Man sieht nur, was man sucht - Der Erhabene...

… biss sich trotz Sixpack-Panzer an den Parthern die Zähne aus und teilt seinen Namen heute mit Xi Jinping. Wer ist’s?

Augustus von Primaporta, Marmorstatue, 1. Jahrhundert, Vatikanstadt, Museo Chiaramonti / Vatikanmuseum
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Autoreninfo

Beat Wyss hat an zahlreichen internationalen Universitäten gelehrt. Er hat kontinuierlich Schriften zur Kulturkritik, Mediengeschichte und Kunst veröffentlicht. Beat Wyss ist Professor an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe.

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Vor über 2000 Jahren ins Himmelszelt eingeschrieben ist uns das Gedenken an einen ermordeten Diktator. Der Monatsname Juli erinnert an Caesar, Spross vom alten Patriziergeschlecht der Julier, kurz nachdem dieser an den Iden des März während einer Senatssitzung der Republik von Rom erdolcht worden war. 

In Caesars Regierungszeit fällt die Einführung des Julianischen Kalenders, der die Umlaufzeit der Erde von abstrakten 365,242190417 Tagen in einen erträglichen Rhythmus von sich wiederholenden Lebensgewohnheiten und rituellen Gewissheiten übersetzt. Der Folgemonat August ehrt Caesars Adoptiv­sohn Octavian, der das politische Erbe seines Stiefvaters angetreten und vollendet hat. Den Ehrentitel Augustus, „der Erhabene“, wurde Octavian 27 vor Christus verliehen, zusammen mit dem Recht, als Alleinherrscher auf Lebenszeit über das Römische Reich zu walten. Dies war das Ende einer 400-jährigen Adelsrepublik, die über Generationen sich faktisch im Bürgerkrieg befunden hatte.

Exportschlager Kalender

Octavian, der Erhabene, hat sein Amt erfolgreich ausgeübt. Dass das Römische Reich damals seiner größten Ausdehnung zustrebte, kündet das überlebensgroße Standbild des ersten Kaisers von Rom. Die heute in vornehmer Blässe prangende Marmorstatue war einst bunt bemalt, die Reliefs auf dem Brustpanzer künden noch heute von den Heldentaten des Feldherrn. Auf dem angedeuteten Sixpack des Panzers ist die feierliche Übergabe eines römischen Feldzeichens zu sehen. Noch ist die himmelwärts hochragende Stange, darauf der Reichs­adler mit ausgebreiteten Schwingen, in den Händen eines Kriegsherrn der Par­ther, doch ein römischer Offizier streckt eben die Arme aus, diesen heiligen Fetisch römischer Militärmacht wieder in Obhut zu nehmen. 

Im verlorenen Par­therkrieg war das Feldzeichen von den Gegnern erbeutet worden. Am Partherreich, Roms Rivalen, sollten sich die Legionen wiederholt die Zähne ausbeißen. Das Zweistromland auf dem Gebiet des heutigen Iran bildete die unüberwindbare Grenze für Roms kolonialen Anspruch auf die damals umliegende Welt.

Weltweit durchgesetzt hat sich hingegen der römische Kalender, exportiert von den europäischen Nachfahren der Römer im Geist des Kolonialismus. Selbst China, das niemals kolonisierte Kaiserreich, übernahm nach dem Sieg der Maoisten 1949 die westliche Zeitrechnung samt Zeitachse um die Geburt Christi, jenes Nazareners, der im 27. Regierungsjahr von Kaiser Augustus geboren wurde. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, dass die Kritik an „White Supremacy“ auch die Abschaffung des herrschenden Kolonialkalenders fordert.

Cäsarismus

Vor rund 100 Jahren hatte Oswald Spengler die Epoche des Cäsarismus vorausgesagt. „Ich lehre hier den Imperialismus“, schrieb der Schwabinger Stubengelehrte zum Ende des Ersten Weltkriegs in seinem Buch vom „Untergang des Abendlandes“. Es sei das Schicksal von Spätzeiten, die, ihrer „Kultur“ verlustig, ins Zeitalter seelenloser „Zivilisation“ einträten. Die Römer seien uns im Schicksal vorausgegangen, jetzt, nach 2000 Jahren, schlage sie wieder, die Stunde der Cäsaren. Den Adolf Hitler fand Spengler allerdings dafür ungeeignet. In Benito Mussolini sah er den Vollstrecker seiner Prophetie. 

In der Tat wurde das Mausoleum von Kaiser Augustus in Roms eleganter Flaniermeile westlich der Spanischen Treppe unter Mussolini restauriert, um den antiken Rundbau entstand die Piazza Augusto Imperatore, eingefasst von Häuserzeilen, Restaurants und Ladengeschäften im neoklassischen Annitrenta-Stil. Der Duce hatte davon geträumt, dereinst neben Augustus bestattet zu werden. Nun, der Zweite Weltkrieg endete nicht wunschgemäß. Kam Mussolini zu früh, hat sich Spengler mit seiner Prognose leicht verrechnet?

Hoffnung kommt aus China. Xi Jinping, dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei und Staatspräsidenten, wurde 2018, genau 100 Jahre nach Spenglers „Untergang“, der Ehrentitel „Erhabener Führer“ verliehen, was dem lateinischen „Augustus“ entspricht. Dem weltweit wachsenden Kreis von erhabenen Autokraten kann es nur recht sein, wenn die europäischen Republiken so kleinmütig verzankt sind, wie es die altrömische einst war. Schon Platon vertrat die These vom Verfassungskreislauf, wonach auf die Demokratie die Tyrannis folge. Möge mein philosophischer Hausgott sich irren. 

 

Dieser Text stammt aus der August-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

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