Rücktritt von Mesut Özil - Zum Abschuss freigegeben

Der Rücktritt von Mesut Özil aus der Nationalmannschaft offenbart die mangelnde Fähigkeit zur Selbstkritik eines Fußballers. Vor allem aber ist er ein fatales Signal für die Integration von Einwanderern

Ausgespielt: Für die deutsche Nationalmannschaft wird Mesut Özil nicht mehr auflaufen / pciture alliance
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Am liebsten würden Fans der Nationalmannschaft diesen Fußball-Sommer wohl schnell vergessen. Doch das ist nicht leicht. Denn nicht nur Fußballspiele gingen in diesem Sommer verloren. Die große Erzählung vom Fußball als Integretationsmotor, vom großen Volkssport, der die aus verschiedenen Völkern stammenden in Deutschland lebenden Menschen zusammenbringt, kann nun seit dem Rücktritt Mesut Özils aus der Nationalelf nicht mehr erzählt werden.

Fehlende Selbstkritik bei Mesut Özil

Was bleibt, ist ein vielleicht politisch naiver, ganz sicher aber zur Selbstkritik unfähiger Fußballspieler; ein Verband, der im Krisenmanagement fast alles falsch gemacht hat, was man falsch machen kann; und eine Gesellschaft, die sich fragen muss, wie es sein kann, dass ein Nationalspieler sich nicht mehr in der Lage sieht, ein Land zu vertreten, weil er sich in diesem Land rassistisch angefeindet fühlt. 

Alles begann mit dem Foto, das Mesut Özil und Mitspieler Ilkay Gündogan vor der WM mit Recep Tayyip Erdogan machten, dem Präsidenten der Türkei. Die Aktion war dumm und für viele, zum Beispiel für türkische Kurden, verletzend. Diese Einsicht fehlt Mesut Özil offensichtlich. Kein Wort des Bedauerns kommt in seinem Statement vor, das er in drei Teilen über den vergangenen Sonntag verteilt auf Twitter veröffentlichte. Außerdem war es auf Englisch geschrieben und drückte so maximale Distanz zu seinen deutschen Fans aus. Dass sich Özil vor allem als Opfer der Medien sieht, ist bei 70 Millionen Followern in den sozialen Medien einigermaßen absurd. 

Das verkorkste Krisenmanagement des DFB

Was aber der DFB aus dem ganzen Schlammassel gemacht hat, war, wenn man’s gut meint, unfassbar unprofessionell, und wenn nicht, schäbig. Es wäre nachvollziehbar gewesen, Özil und Gündogan vor der WM aus dem Kader zu streichen, aber das traute man sich nicht, offenbar auch aus Angst vor einem schlechten Abschneiden. Stattdessen ließ man die Spieler am langen Arm verhungern. Zuerst schaffte man es nicht, sich mit Mesut Özil auf ein gemeinsames Statement zu einigen, dann erklärte man das Thema vor den Medien als beendet, obwohl es noch immer gärte. Sich demonstrativ vor den Spieler Özil zu stellen, der immerhin mehr Länderspiele für Deutschland absolviert hat als Oliver Kahn oder Uwe Seeler und maßgeblich zum WM-Titel 2014 beigetragen hatte, kam den Offiziellen nicht in den Sinn.

Bierhoff und Grindel machen Özil zum Sündenbock

Nach der verkorksten WM traten DFB-Manager Oliver Bierhhoff und DFB-Präsident Reinhard Grindel sogar explizit gegen den Spieler Özil nach, obwohl der auch nicht schlechter gespielt hatte als viele andere. Bierhoff sagte erst, man hätte auf Özil aufgrund seiner Foto-Aktion „aus sportlichen Gründen“ in Russland verzichten wollen. Später widerrief er die Aussage und stiftete so noch mehr Verwirrung.

Reinhard Grindel, der vor der WM die Sache noch aus der Welt schaffen wollte mit dem Satz „Wir haben wichtigere Probleme“, stellte nach der WM Özil auf einmal ein Ultimatum, dass dieser sich bald äußern sollte. Offenbar suchten Bierhoff und Grindel nach einem Sündenbock für das eigene Versagen und fanden ihn beide in Özil. Denn auf den hatten sich Teile der Öffentlichkeit schon eingeschossen. 

Rassismus macht sich breit

Dies ist der schändlichste Teil der Özil-Fotostory, und er hebt sie über den Fußball-Horizont hinaus. Denn zwischen die berechtigten Pfiffe über die schlechte Leistung der Spieler und die verständliche Kritik zur Foto-Aktion schlich sich immer stärker Rassismus, bis er für alle sichtbar wurde. Der AfD-Rechtsaußen Jens Meier twitterte: „Ohne Özil hätten wir gewonnen.“ Zudem teilte er ein Foto des Fußballers mit der Überschrift: „Zufrieden, mein Präsident?“ Ein SPD-Stadtrat bezeichnete Özil als „Ziegenficker“, der Chef des Deutschen Theaters in München beschimpfte ihn auf Twitter mehrmals, unter anderem dahingehend, dass Özil sich „zurück nach Anatolien verpissen“ solle. Özil selbst berichtet, wie er von Zuschauern als „Türkensau“ verunglimpft wurde. Es war widerlich und beschämend. Worte der Solidarität vom DFB gab es keine. Özil war zum Abschuss freigegeben. 

In den Augen Grindels und seiner Unterstützer, schreibt Özil, sei er nur dann „Deutscher, wenn wir gewinnen, aber ein Einwanderer, wenn wir verlieren“. Und es stimmt ja. Thomas Müller zum Beispiel spielte in Russland noch schlechter als Özil. Aber ihn beschimpft deswegen niemand. Doch dafür, dass für Deutschland eben nicht nur Leute wie Müller oder Toni Kroos auflaufen, sondern Menschen aus vielen unterschiedlichen Kulturen, gerade dafür haben sich der DFB und mit ihm viele Politiker jahrelang feiern lassen. Was diese Jubelei aber wert ist, zeigt sich, wenn es mal nicht so läuft: Offenbar nicht viel.

Fatales Signal an türkischstämmige Spieler

Gerade jetzt käme es darauf an, Verantwortung zu übernehmen, für einen Spieler wie Özil, der eben kein Politiker ist und vielleicht auch kein besonders reflektierter Mensch. Man hätte auch eine Diskussion darüber beginnen können, wie weit her es wirklich mit der Integration von vielen türkischstämmigen Menschen in Deutschland ist, wenn so viele von ihnen Erdogan mögen und wählen. Stattdessen hält man so lange an einem Özil fest, wie man ihn braucht, und lässt ihn dann im Regen stehen. Eine Erfahrung, die viele Gastarbeiter gemacht haben. Aus ihren Reihen spielen viele Fußball. Jeder fünfte Kicker im DFB hat Eltern oder Großeltern, die nicht aus Deutschland stammen. Die meisten davon sind türkischstämmig. Was für ein Signal sendet der Fall Özil an sie aus? Im Moment hört es sich so an: „Wir gewinnen zusammen. Wir verlieren zusammen. Außer du stammst nicht aus Deutschland. Dann darfst du gern mit uns gewinnen. Aber wenn wir verlieren, dann sieh’ zu, wo du bleibst.“ 

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