Neue globale Eliten - Kulturkampf von oben

Kolumne: Grauzone. Die neue Elite hat eine Koalition mit der akademischen Linken gebildet. Man rümpft die Nase über die angeblich Zurückgebliebenen und die enge Welt der Eltern und Großeltern. Tatsächlich aber ist diese Perspektive verengt

Die neue Elite definiert sich über die sozialen Netzwerke der Gleichgesinnten / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Früher war die Welt eindeutig übersichtlicher: An der Spitze der Gesellschaft standen der Adel und das gehobene Bürgertum. In diesen Kreisen dachte und wählte man konservativ. Schließlich sollte alles so bleiben wie es ist.

„Unten“ hingegen befanden sich die Arbeiterschaft, die kleinen Handwerker und Angestellten. Hier hoffte man auf Veränderungen. Also war man progressiv und wählte links, auch wenn man in Kern vielleicht wertkonservativ war.

Und heute? Verkehrte Welt: An der Spitze der Gesellschaft, bei den Besserverdienenden und den neuen Eliten, gibt man sich fortschrittlich, international und weltoffen. Man surft auf den Wellen des Zeitgeistes, begrüßt den gesellschaftlichen und technischen Wandel, die Buntheit der Welt, ihre Diversität. Und natürlich ist man linksliberal und rümpft die Nase über all die angeblich Zurückgebliebenen, die nicht ebenfalls so denken oder fühlen.

In Barcelona ebenso zu Hause wie in Sydney

Diese eigenartige Situation ist das Produkt der sozialen, ökonomischen und kulturellen Entwicklung der vergangenen drei Jahrzehnte. Sie hat ein Milieu der gut Ausgebildeten und international Flexiblen hervorgebracht, derjenigen, die ein paar Semester im Ausland studiert haben und deren Karriere sie schon nach London oder Shanghai verschlagen hat. Man arbeitet für einen weltweit agierenden Konzern, besser noch für eine internationale Organisation oder in der Medien- und IT-Branche, also dort, wo es besonders leicht fällt, Wohlstand und linksliberale Gesinnung gleichzeitig zur Schau zu stellen und als Lifestyle zu präsentieren.

Entsprechend kommt es zu einer auf den ersten Blick seltsamen Koalition dieser neuen Eliten mit der akademischen Linken, den Kulturschaffenden und Kreativen. Denn mit ihnen teilt man Lebensstil und Werte, man bewohnt gemeinsam die gentrifizierten Vierteln unserer Großstädte, nicht ohne die Gentrifizierung zu beklagen. Man hat ein Netflix-Abo, konsumiert mit Kennermiene den neuesten amerikanischen Serienhype im Original, bucht bei Airbnb und liest den New Yorker. Vor allem aber wähnt man sich als Träger einer neuen, globalen Kultur und Avantgarde, die in Barcelona ebenso zu Hause ist wie in Sydney. Man definiert sich nicht über lokale Verortung, sondern über die sozialen Netzwerke der Gleichgesinnten.

Sehnsucht nach Bruch mit der eigenen Herkunft

Getragen wird dieses Milieu im Kern von einem enormem Emanzipationsbedürfnis, der Sehnsucht nach einem möglichst radikalen kulturellen und intellektuellen Bruch mit der eigenen Herkunft, da die Welt der Eltern und Großeltern mit ihren Überlieferungen und lokalen Verortungen als einengend und selbstverwirklichungsfeindlich empfunden wird.

Also befindet man sich in einem andauernden Krieg gegen die eigene Vergangenheit und Herkunft, die überhaupt kein Manko ist, aber als solches wahrgenommen wird.

Da aber die Kontaminierung mit dem Gestrigen und Rückständigen an jeder Ecke lauert und die eigene Unsicherheit groß ist, schottet man sich ab und bewegt sich konsequent in einer Welt, die man für bunt hält und vielschichtig, in der aber letztlich alle gleich sind: konfektionierter Individualismus.

Die kulturelle Abschottung dieser Offenen und Toleranten führt zu einer Verengung ihrer Perspektive: Man verfällt dem Irrtum, das eigene Leben sei der normative Goldstandard, man wähnt sich auf der Höhe der Zeit. Schlimmer noch: Aufgrund der Fehleinschätzung, dass das eigene Emanzipationsprojekt das einzig legitime und moderne sei, schaut man mit Verachtung auf jene, die an diesem Projekt und der ihm implantierten Ideologie nicht teilhaben können oder wollen.

Offene Konfrontation zwischen Funktionsträgern

Seitens der linken Intellektuellen, der Künstler und Kreativen führt das zu einem Verrat historischen Ausmaßes: man kritisiert nicht mehr die Herrschenden, sondern vielmehr die Beherrschten. Man macht sich gemein mit Silicon Valley und den Steve Jobs und Mark Zuckerbergs dieser Welt, da man hier instinktsicher nicht nur das Geld zur Verwirklichung eigener Projekte sieht, sondern zugleich die Ikonen des eigenen Lifestyles. Das man sich damit zum nützlichen Idioten macht, ist offensichtlich egal. Was würde der gute alte Theodor W. Adorno dazu sagen?

Überraschen kann das alles nicht. Schon Ralf Dahrendorf hat diese Entwicklung im Jahr 2000 in seinem einschlägigen Aufsatz Die globale Klasse und die neue Ungleichheit in ihren Grundzügen vorausgesehen.

Das Ergebnis ist eine offene Konfrontation zwischen den Funktionsträgern der Globalisierung und ihren linksliberalen Ideologielieferanten einerseits und den jeweiligen lokalen Gesellschaften andererseits. Da zudem die eine Seite im Zeichen ihrer persönlichen Emanzipation das Liberalismusmonopol für sich in Anspruch nimmt und damit Liberalität ad absurdum führt, bekommt diese Konfrontation eine unversöhnliche Schärfe. Es droht ein Kulturkampf von oben.

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