Martin Mosebach im Porträt - Der Wahrnehmungskünstler

An Martin Mosebachs Romanen scheiden sich die Geister: Der Büchner-Preisträger gilt als Bewahrer der Form, während er selbst Zweifel und Vieldeutigkeit hochhält.

An Martin Mosebach scheiden sich die Geister / Bernd Hartung
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Autoreninfo

Jan Hoffmann studierte Rechtswissenschaften in Berlin und am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Veröffentlichungen u.a. im Logbuch Suhrkamp und bei Zeit Online. (Foto: Sibylla Hirschhäuser)

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Martin Mosebach hat keinen Schirm auf den Spaziergang mitgebracht. Das bisschen Nieseln mache ihm nichts aus, sagt er. Im Gehen weist er auf Details hin, die sich vom grauen Nachmittag im Frankfurter West­end absetzen: einen orangenen Regenschirm, einen türkisen Fahrradhelm, drei Frauen, die in ein angeregtes Gespräch vertieft die Straße überqueren – überall gibt es etwas zu entdecken.

Vielleicht wollte er deshalb keinen Schirm: weil er ihm die Sicht beschränkt. Wer den Schriftsteller beim Beobachten beobachtet, bekommt eine Ahnung davon, wie seine an leuchtenden Bildern reiche Prosa entsteht.

Geliebtes Frankfurt

Die Bankentürme der Skyline ragen in tief hängende Wolken. Mosebach hat sein gesamtes Leben hier verbracht. Frankfurt, das er gern als halbprovinziell bezeichnet, beschreibt er am liebsten aus der Ferne: Sein großer Gesellschaftsroman „Westend“ (1992) entstand auf Capri, „Das Beben“ (2005) schrieb er in Ägypten, in Frankreich die Nocturne „Eine lange Nacht“ (2000). Aber für immer fortgehen? Das wäre für ihn ein Vertragsbruch mit der eigenen Fantasie. „Man darf nicht von einem anderen Ort erwarten, was man aus sich selbst heraus nicht holen kann.“

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Aus seinen Erinnerungen herauszuholen, was lange darin abgesunken war, ist für Mosebach die wesentliche Vorarbeit für ein neues Buch, das er im ersten Entwurf von Hand schreibt. Bei der Arbeit kommt er sich wie ein Rennfahrer vor, der viel zu schnell fährt und im nächsten Moment gegen einen Baum knallen könnte. Bevor er ein Werk beendet hat, weiß er nie, ob ihm das Ganze gelingen wird. So war es auch bei „Krass“. 

Schreiben statt Akten wälzen

In dem soeben im Rowohlt-Verlag veröffentlichten Roman gerät der junge Intellektuelle Jüngel in einem lebensverändernden Sommer durch Zufall in die Dienste des charismatischen Waffenhändlers Krass, der mit einer Entourage aus windigen Geschäftspartnern Hofstaat in Neapel hält.

Seit seinem 1983 erschienenen Debüt „Das Bett“ sind junge Männer wiederkehrende Gestalten in Mosebachs Romanen. Damals hatte er gerade leicht verspätet sein Jurastudium abgeschlossen und sich im Wissen, nie als Anwalt arbeiten zu wollen, in die Literatur gerettet. Elf Romane später fasziniert ihn der junge Mann noch immer. „Der Fertige, von seinen eigenen Plänen Erfüllte studiert seine Umgebung nicht.“ 

Der Weg zum „gesunden Ekel"

Bis ihm das Wort „Schriftsteller“ leicht über die Lippen kam, musste Mosebach erst drei Romane veröffentlichen. Seine Figuren, die Banker, Architekten und Immobilienmakler, scheinen konventionellere Karrieren zu haben, in Mosebachs Geschichten entpuppen sich aber gerade solche Geschäftsleute als große Fantasten. Der am Ost-West-Konflikt reich gewordene Krass identifiziert sich mit ­Alexander dem Großen und Napoleon, in Wirklichkeit ist sein klägliches, auf Täuschung und Korruption gebautes Reich schon längst im Verfall begriffen. 

Die Komik von Mosebachs Büchern liegt auch darin, die Vorsätze und Erkenntnisse seiner Figuren in ihrer Flüchtigkeit zu zeigen. Jüngels im Weinrausch gewonnene Einsichten über das Wesen der Liebe werden in der Katerstimmung des folgenden Kapitels wieder über Bord geworfen. Am Ende des sich über 20 Jahre erstreckenden Romans hat Jüngel seine unsichere, verkrampfte Art gegen eine bei Krass abgeschaute Rücksichtslosigkeit eingetauscht. „Er wird ein gesundes Ekel“, sagt Martin Mosebach schmunzelnd, „wie das nur allzu oft im Leben der Fall ist.“ 

Mosebach und das Wesen der Literatur

Auf dem Weg durch den Grüneburgpark springt ein Kampfhund ohne Maulkorb hinter einer Hecke hervor. Im Gegensatz zum Porträtschreiber zuckt der Schriftsteller nicht zusammen, sondern schreitet, auf den Gesprächsgegenstand konzentriert, weiter. „Das Feld der Literatur ist die Vieldeutigkeit, der Zweifel, das, was nicht eindeutig gesagt werden kann“, sagt er. Gerade seine Romane, die in der Tradition von Laurence Sterne oder Jean Paul stehen, widersetzen sich durch ihre Mehrbödigkeit der Tendenz des Literaturbetriebs, jedes Buch auf eine Formel bringen zu müssen. „Eine extrem unliterarische Betrachtungsweise“, meint Mosebach. 

Der Regen wird dichter. Auf das blecherne Vordach der Georgioskirche fallen jetzt dicke Tropfen. Man macht sich auf den Rückweg. Der Katholik Mosebach hat in diesem Magazin den Papst für seinen Twitter-Account kritisiert. In seinem einflussreichen Essay „Die Häresie der Formlosigkeit“ forderte er eine Rückkehr zum klassischen lateinischen Ritus. Von sogenannter katholischer Literatur hält er trotzdem nur wenig, und glühende Schilderungen von Konversionserlebnissen finden sich in seinen Romanen keine. Für ihn soll die Literatur weder Stellung nehmen noch Mittel des politischen Kampfes werden. Auch wenn es sich um Herzensangelegenheiten handelt.
 

Dieser Text stammt aus der März-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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