Öffentlich-rechtlicher Rundfunk - Panik regiert

Der Intendant des Saarländischen Rundfunks hat ein Gütesiegel für Qualitätsjournalismus gefordert. Dazu wird es glücklicherweise nicht kommen. Der unrealistische Vorschlag zeigt, wie sehr die öffentlich-rechtlichen Medien in die Defensive geraten sind

Thomas Kleist, Intendant des Saarländischen Rundfunks, fordert ein „europäisches Gütesiegel für Qualitätsjournalismus“ / picture alliance
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Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Das Saarland ist bekannt für seine Fleischwurst namens Lyoner, seine Bundespolitiker namens Altmaier, Maas und Kramp-Karrenbauer, vielleicht auch für eine Rebsorte namens Elbling. Für seinen Rundfunk war das Saarland bisher nicht bekannt. Das kleine Land mit seinen knapp einer Million Einwohnern gönnt sich eine eigene öffentlich-rechtliche Anstalt. Die Gründe für deren Notwendigkeit verlieren sich im Dunkel der Geschichte. Nun ist mit einem Paukenschlag der Saarländische Rundfunk auf die bundespolitische Bühne zurückgekehrt: Intendant Thomas Kleist fordert ein „europäisches Gütesiegel für Qualitätsjournalismus“. Worauf sich die Frage erhebt: Ist das noch Demokratie, oder kann das weg?

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht von vielen Seiten unter Beschuss. Als Rentenversorgungssystem mit angeschlossener Contentproduktion wurde er schon verspottet, als „Staatsfunk“ verhöhnt. Wer sich den täglichen Tort der „Tagesthemen“ oder des „heute Journals“ antut, kann den Eindruck gewinnen, dass Ausgewogenheit in der Kommentierung ein scheues Reh ist. Der Höhenflug der Grünen erfährt Geleitschutz, Migration und Europäische Union werden a priori begrüßt. Die Marktwirtschaft hat meistens Pech. Auch in der Berichterstattung siegt zuweilen die Haltung über das Faktum. Und Haltung nistet links der Mitte.

Auf der hellen Seite der Macht

Nicht vordergründig treiben den saarländischen Intendanten solche Probleme um. Er sprach nicht in selbstkritischer Absicht. Ihn ließ ein Phänomen das Wort ergreifen, das es eben auch gibt: die unüberschaubare „Fülle an Informationen im Netz“. Dadurch sei es „zunehmend schwieriger einzuordnen, welche Meldungen die Wirklichkeit objektiv abbilden und welche manipulativ beziehungsweise manipuliert sind. Dies ist eine Bedrohung für unsere freiheitlichen Demokratien; da stellt sich die Frage, wie wir uns davor besser schützen können. Verbote helfen da erfahrungsgemäß nur wenig. Vielversprechender ist im Internet das Prinzip der freiwilligen Selbstverpflichtung.“ 

Oha. Sehr kurz ist bei Thomas Kleist der Sprung vom Ich zum Wir. Der Medienprofi beginnt eine Rede, die ins pathetische Wir der Demokraten mündet. Und diese Demokraten sind einerseits der höchste Souverän, andererseits ein dummes Kind, das vor den Zumutungen der Vielfalt geschützt werden muss. Aus Kleists Worten spricht gerade kein Zutrauen in die Kraft „unserer freiheitlichen Demokratie“. Im Angesicht des angeblich tückisch verführerischen „Netzes“ wird der mündige Staatsbürger zum unreifen Querulanten herabgestuft. Leicht kann er in Kleists Welt manipuliert werden – aber immer nur von den anderen. Auf der hellen Seite der Macht stehen der Saarländische Rundfunk und der übrige „Qualitätsjournalismus“, allzeit objektiv, immer realistisch. Ganz gewiss würde Kleist das „Gütesiegel“ sich umgehend selbst ans Revers heften. Ihr Nutzer im Netz, schaut nach Saarbrücken, meidet die Staaten!

Allianz der Guten

Sehr schlicht ist solcher argumentativer Holzschnitt. Als gäbe es die unvermischte Milch der guten Denkungsart. Als wäre die Wahrheit hier immer und dort nie anzutreffen. Als wären die, die sich moralisch lauter dünken, je vor Zurichtungen der Wirklichkeit gefeit gewesen. Vor allem aber: Als befänden sich im Jahre 2019 die öffentlich-rechtlichen Anstalten in einem Zustand, der es ihnen erlaubte, auf andere Medienanbieter und das „Netz“ herab zu schauen. Kleist fordert eine Allianz der Guten, ein Stelldichein der Reinen, die sich wechselseitig auf die Schulter klopfen und sich ihre Vorbildlichkeit reihum bestätigen: „Deshalb sollte man ein ‚Europäisches Gütesiegel für Qualitätsjournalismus‘ prüfen, das jedem Besucher einer Seite auf den ersten Blick zeigt, dass er den dort dargestellten Inhalten vertrauen kann. Die Medien, die das Siegel verwenden wollen, verständigen sich auf gemeinsame Qualitätskriterien wie gute Recherche, Quellentransparenz, das Recht auf Gegendarstellung.“

Pardon, so etwas gab es schon einmal. Damals, als die vertrauensvolle Zeitung noch „Prawda“ hieß – die eine „Wahrheit“ für alle –, da verliehen die Herren im Politbüro sich gerne Orden, dass es nur so krachte. Damals war vor publizistische Vielfalt ein eiserner Riegel geschoben. Niemand wurde verwirrt mit unüberschaubarer „Fülle“. Thomas Kleist, ehemals Staatssekretär unter Ministerpräsident Lafontaine im saarländischen Gesundheitsministerium, wird es wissen. Sein Traum vom „Gütesiegel“ unterschätzt die Intelligenz der Mediennutzer, überschätzt die Bereitschaft, sich von Zertifikaten beeindrucken zu lassen, und fremdelt mit der offenen Gesellschaft. Natürlich wird es dieses „Gütesiegel“ nie geben – und käme es doch, könnte es in den Ruch geraten, opportune Ansichten zu kennzeichnen. Dann wäre es unter der Hand zum Ausschlusskriterium geworden. Zum Fallobst auf der Nachrichtenwiese.

So oder so: Es sind panische Zeiten angebrochen in öffentlich-rechtlichen Anstalten, wenn solche Träume zirkulieren.

Karikatur von Hauck & Bauer

 

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