100. Todestag von Max Weber - Mit kalter Leidenschaft gegen die Ideologisierung der Welt

Max Weber war der Mitbegründer der Soziologie. In seinen Schriften wandte er sich gegen die Unterdrückung der Menschen durch die Bürokratie und den Staat. Dieses Thema ist heute aktueller denn je.

„Politik gehört nicht in den Hörsaal“ / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

So erreichen Sie Alexander Grau:

Anzeige

Am vergangen Sonntag vor hundert Jahren starb Max Weber, der Jahrhundertgelehrte. Die Resonanz auf diesen Jahrestag war jedoch erstaunlich verhalten. Natürlich gab es in den wichtigen Feuilletons dieses Landes wohlwollende Erinnerungen, doch das war es dann auch schon. Diese Zurückhaltung passt ins Bild.

Denn es ist stillgeworden um Max Weber. Seine Schriften werden mehr zitiert als gelesen. Zum geisteswissenschaftlichen Lektürekanon gehört er nur noch vom Hörensagen. Vor allem aber hat sich der intellektuelle Habitus nicht nur an den deutschen Universitäten weit von Weber entfernt – was nicht für die aktuelle Universitätslandschaft spricht. Doch dazu später.

Bildung, Fleiß, Disziplin, Liberalismus  

Weber gehört, neben Ferdinand Tönnies und Georg Simmel, zu den Begründern der deutschen Soziologie. Soziologische Überlegungen gab es natürlich auch schon vor Weber, man denke nur an Hegel, Marx und Engels. Doch erst Weber hat, zusammen mit Émile Durkheim in Frankreich und Herbert Spencer in England, die Soziologie auf methodisch halbwegs festen Boden gesetzt.

In seiner 1895 in Freiburg gehaltenen Antrittsvorlesung sagte Weber über sich selbst: „Ich bin ein Mitglied der bürgerlichen Klassen, fühle mich als solches und bin erzogen in ihren Anschauungen und Idealen“. Das war klarsichtig und mit der für Weber so typischen schonungslosen Offenheit vorgetragen. Wie kaum eine andere Gestalt repräsentierte der 1864 in Erfurt geborene Gelehrte das bürgerliche Zeitalter auf dem Höhepunkt seines Selbstbewusstseins und seiner Wertevorstellungen: Bildung, Fleiß, Disziplin, Liberalismus, Rationalität und eine durch und durch bürgerliche Lebenskultur – Schattenseiten inklusive.

Erschaudern vor der modernen Welt

Webers Lebensthema ist die Moderne in ihrer ganzen Monstrosität. Wie kaum ein anderer – Marx vielleicht ausgenommen – ist Weber fasziniert von der Brutalität der Zerstörung, die sie in Gang setzt: der Zerstörung überlieferter Strukturen und Lebensweisen, der Zerstörung aller Traditionen und Rollenbilder, der Zerstörung althergebrachter Religion, Kunst und Moral. Dieses Erschaudern vor der modernen Welt zwingt Weber unerbittlich in das stählerne Korsett seiner rationalen Analyse. Und man liegt sicher nicht falsch, darin eine Bewältigungsstrategie zu sehen: Weber sucht den Kampf mit dem Drachen, um seine eigenen Dämonen zu bannen.

Schonungslos seziert Weber die moderne Gesellschaft als Entfesselung eines gewaltigen Emanzipationswillens, der die Menschen qua Bürokratie, Staat und kapitalistischer Abhängigkeitsverhältnissen dennoch wieder in die Unfreiheit führt. Diesen Zwängen der entfesselten Moderne setzt Weber das Pathos intellektuelle Klarheit und persönliche Freiheit entgegen. Das machte ihn suspekt – bei den konservativen Eliten, mehr noch aber bei den Intellektuellen, die schon damals die Welt mit ihren Ideen zwangsbeglücken wollten.

Flucht in die Spaßgesellschaft 

Aus den Zumutungen der Moderne fliehen die Menschen lieber, so Weber, ins „Erlebnis“ – wir würden heute von Event sprechen. Doch Flucht in die Spaßgesellschaft ist keine Lösung, „denn Schwäche ist es: dem Schicksal der Zeit nicht in sein ernstes Antlitz blicken zu können“.

Dieses Zitat stammt aus Webers berühmten Vortrag Wissenschaft als Beruf, gehalten im November 1917 in München. Weber wehrte sich hier mit Nachdruck gegen die Ideologisierung der Universitäten durch die Hintertür der Moral. „Politik“, so sein Rat, „gehört nicht in den Hörsaal“. Denn erstens gebe es keine objektiven Werturteile, und zweitens sei es Aufgabe eines Professors, Lehrer zu sein, nicht Demagoge. Gerade für junge Wissenschaftler gelte es, die Entzauberung der Welt mit kaltem Blick zu ertragen und sich nicht in fade Ersatzreligionen zu fliehen. Wer das nicht aushalte, der kehre besser, so Webers giftiger Rat, „in die weit und erbarmend geöffneten Arme der alten Kirchen zurück“. Den Zustand der zeitgenössischen Universitäten und ihre ideologische Sektenbildung fände Weber unerträglich.

Lodernde Kälte der Texte 

Dass sich hinter der Fassade des kühlen Analytikers ein von Leidenschaften getriebener Mann verbarg, macht nicht nur die komplizierte Beziehung zu seiner Frau Marianne und seine beiden Geliebten Mina Tobler und Else v. Richthofen-Jaffé deutlich, sondern auch die lodernde Kälte seiner Texte.

Man muss nur Webers Attacken auf jede Gesinnungsethik, die Ideologisierung der Hochschulen und Emotionalisierung der Wissenschaften lesen, um zu wissen, weshalb der große Soziologe an den heutigen Hochschulen so unpopulär ist. Es wäre höchste Zeit, sich auf Max Weber zurückzubesinnen. Doch Weber selbst wüsste am besten, dass diese Hoffnung vergeben sein wird.

Anzeige