen“ – gemeint war eine aufgebrachte Öffentlichkeit – müssten den Moslem „vor dem Hintergrund seiner Kultur“ verstehen.

Die guten Deutschen, so sah es Heinrich Heine, „wandeln mit der Sicherheit eines Maulesels längs der Abgründe des Zweifels, der Bedenken und der Skepsis, dabei erfüllt von seliger Zuversicht“. Dagegen sind die schlechten Deutschen erfüllt von sie beklemmender Besorgnis. Den schlechten Deutschen geht es um den Erhalt ihres eigenen Sozialsystems. Die guten Deutschen haben Größeres im Blick, sie wollen Deutschlands wirtschaftspolitische Führungsrolle in ethisch-moralischem, ganzheitlich bewusstem Sinne in der Welt wahrnehmen. Nicht mehr und nicht weniger.

Deutschland am Beginn einer neuen Epoche

Immer geht es um Macht, immer ums Begehren. Die Kunst darf darüber niemals schweigen, nicht die Malerei, nicht die Literatur. Kunst muss auffinden, was nicht zu sehen sein soll. Das hat sie gemeinsam mit Bedenkenträgern und Säuberungsaktivisten. Die Kunst aber bleibt an der Seite des Verleugneten, sie gibt dem Verleugneten Gestalt, Gesicht, Geschichte, sie identifiziert sich mit der Bedrohung, die dem Verleugneten innewohnt.

Was darf Satire, was dürfen Romane heute thematisieren, etwa wenn es um die deutsche Flüchtlingspolitik geht? Oder dürfen sie überhaupt nicht mehr? Sind sie längst dran, die Texte? Drucken Zeitungen, drucken Verlage in Deutschland noch, was einer repressiven Toleranz zuwiderläuft? Schriftsteller können in ihren geschützten Rückzugsräumen davon schreiben, was geschehen kann. Oder ist es schon geschehen? Heutzutage kommt man als Schriftsteller kaum hinterher.

Deutschland steht am Beginn einer neuen Epoche. Die Vergangenheit ist sauber bewältigt, Ostdeutschland tipptopp restauriert, die jüdischen Zeitzeugen sterben einer nach dem anderen weg, muslimische Migranten sind an ihre Stelle getreten, sehen sich als Verfolgte des zionistischen Systems, ihre Kinder gestalten deutsche Identität neu, und nachdem die islamische Befreiungspartei in Berlin versichert hat, dass Christen außer der Kopfsteuer keine weiteren Steuern zu zahlen brauchen, trinkt die Groko Muslimbruderschaft. Dann ist – eines Tages, möglicherweise – Krieg. Unter der Führung deutscher Politiker mit arabisch-islamischen Wurzeln ein Vernichtungskrieg gegen den Staat der Juden. Nicht auszudenken, ein solches Szenario? Denkbar zumindest wäre es. Aber wer druckt mir das?

Dies ist ein Text aus der März-Ausgabe des Cicero. Erhältlich am Kiosk und in unserem Onlineshop.









 

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