Patricia Schlesinger tritt als ARD-Vorsitzende zurück - Der Druck zu groß, die Luft zu dünn

Zum Jahreswechsel hat RBB-Intendantin Patricia Schlesinger den Posten der ARD-Vorsitzenden übernommen. Acht Monate später ist sie nun nach Compliance-Vorwürfen von eben diesem Posten zurückgetreten. Für die ARD, die sich derzeit im größten Umbau ihrer Geschichte befindet, ein kleiner Supergau – und Wasser auf die Mühlen der Kritiker des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Die RBB-Intendantin Patricia Schlesinger / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Schon ihr Amtsantritt als ARD-Vorsitzende war kein leichtes Unterfangen. Als Cicero Patricia Schlesinger Anfang des Jahres im Intendantentenbüro des RBB traf – da war sie erst seit kurzem offiziell im Amt – herrschte Unruhe. Über den Ticker flatterte die Meldung ins Hochhaus im Berliner Stadtteil Westend, dass der Kreml das Russlandbüro der Deutschen Welle schließen will. Zwei Stunden waren für das Gespräch veranschlagt, mehrfach wurde es unterbrochen, weil eine Stellungnahme hermusste.

Damals wirkte alles gut orchestriert, Rad griff in Rad. Und obwohl es kurz ruckelte mit der Erreichbarkeit, weil ZDF-Intendant Thomas Bellut in einem Meeting saß, stand bald auch die Leitung nach Mainz. Eine gemeinsame Erklärung von ARD, ZDF und Deutschlandradio folgte. In der Form ein Novum in der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Ein weiteres Novum folgte nun am Donnerstag, acht Monate nach Schlesingers Amtsantritt: Die Tagesschau meldet in den 20-Uhr-Nachrichten, dass der RBB seinen ARD-Vorsitz abgeben wird. Der WDR, heißt es weiter, wird bis Jahresende übernehmen. 

Der Druck zu groß, die Luft zu dünn

Für die ARD sind die neuesten Entwicklungen ein kleiner Supergau. Auslöser für den nun offiziell vermeldeten Rücktritt Schlesingers als ARD-Vorsitzende sind Recherchen des Magazins Business InsiderVor wenigen Wochen wurden vom Magazin schwere Vorwürfe gegen die nun ehemalige ARD-Vorsitzende erhoben. Es geht unter anderem um „fragwürdige Dienstwagenprivilegien“, wonach der Sender einen Audi A8 im Wert von rund 145.000 Euro zum Vorzugspreis geleast haben soll. Der RBB weist die Kritik zurück, spricht von einem „branchenüblichen Firmenrabatt“.

Doch es ist nicht der einzige Vorwurf gegen Schlesinger, der im Raum steht. Von fehlerhaften Abrechnungen bei dienstlichen Abendendessen ist weiter die Rede. Und davon, dass der RBB-Verwaltungsratsvorsitzende Wolf-Dieter Wolf seinen Posten als Aufsichtsratschef der landeseigenen Messe Berlin dazu genutzt haben soll, Schlesingers Ehemann und einen ehemaligen Spiegel-Journalisten Berateraufträge in Höhe von 140.000 Euro verschafft zu haben. Wolf, der sein Amt derzeit Ruhen lässt, weist die Vorwürfe zwar zurück. Ebenso wie Schlesinger, die mehrfach versicherte, für Aufklärung zu sorgen, und dafür sogar eine externe Kanzlei engagiert hat. Doch nun scheint der Druck dann doch zu groß geworden zu sein, die Luft für die ARD-Vorsitzende zu dünn – und Schlesinger tritt den Rückzug an. 

Nachholbedarf beim Meinungspluralismus 

Die ARD befindet sich derzeit im größten Umbruch seit Bestehen. Denn auch ein öffentlich-rechtliches System, das jährlich acht Milliarden Euro plus Werbeeinnahmen kassiert, kann sich der Digitalisierung nicht verschließen. Die Mediatheken von ARD und ZDF etwa sollen vernetzt und neue Formate fürs Digitale entwickelt werden. Hinzu kommen interne Diskussionen über mehr Diversität, womit laut Schlesinger, sagte sie damals gegenüber Cicero, auch mehr Meinungspluralismus gemeint sei. Den wolle sie fördern und Formate entwickeln, in denen Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven aufeinandertreffen. Schlesinger sagte, ihr Lieblingsbild sei da ein See: „Stehe ich am Südufer und schaue nach Norden, sehe ich Bäume. Stehe ich am Nordufer und schaue nach Süden, ist da Strand. Es ist immer noch derselbe See, aber aus unterschiedlichen Perspektiven.“ 

Die RBB-Intendantin – ein Posten, den sie seit 2016 inne hat und vorerst wohl behalten wird – kennt freilich die gängigsten Vorwürfe an die ARD: zu grün, zu links, zu zeitgeistig. Und immer wieder scheinen ARD-Journalisten diesen Ruf auch bestätigen zu wollen. Vor allem Twitter führt immer wieder zu Reputationsschäden. Mal, weil Tina Hassel, Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios, zu euphorisch vom Grünen-Parteitag berichtet. Mal, weil „Monitor“-Chef Georg Restle die AfD einen „tiefbraun vergorenen Haufen“ nennt. Mal, weil die WDR-Studioleiterin in Essen, Georgine Kellermann, einen Beitrag teilt, wonach Querdenker „theoretisch schwimmen“ könnten, dennoch untergingen, „weil sie nicht ganz dicht sind“. Und die Causa Schlesinger ist nun freilich weiteres Wasser auf die Mühlen der Kritiker des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die in den vergangenen Jahren zahlreicher und lauter geworden sind. 

Gemeinsam für Meinungs- und Berichterstattungsfreiheit

Als es um guten Journalismus ging, zitierte Schlesinger damals den Spiegel-Gründer Rudolf Augstein. Guter Journalismus sei, „sagen, was ist“. Das gelte freilich auch für sie selbst, befand Schlesinger. Nur einmal habe sie eine „Grenze überschritten“, wie sie das nannte. Damals, in Kambodscha, wo in den Slums am Wasser Leichen trieben, während Kinder am Ufer spielten. In dieser Umgebung sei sie dazwischengegangen, erzählte sie, als eine Mutter ihr wimmerndes Kind mit einer Gürtelschnalle prügelte. „Eigentlich ein No-Go für eine Journalistin, die in der Beobachterrolle zu bleiben und sich nicht in das Geschehen einzumischen hat“, so Schlesinger damals. Auch darum geht es bei der Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk immer wieder: um die Grenzen des Journalismus. 

„Wir verurteilen die Schließung der Büros der Deutschen Welle in Russland“, hieß es später in der gemeinsamen Erklärung von ARD, ZDF und Deutschlandradio zur Entscheidung des Kreml. Und auch: „Wir stehen gemeinsam für Meinungs- und Berichterstattungsfreiheit ein und werden das auch weiter tun.“ Acht Monate später ist Schlesinger selbst Teil dieser Meinungs- und Berichterstattungsfreiheit geworden, als Protagonistin in einer möglichen oder tatsächlichen Affäre, vielleicht auch in mehreren. Und die ARD muss sich erklären. Mal wieder. 

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