Mord in Frankfurt - Warum es wichtig ist, die Herkunft des Täters zu nennen

Der Mord an einem Achtjährigen im Frankfurter Hauptbahnhof hat die Menschen erschüttert. Medienschaffende aber treibt noch etwas anderes um: Sollte man die Herkunft des Täters nennen? Unter Journalisten scheiden sich in der Diskussion die Geister

Nach dem Mord am Frankfurter Hauptbahnhof wird unter Journalisten debattiert
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Jannik Wilk ist freier Journalist in Hamburg. 

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Nachdem ein Achtjähriger im Frankfurter Hauptbahnhof sein Leben verlor, weil ein Mann aus Eritrea ihn und seine Mutter vor einen einfahrenden Zug schubste, diskutiert Mediendeutschland ein umkämpftes Thema: das Nennen und Verschweigen der Herkunft von Tätern. Mehrere Medien wie die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Allgemeine Zeitung oder die Welt, der Spiegel und auch Cicero nannten in ihrer Berichterstattung das Land, aus dem der Täter stammt. Im Nachrichtendienst Twitter aber entfachte sich derweil zwischen Journalisten ein Streit darum, ob das richtig sei. Der Ton dabei: rau.

Der Hass auf Twitter war vorhersehbar

In einem Kommentar äußerte sich etwa die Chefredakteurin der Deutschen Welle, Ines Pohl, zu dem Thema. Auch, weil sie erklären wollte, warum die Deutsche Welle die Nationalität des Eritreers nannte. Wir Journalisten seien der Wahrheit verpflichtet, schrieb Pohl. Und gesellschaftliche Entwicklungen ließen sich nur mit der ganzen Geschichte verstehen. Pohl schlug dafür auf Twitter, leider beinahe vorhersehbar, großer Hass entgegen. Besonders die linke Twitterblase empörte sich. So nahm sich der Ex-Chefredakteur des Satiremagazins Titanic, Tim Wolff, gar heraus, Pohl eine Rassistin zu nennen.

Doch hatte sie mit beiden Argumenten Recht. Ihr Kommentar griff sogar noch zu kurz: Es gibt nämlich weitere gute Gründe, weshalb die Herkunft eines Täters genannt werden sollte.

Ungeahnte Schützenhilfe für Rassisten

Denn mit nichts spielt man Rechtsextremen unvorteilhafter in die Hände. Der Grund: die Herkunft des Täters ist im Falle des tragischen Todes am Frankfurter Hauptbahnhof ohnehin bekannt. Die Polizei bestätigte rasch, dass der Täter aus Eritrea stamme. Auch schon bei anderen Fällen hat die Wahrheit einen Teufel getan, sich hinter dem Berg zu halten. Sie kommt immer ans Licht. Und wenn sie nicht von der liberalen Presse lanciert wird, dann eben von den rechten Pendants. In Blogs, auf Youtube und den vielen anderen neuen Öffentlichkeiten.  

Wenn die etablierten Medien die Herkunft trotzdem verschweigen, werden sie weiter an Vertrauen einbüßen. Die Rechtsaußen dieses Landes dürfen sich dann freuen: Sie werden ein solches Vorgehen dankbar in ihr wohlkonstruiertes Narrativ einer bevormundenden „Lügenpresse“ aufnehmen, weiter Zulauf bekommen.

Deshalb sollten wir uns in der Debatte um das „Nennen“ oder „Nicht-Nennen“ auch ehrlicher machen: Wer nicht nennt, der verschweigt. Und Verschweigen darf nie Aufgabe von Journalisten sein. Denn das ist brandgefährlich. Auch wenn der Begriff „Lügenpresse“ historisch kontaminiert ist und sich verbietet: Der Vorwurf der „Lüge“ ist nicht einmal unwahr. Mit Verschweigen tun Journalisten also weder sich noch dem gesellschaftlichen Klima in Deutschland einen Gefallen. 

Die Herkunft des Täters ist schon lange nicht mehr irrelevant hierzulande, ob man es nun will oder nicht. Nicht zwingend, weil Herkunft oder Hautfarbe tatsächlich relevant wäre. Sondern, weil es von der Bevölkerung zu einer Sache von Relevanz erhoben wird und damit de facto relevant für die gesellschaftliche Debatte in Deutschland ist. Thematisiert die Presse die Herkunft nicht selbst, tun es die Leute von sich aus. All das kann man bedauern. Es ist aber die Realität, in der wir leben.

Die Argumentationslinie ist hinfällig

Das tragende Argument jener, die sich für eine Verschweigung der Herkunft starkmachen, ist stets, mit dieser Maßnahme keinen Rassismus zu befeuern, keine Hetze zu fördern. Die Wahrheit ist aber, dass die Herkunft immer instrumentalisiert werden wird, egal ob sie genannt wurde oder nicht.

Tatsächlich ist es eine fragwürdige Bevormundung des Lesers, dem man durchaus zutrauen darf, eigene Schlüsse zu ziehen, die nicht in Fremdenfeindlichkeit münden. Klardenkende Menschen, die keine Rassisten sind, werden auch keine durch die Nennung der Herkunft. Sie wissen bestenfalls um die Komplexität der Welt.

Im Grunde lässt sich Herkunft auch viel weiter fassen, als nur die nationale oder geografische. Natürlich ist es relevant, woher der Mann ursprünglich stammte, denn so lässt sich sein Weg zurückverfolgen. Er führte in die Schweiz. Dort lebte er offenbar vorbildlich integriert, bis er kürzlich ernsthafte psychische Probleme bekam, seine Familie und Nachbarn bedrohte, in psychiatrische Behandlung kam und er schließlich polizeilich gesucht wurde. Hätten wir das erfahren, wenn wir nicht nach Herkunft gefragt hätten? Die Herkunft eines Menschen umfasst alle Lebensumstände – soziale, aber eben auch geographische.

„Aber der Pressekodex!“, merkten viele an. Ja, den gibt es. Er ist wichtig. Er besagt, dass man die Herkunft des Täters nennen sollte, wenn diese „in einem Tatzusammenhang steht, oder ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit besteht“. Das war diesmal nicht zweifelsfrei der Fall. Aber ganz abgesehen davon, dass bereits in die Richtung ermittelt wird, es könne sich bei der Tat um den Racheakt für den Mordversuch an dem Eritreer im hessischen Wächtersbach handeln: Der Pressekodex weiß nicht um die schrecklichen Wechselwirkungen, die dieser Kommentar darlegt. Er ist kein denkendes, vernunftbegabtes Wesen, das sich einer veränderten Öffentlichkeit anpasst. Wir Journalisten aber sind es – und unsere Leser sind es auch.

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