Pfarrer in Zeiten der Corona-Krise - „Es kann ja nicht nichts sein“

Das Coronavirus trifft auch die Gläubigen: keine Gottesdienste, keine Hochzeiten, keine Taufen, Beerdigungen nur unter Auflagen. Wie geht ein katholischer Pfarrer mit den Einschränkungen für das kirchliche Leben um? Ein Gespräch mit dem Geistlichen Michael Bayer.

Die Kirche ist in Bedrängnis geraten, nicht nur durch das Coronavirus / dpa
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Michael Bayer, geboren 1969 in Erding, ist Landkreisdekan des Landkreises Erding und Pfarrer im bayerischen Moosinning.

Herr Bayer, Sie sind katholischer Pfarrer der Gemeinde Moosinning im Erzbistum München-Freising. Wo genau liegt das? 
Moosinning liegt bei Erding und damit in der Nähe des Flughafens von München.

Wie groß ist Ihre Gemeinde?
Der Pfarrverband, dem ich vorstehe, umfasst rund 6600 Katholiken und acht Kirchen. Er heißt St. Anna im Moosrain. Außerdem bin ich Dekan des Erzbischöflichen Dekanats Erding.

Wie viele Heilige Messen halten Sie normalerweise? 
In der Regel eine am Tag, manchmal auch zwei.

Wann war Ihre letzte öffentliche Messe?
Das war am 11. März. Unmittelbar danach zog ich mich auf Aufforderung des Arbeitsschutzes des Erzbistums in Quarantäne zurück. Ich bin nämlich erst Anfang März von einer Reise aus Rom zurückgekehrt, und Italien wurde nach meiner Rückkehr zum Virus-Risikogebiet erklärt. Ich habe aber keine Symptome.

Nicht nur Sie selbst, die ganze Kirche steckt in Quarantäne. Es dürfen momentan deutschlandweit keine öffentlichen Messen stattfinden. Wie haben Sie davon erfahren, und wie bewerten Sie die Maßnahme?
Im E-Mail-Verteiler des Erzbistums wurde uns ein Dekret von Kardinal Marx übermittelt, demzufolge alle öffentlichen Messen bis einschließlich 3. April ausgesetzt seien. Mein erster Gedanke war: Wie soll das gehen? Es ist ja unser täglich' Brot, mit den Menschen zusammen Gottesdienst zu feiern. Da musste ich ein paar Mal schlucken. Aber angesichts der Coronavirus-Ausbreitung kann man nicht tatenlos bleiben. Insofern ist es der richtige Weg – der gleichwohl zum Nachdenken veranlasst. Was soll statt der Messen sein? Es kann ja nicht nichts sein.

Pfarrer Michael Bayer / (c) Ina Herrmann

Haben Sie eine Antwort gefunden?
Ich ringe noch. Natürlich: Man betet zu Hause, man ermuntert die Menschen, die man erreichen kann, zum gemeinsamen Gebet. Wir sind auch dann eine Gemeinschaft, wenn wir uns nicht sehen, weltweit, alle Christen zusammen. Und dennoch ist der Blick, das Miteinander, die persönliche Beziehung nicht mehr so physisch erfahrbar, wie wir es gewohnt waren. Da tut sich eine Leere auf. Sie zu füllen, ist nun die Aufgabe.

Gibt es ein spirituelles Ersatzangebot?
Nicht alle Gemeindemitglieder nutzen die elektronischen Medien oder haben E-Mail. Wir haben über die örtliche Presse bekannt gegeben, dass die Kirchen zum Gebet geöffnet bleiben. Dort liegen besondere Texte und Gebete aus. Es wird Empfehlungen geben, wie man Hausgottesdienste gestalten kann. Am kommenden Sonntagmorgen werden um 5 vor 10 alle Glocken in der Erzdiözese läuten, um auf die Heilige Messe hinzuweisen, die der Erzbischof dann um 10 in der Sakramentskapelle des Münchner Doms halten wird und die man im Internet verfolgen kann. Das Wichtigste ist die Verbundenheit mit Christus, der uns auch in der Krise den Weg zeigt.

Werden Sie für sich allein die Messe feiern, in der Kirche, ohne Gemeinde?
Im vorkonziliaren Ritus war die Messe sine populo, also ohne Volk, statthaft, im erneuerten Ritus tritt die Gemeinschaft in den Vordergrund. Im Studium haben wir gelernt: Wenn eine weitere Person außer dem Priester dabei ist, ist dies eine Gemeinschaft. Insofern könnte es in dieser besonderen Notlage eine solche Messe geben.

Das Jahr 2020 könnte als das erste Jahr in die Annalen eingehen, in dem in ganz Deutschland keine Osterfeiern stattfinden.
Die Bistümer Münster, Bamberg und Berlin haben das bereits angekündigt, in Rom wird der Papst ohne physische Anwesenheit der Gemeinde feiern. Bei uns steht die Entscheidung noch aus. Die evangelischen Mitchristen in Moosinning haben ihren Gottesdienst schon abgesagt.

Die Osternacht, die Feier der Auferstehung Christi, ist der wichtigste Gottesdienst des Jahres.
In der Tat. Die Frage ist eben, was bleibt von einer Feier ohne Menschen? Wie kann man sich freuen, wenn da ringsum so viel Leid ist? Vor dem aktuellen Hintergrund kann es sinnvoll sein, Ostern ruhig anzugehen, nachdenklich, in der Hoffnung, dass uns allen sprichwörtlich ein Licht, das Licht Christi, aufgeht.

Eine Kirche, die sich sowieso in unruhigem Fahrwasser befindet, auch aufgrund eigener Verfehlungen, zieht sich in die Unsichtbarkeit zurück. Das sieht nach einem doppelten Ruin aus.
Es kommt darauf an, dass wir trotzdem Gutes tun und Gemeinschaft zeigen. Die Familie als Hauskirche kann neu zueinander finden, im Gebet, im Gespräch, im gemeinsamen Essen. Und wir Seelsorger und Seelsorgerinnen bleiben erreichbar. Wir verstecken uns nicht. Wir sind da. Die Pfarrbüros sind alle besetzt.

Wie steht es mit Beichte, Taufe, Hochzeit und Beerdigung? Was findet statt, was nicht?
Taufen und Hochzeiten werden auf einen späteren Termin verschoben. Beichten sind in dringenden Fällen möglich, wenngleich wir noch keine Schutzmasken haben. Mit Handschuhen und Desinfektionsmittel sind wir ausgestattet. Da finden wir Mittel und Wege. Beerdigungen werden auf dem Friedhof abgehalten, wenn von der Kreisbehörde die Genehmigung erteilt worden ist, im kleinen Kreis und vorerst ohne Requiem, also Totenmesse.

Eine Seuche ist ausgebrochen, Gottesdienste werden verboten, Menschen sterben: Sind das apokalyptische Zeichen?
Wenn wir weit in die Geschichte zurück schauen, sehen wir: Das Volk Israel ging durch viele Krisen hindurch und hat sie mit Gottes Hilfe überwunden. Und dadurch, dass man sich selbst an der Nase packte, sich selbst auf den Weg machte. So wird es auch hier sein. Wir müssen in dieser Krise, die wir uns nicht ausgesucht haben, das Richtige tun. Momentan verbarrikadieren sich die Menschen. Da ist es gut zu wissen, dass da jemand ist, den sie ansprechen können, der bereitsteht in Not und Trauer, unabhängig von Konfession und Glaubensrichtung. Und ich denke, das ist nicht nur im Erdinger Land so.

Womit verbringen Sie persönlich die zusätzliche freie Zeit?
Es gibt genug Büroarbeit zu tun, ich werkele im Garten, ich bete, und ich lese endlich mal wieder Krimis. Zur Zeit den humoristischen Niederbayern-Krimi „Wenn der Waschbär kommt“ von Inge Hirschmann. Da ermitteln eine Ministrantin und ein Totengräber – kann ich empfehlen.

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