Man sieht nur, was man sucht - Revoluzzer im Bade

Das Gemälde „Der Tod des Marat“ von Jacques-Louis David liefert stichhaltige Argumente gegen den Staatsterror. Jener Jean-Paul Marat rief als Schreibtischtäter der Revolution zu Massakern auf. Sein Porträtist David wurde später Hofmaler Napoleons.

Jacques-Louis Davids „Der Tod des Marat“ aus dem Jahr 1793 / Königliche Museen der Schönen Künste Brüssel
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Autoreninfo

Beat Wyss hat an zahlreichen internationalen Universitäten gelehrt. Er hat kontinuierlich Schriften zur Kulturkritik, Mediengeschichte und Kunst veröffentlicht. Beat Wyss ist Professor an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe.

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Worin besteht die hohe Kunst der Politik? Wohl darin, Pragmatismus und Programmatik, die zwei widerstrebenden Vektoren einer Gesellschaft, geschickt auszubalancieren. Seit anderthalb Jahren regiert in Deutschland die Ampelkoalition, wobei der Balanceakt von drei Parteien gleichzeitig zu bestreiten ist, da diese ja wiederum je verschiedene Ansichten zu Programmatik und Pragmatismus hegen. Das hört sich komplizierter an, als es die Wirklichkeit darstellt. Bestes Beispiel bietet die Schweizer Eidgenossenschaft, wo das Ampelprinzip in der Bundesverfassung von 1874 festgelegt wurde und seit 150 Jahren ganz ordentlich funktioniert. Dabei ist die Schweizer Ampel gar auf vier Farbtöne gestimmt, diese reichen von der Sozialdemokratie über die Liberalen, die Christdemokraten bis zu den Rechtspopulisten, alle in zänkischer Eintracht in den Bundesrat gewählt. 

Nun gibt es aber Momente in der Geschichte, wo der kreative Antagonismus zwischen der Schwerkraft von Gewohnheit und der Fliehkraft politischer Ideale auseinanderbricht, wenn radikale Programmatik die Bremsfunktion ihres Widerparts diktatorisch außer Kraft setzt. Ein Vertreter dieser Haltung ist Jean-Paul Marat, Mitglied des Nationalkonvents, als die Französische Revolution im Juli vor 240 Jahren dem Siedepunkt zustrebte. Marat litt an einem Ekzem am Körper, von dessen Juckreiz er durch Bäder Linderung suchte. Er war der Revolutionär vom Typus Schreibtischtäter: Von der Badewanne aus heizte er den Volkszorn an über sein Agitationsblatt L’Ami du Peuple, dem Volksfreund. Seinen Hetzschriften werden die Septembermassaker von 1792 zugeschrieben, als ein aufgestachelter Mob die Gefängnisse stürmte, Hunderte wehrloser Häftlinge abschlachtete, darunter Priester und Nonnen, die von vornherein als Gegner der Revolution galten. 

Das Ende mit dem Tranchiermesser

Marat erklärte den Terror zur Triebfeder der Revolution. Er betrieb Revolution wie eine Teufelsaustreibung: Es galt, die Bummelei politischer Pragmatik durch massenhafte Todesurteile auszurotten mit Stumpf und Stiel. Hegel, der philosophische Zeitgenosse der Terreur in Frankreich, widmete diesem Prinzip ein Kapitel in seinem Hauptwerk: „Phänomenologie des Geistes“ unter dem schlagenden Titel „Die absolute Freiheit und der Schrecken“. 

Eine 24-jährige Frau aber stoppte den Volksverhetzer: Charlotte Corday, tief katholisch, aus dem Kleinadel der Normandie. Gegen Abend des 13. Juli 1793 verschaffte sich die junge Dame Zugang in Marats Wohnung. Ein gezielter Hieb mit einem Tranchiermesser, vor der Tat auf dem Markt erworben, traf den Revolutionär in der Badewanne am Schlüsselbein vorbei ins Herz. Charlottes zwei ältere Brüder waren stramme Royalisten, die schon zu Revolutionsbeginn nach Barcelona geflohen waren, um im spanischen Heer als Offiziere zu dienen. Charlotte hingegen neigte zu den Zielen der Gironde, die für die Abschaffung der Monarchie und für eine parlamentarisch geregelte Republik eintrat. Deren führende Vertreter waren allerdings alle schon unter die Guillotine geraten. 

Eine Gruppe Wendehälse

Charlotte traf es vier Tage nach ihrer Tat. Bei der Fahrt zum Schafott am heutigen Place de la Concorde, bekleidet mit dem roten Mantel der Mörder, bestand sie darauf, im Wagen zu stehen, um in die Augen derer zu blicken, die sie hass­erfüllt anbrüllten. Ihrem Vater hatte sie einen Brief zukommen lassen: „Lieber Papa, vergeben Sie mir das Recht, ohne Ihre Einwilligung über meine Existenz verfügt zu haben.“

Um Davids Gemälde von Marats Ermordung entwickelte sich ein wahrer Märtyrerkult. Als Stich zehntausendfach kopiert, war die Reliquie auch für den Herrgottswinkel bescheidener Haushalte erschwinglich. Der Maler widmet, gut lesbar, sein Gemälde dem Ermordeten: „Für Marat, David“ pinselt er an den Beistellhocker neben der Wanne. 

„Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“ ist altbewährte Devise der Kreativen aller Zeitläufte. Großmeister der Wendehalsigkeit aller Zeiten aber wurde Napoleon Bonaparte, dem es gelang, durch alle Volten der Revolution immer vorneweg an die Spitze zu schwimmen, um sich elf Jahre nach der Hinrichtung unserer tapferen Heldin als Napoleon I. zum Kaiser krönen zu lassen. Sein Hofmaler wurde eben jener Jacques-Louis David, der dem Revolutionär am Schreibtisch dieses rührende Denkmal gemalt hat. 

 

Dieser Text stammt aus der Juli-Ausgabe von Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

 

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