Paris Fashion Week - Die Mode ist tot, es lebe die Mode

Mit Jean-Paul Gaultier ist einer der letzten Modeschöpfer der alten Schule von der Bühne getreten. Mit ihm ist eine ganze Epoche zu Ende gegangen. Haute Couture wird heutzutage nur noch von russischen Oligarchenfrauen und reichen Asiatinnen gekauft. Die Mode hat sich demokratisiert

Macher und Musen: Jean-Paul Gaultier / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Mode ist politisch. Denn Mode bildet Machtverhältnisse ab: ökonomische, kulturelle und soziale. Deshalb kündigte Mode auch immer von gesellschaftlichen Umbrüchen: Coco Chanels „kleines Schwarzes“ war nicht nur Ausdruck der Emanzipation, es war selbst emanzipatorisch; Christian Diors „New Look“ stand für die Restauration der 50er Jahre; und der Twiggy-Style der 60er symbolisierte die sexuelle Revolution und die zweite Welle des Feminismus. Mode ist auch deshalb politisch, weil sie seit Menschengedenken Distinktionsmerkmal ist. Sie markiert die Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Klassen, zu Berufsgruppen und Subkulturen. Zugleich spiegelt sie Rollenbilder von Frauen und Männern, von Mächtigen und weniger Mächtigen. Und sie gestattet einen Blick auf die sozialen Strukturen, die all das hervorbringen.

Wenn in Paris zweimal im Jahr die großen Haut Couture Schauen laufen, dann haben wir es also mit mehr zu tun als mit einer Reihe exzentrischer Inszenierungen überteurer Klamotten. Mode ist eine Sprache, in der eine Gesellschaft zu sich selber spricht. Insofern sind die Haut Couture Präsentationen immer ein Blick in einen kollektiven Spiegel. Was man dieses Jahr in diesem Spiegel sehen konnte, musste einen jedoch nachdenklich stimmen. Oder melancholisch. Je nach dem.

Popkulturelle Wende zum Bombast 

Sicher, es gibt Modehäuser, allen voran Dior, Chanel und Givenchy, die sich einer Tradition verpflichtet sehen und die diese Jahr für Jahr behutsam auf der Höhe des Zeitgeistes zu halten versuchen. Deren Schauen sind eine immerwährende Hommage an eine große Zeit, eine andauernde Verbeugung vor dem Gestern, als Europa nach dem Desaster der Weltkriege noch einmal für zwei Jahrzehnte zumindest das kulturelle und intellektuelle Zentrum der Welt war – und Paris der Nabel dieses Zentrums, mit Nouvelle Vague und Nouveau Roman, mit Existenzialismus und Strukturalismus.

In den 80er Jahren kam dann die popkulturelle Wende zu Bombast, Ironie und Dekonstruktion: Versace, später Franco Moschino und natürlich Jean-Paul Gaultier. Es war wie ein letztes großes Aufbäumen in einer Zeit, als globale Billigketten begannen, Einzug in die Innenstädte zu halten und Modedesigner die Trends der Straße aufgriffen und nicht etwa umgekehrt – man könnte es als Demokratisierung bejubeln, wenn Mode etwas mit Demokratie zu tun hätte.

Das Konzept der Mode ist obsolet 

Doch Haute Couture ist autoritär. Sie zu ironisieren oder dem Streetstyle anzuverwandeln, war lediglich die letzte Volte einer Idee des 19. Jahrhunderts, dessen patriarchale Strukturen bis weit in das 20. Jahrhundert hineinwirkten und so etwas wie eine Haute Couture überhaupt überleben ließen.

Deren Konzept aber ist im Kern schon seit Jahrzehnten obsolet – allenfalls am Leben erhalten durch Novizen des Kapitalismus: russische Oligarchenfrauen und reiche Asiatinnen. Neben dem früh verstorbenen Franco Moschino hat das niemand so klar begriffen wie Jean-Paul Gaultier, der mit seinen Korsetts und Matrosenpullis, mit Männern in Röcken und Madonnas Cone Bra die Formsprache der hohen Mode ad absurduum führte.Mit einer letzten Show hat er sich nun auch  von der Haute Couture verabschiedet. Wenig überraschend bot diese Show wenig Überraschendes, ein Rückblick auf 30 Jahre Gaultier, Matrosenlook inklusive. Doch dieser Blick zurück hatte etwas Museales. Es war ein Blick in eine vergangene Welt, eine Welt des Überflusses, der Sicherheit und Ordnung, der klaren Strukturen, eine Welt des Spiels und der Ironie.

Abschied von einer ganzen Epoche  

Überfluss wird es weiterhin geben. Doch die Berechenbarkeit ist dahin, und die Strukturen, die sie garantierten, schwanken erheblich. Gaultier, das Kind der 80er und 90er Jahre, wirkt mit einem Mal unendlich alt – aller zur Schau gestellten Jungendlichkeit zum Trotz. Und weil Gaultier nicht irgendein Modemacher war, sondern seinen Ruhm daraus schöpfte, dass er die Idee der Haute Couture rettete, indem er sie karikierte, sollte an diesem Mittwochabend auch dem Letzten klargeworden sein, dass sich hier nicht nur ein Modemacher verabschiedete, sondern eine ganze Idee und ihr Epoche.

Es ist vorbei. Die großen Modehäuser werden vorerst weiterbestehen, und es wird auf dieser Welt weiterhin reiche Gattinnen geben, die sich deren Haute Couture Produkte leisten können. Doch nach dem Abgang Gaultiers wird die Haute Couture nicht mehr sein als ein Andenken an eine vergangene Epoche.

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