Pfingsten - Zu Hilfe, rettet den Geist!

In Kirche, Politik und Gesellschaft schreitet die Verachtung des Geistes voran. Darum liegt die Bildung am Boden. Es regieren Rechthaberei und Bauchgefühl. Ein Plädoyer, ein Appell und eine Warnung zu Pfingsten

Rendez-vous mit dem Heiligen Geist: Im Süden der Republik ist Pfingsten noch Pfingsten / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Dass das dritte der großen christlichen Feste, Pfingsten, das am wenigsten bekannte ist, liegt gewiss auch am beklagenswerten Zustand der hiesigen Kirchen. Wer sich aus gefallsüchtigen Gründen mit dem Zeitgeist arrangiert, hat keinen Raum, keinen Atem, keinen Gedanken frei für den Geist. In ihren Spitzenfunktionären zeigen sich katholische und evangelische Kirche fest entschlossen, Spiritualität durch politischen Aktionismus zu ersetzen. Konsequenterweise wird an Pfingstsonntag im Berliner Dom eine ökumenische Pfingstvesper von „Fridays for Future“ mitgestaltet. Solche liturgische Entgleisung zeigt: Selten war der Geist gefährdeter, selten nötiger, auch und gerade bei denen, die ihn von Amts wegen im Mund führen.

Doch das Unverhältnis zum Geist reicht weit über die Kirchen hinaus. Wir leben in geistfernen Zeiten, weil wir den Geist zu schätzen verlernt haben. Und weil er uns abtrainiert worden ist. Dies- und jenseits der sozialen Medien regieren Bauchgefühl, Rechthaberei, Subjektivismus. Zusammengehalten werden diese drei von einer umfassenden Verachtung des Geistes. Was nämlich zeichnet den Menschen als Geschöpf aus? Dass er neben der Seele einen Geist hat, der auf Austausch angelegt ist und auf Distanz zu sich selbst. Dass er, der einzelne Mensch, die Person, nicht nur ein unergründliches Herz hat, sondern auch einen mitteilbaren, schöpferischen Geist. Der Geist ist keineswegs „Widersacher der Seele“, sondern deren notwendige, schöne Ergänzung. Wer hier wie weiland Ludwig Klages (und heute die deutschen Grünen) antagonistisch denkt, landet im Irrationalismus.

Geist oder Linsengericht einer Mode? 

Theologisch ist Pfingsten kein Rätsel. Der Heilige Geist wird der Urkirche als Statthalter Christi bis zu dessen Widerkunft gesandt. Er verbindet die Gläubigen weltweit und begründet so die nachösterliche Gemeinde, bis heute. Pfingsten ist gerade nicht in jenem flachhubernden Sinn gemeint, den die Berliner Ökumenisten als neue Pfingstbotschaft verkaufen. Wäre Pfingsten nur eine göttliches Bekräftigung des schlichten Sachverhalts, dass Menschen „für etwas brennen“ können, etwa „für Gerechtigkeit, Frieden und den Schutz der Umwelt“ – dann ließen sich sofort abgründige, ja dämonische, destruktive Gründe finden, die andere Menschen zu anderen Zeiten haben „brennen“ lassen. Eine Kirche, die den Geist für das Linsengericht einer Mode feilbietet, sollte nicht damit rechnen, als Kirche ernst genommen werden.

Wie viel näher an Pfingsten ist da doch ein Geistesmensch, Geistesarbeiter wie der Schriftsteller jüdischer Herkunft, Rudolf Borchardt, der mit Blick auf Weihnachten und Ostern schreibt: „Die beiden andern Feste heiligen dem Individuum seine irdische Sendung und seinen unsterblichen Beruf. Pfingsten, Vorform des Gottesreichs und der Gemeinschaft der Kinder Gottes, enthält die Kirche ganz und selber und sollte das höchste Fest überhaupt der Seelenhaften sein.“ Um wirklich „seelenhaft“ leben zu können, braucht es den Geist. Das unteilbare Innere verlangt das mitteilbare Gespräch. Womit wir bei der Bildung wären. An ihrem Zustand zeigt sich, wie es um unseren Geist und um jenen unserer Zeit bestellt ist.

Einander mit Argumenten überraschen 

Die Bildung liegt am Boden, weil sie sich entweder in materieller Anwendbarkeit erschöpft – die Materie ist der wahre „Widersacher des Geistes“ –, oder weil sie gleich ganz übersprungen wird auf dem Weg zum angeblich authentischen Ich, dem nicht widersprochen werden kann, da jedes Herz seine eigenen Gründe habe, über die andere nicht urteilen sollen dürfen (auch hier wäre an die deutschen Grünen zu denken). Wenn jemand heute beispielsweise behauptet, Not kenne keine Gebote, die „Klimakrise“ verlange radikale Gegenmaßnahmen: Dann ist der ideologische Rückwärtsgang zu Ludwig Klages eingelegt und zum richtigen „Richtungsgefühl beim Denken“. Dann triumphiert ein geistfeindlicher Autoritarismus, der fast alle Mittel heiligt.

Was wäre zu tun, um der Bildung aufzuhelfen und den Geist zu rehabilitieren? Die Wertigkeit eines Gedankens sollte sich nicht länger an der emotionalen Emphase bemessen, mit welcher er vorgetragen wird. Dem Herz auf der Zunge sollte sich ein abwägender Geist beigesellen. Selbstreflexion sollte als Urgrund aller Bildung neu entdeckt werden. Nicht nur mit Spontaneität, auch mit Argumenten sollten wir einander überraschen. Und vor allem: Keine Angst vor geistigen Auseinandersetzungen! Frohe Pfingsten.

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