Meinungsfreiheit - Lasst sie doch reden!

Meinungsfreiheit ist dann Meinungsfreiheit, wenn die abweichende Meinung zumindest als legitim wahrgenommen wird. Das aber ist oft nicht der Fall. Linke treten gern als oberste Schiedsinstanz auf, die definiert, was man sagen darf. Von Alexander Grau

Protest gegen rechte Verlage bei der Leipziger Buchmesse / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Meinungsfreiheit sollte auch für diejenigen gelten, die eine andere Meinung haben. Das klingt banal, ist es aber nicht. Denn eine Meinung ist zumeist nicht nur eine einzelne, isolierte Meinung. Unsere Meinungen und Ansichten bilden Netzwerke. Sie sind fest verbunden mit vielen anderen Meinungen und Ansichten. Deshalb treffen in öffentlichen und privaten Debatten nicht einzelne Meinungen aufeinander, sondern zumeist ganze Meinungscluster, also Ideologien.

Insbesondere normative Haltungen bilden ein festes und komplexes Netzwerk unterschiedlichster Überzeugungen. Das hat den Vorteil, dass der Einzelne leicht Gleichgesinnte findet. Man muss nicht erst mühsam einzelne Positionen abfragen, sondern man weiß: Wenn jemand Veganer ist, dann wird er vermutlich auch gegen Atomkraft sein. Das eine hat zwar mit dem anderen nichts zu tun. Faktisch aber bilden beide Einstellungen fest miteinander verknüpfte Überzeugungseinheiten, die ihrerseits Teil eines übergeordneten Meinungsclusters sind – einer Weltanschauung.

Jeder in seinem Meinungsmilieu

Genau aus diesem Grund ist Meinungsfreiheit in der Theorie gut, in der Praxis aber – in der politischen zumal – mitunter schwierig. Denn Meinungsfreiheit, wirklich ernst genommen, ist nicht nur die Freiheit, eine Meinung zu haben. Meinungsfreiheit ist erst dann Meinungsfreiheit, wenn die andere, die abweichende Meinung zumindest als legitime Äußerung wahrgenommen wird. Daran hapert es aber in zunehmend ausdifferenzierten und heterogenen Gesellschaften.

Denn diese zerfallen in Meinungsmilieus, die sich abweichender, mitunter sogar unvereinbarer Meinungscluster bedienen. Das Ergebnis ist Kommunikationsunfähigkeit. Mehr noch: Da Sprache nicht nur der Verständigung dient, sondern unsere Weltwahrnehmung beeinflusst, leben die Angehörigen der jeweiligen Meinungsmilieus in miteinander unvereinbaren Wahrnehmungswelten: Was dem einen Bereicherung, ist dem anderen eine Bedrohung, wo der eine Gleichheit wähnt, sieht der andere Differenz. 

Die inquisitorische Geste

Es kommt zu dem, was der französische Philosoph Jean-François Lyotard schon Anfang der achtziger Jahre prognostizierte: zu einem unüberbrückbaren Widerstreit der Diskurse, zu unüberwindbaren Differenzen verschiedener Lebensformen. Wird dieser fundamentale Dissens übersehen oder nicht akzeptiert, kommt es zu gesellschaftlichen Verwerfungen. In diesem Fall wird die eigene Position aufgrund ihrer Binnenlogik als die einzig legitime wahrgenommen, die darüber zu entscheiden hat, was eine akzeptable und was eine nicht mehr akzeptable Meinungsäußerung ist.

Eine wesentliche Folge dieser inquisitorischen Geste ist es, dass die Vorzeichen jeder Begrifflichkeit bis ins Kafkaeske vertauscht werden. Wie das funktioniert, konnte man in der vergangenen Woche anhand der Diskussion über Uwe Tellkamps Dresdner Auftritt und der Präsenz rechter Verlage auf der Leipziger Buchmesse studieren: Da wird die Einschränkung der Meinungsfreiheit zu deren Verteidigung, die Verhinderung politischer Debatten zu deren Initiierung und antidemokratische Agitation zum demokratischen Akt.

Es geht um Macht

Zur surrealen Logik dieses Sprachspiels gehört konsequenterweise seine Leugnung: Also beharrt man (eine seit der Sarrazin-Debatte erprobte Figur) darauf, dass natürlich Meinungsfreiheit bestünde. Schließlich hätte Tellkamp sich frei äußern dürfen und Widerspruch sei schließlich kein Sprechverbot. Das stimmt selbstredend. Doch schon die in solchen Zusammenhängen ritualisierte Herabsetzung des ideologischen Gegners als „menschenverachtend“ und „undemokratisch“ signalisiert, dass man an freier Meinungsäußerung nicht interessiert ist. Es geht vielmehr um Deutungshoheit, also um Macht.

Auch das wäre noch hinzunehmen. Der Kampf um die Deutungshoheit gehört schließlich zum politischen Tagesgeschäft. Was die Sache aber so unangenehm macht, ist die von unseren Diskurshütern eingenommene Pose der Neutralität und Objektivität. Die aber gibt es nicht. Es ist vollkommen legitim, als Linker für linke Positionen zu werben. Scheinheilig und unehrlich wird das Ganze, wenn der linke Diskurs sich nicht als einer unter anderen begreift, sondern als oberste Schiedsinstanz, die definiert, was demokratisch, human und sagbar ist.

Auch die Linke sollte begreifen, dass wir in einer heterogenen Gesellschaft leben, in der Kommunikation nicht immer möglich ist, sondern sich ausschließende Lebensweisen und Weltwahrnehmungen gegenüberstehen. Das macht das Zusammenleben nicht leichter, aber ehrlicher und vor allem freier.

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