Niall Ferguson über Meinungsfreiheit - „Die Linken haben die Macht übernommen“

Niall Ferguson ist einer der renommiertesten Historiker Großbritanniens, wenn nicht der Welt. In einem Interview hat er nun zu einem Rundumschlag gegen den akademischen Betrieb ausgeholt. An den Universitäten dominierten linke Professoren, die alle Andersdenkenden ausgrenzten

Niall Ferguson: „Es galt und gilt, den Kanon der toten weißen Männer zu dekonstruieren.“ / picture alliance
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Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Der britische Historiker Niall Ferguson sorgt sich um die Freiheit des Denkens. In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung beklagt er die Verengung des Meinungskorridors an Universitäten und benennt die Verantwortlichen: „Die Linken haben die Macht übernommen. Und sie, die sich in der Theorie für die Inklusion starkmachen, haben in der Praxis alle Andersdenkenden konsequent exkludiert.“ Unter hehren Begriffen wie Vielfalt und Diversität verberge sich eine diskriminierende „Machtpolitik“. Die Professoren begriffen sich immer stärker als linke Aktivisten. Dies sei eine „Bankrotterklärung des akademischen Betriebs, der Demokratie und der Marktwirtschaft.“

Wurzeln liegen laut Ferguson in Deutschland

Ferguson sieht im gesamten Westen „die Jammer- oder Beschwerdestudien“ zulasten „evidenzbasierter Argumente“ auf dem Vormarsch. „Im Zentrum“ dieser neuen Disziplinen stünden „die Beleidigten und Empörten, also zusammengefasst: die Opfer. (…) Es galt und gilt, den Kanon der toten weißen Männer zu dekonstruieren.“ So sei der Wettstreit der Argumente vom Kampf um die „lautesten Unterstützer“ abgelöst worden.

Interessanterweise sieht Ferguson die Wurzeln dieses Paradigmenwechsels auch in Deutschland, bei Jürgen Habermas, der „deutschen Historikerzunft“ und der „Frankfurter Schule“. Seit im sogenannten Historikerstreit der achtziger Jahre „Ernst Nolte und Michael Stürmer gegen Jürgen Habermas, Hans-Ulrich Wehler, Jürgen Kocka und all die anderen aufstrebenden Historiker“ unterlagen, habe sich „der Rahmen des Sagbaren im akademischen und öffentlichen Raum drastisch verengt. (…) Es gibt kaum Seminare, die sich mit dem Bösen am Sozialismus und Kommunismus auseinandersetzen – das gibt es in Stanford nicht, ebenso wenig in Oxford und wohl auch nicht in Zürich. Die Verbrechen der Sozialisten werden heruntergespielt, die Verbrechen der Faschisten hingegen dienen dauernd als universelle Vergleichsgrößen“.

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