Man sieht nur, was man sucht - Blut und Schweiß vom Stamm der Igbo

Die Benin-Bronzen, die von der Bundesregierung an Nigeria zurückgegeben werden, zeugen weniger von Kolonialismus denn vom Menschenhandel des kleinen afrikanischen Königreichs.

Die Benin-Bronzen wurden im vergangenen Jahr von Deutschland an Nigeria zurückgegeben / dpa
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Beat Wyss hat an zahlreichen internationalen Universitäten gelehrt. Er hat kontinuierlich Schriften zur Kulturkritik, Mediengeschichte und Kunst veröffentlicht. Beat Wyss ist Professor an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe.

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Im Kunstdiskurs hat sich der Kanon eingestimmt, wonach der arme globale Süden vom reichen Westen kolonisiert und versklavt worden sei. Die viel diskutierten Benin-Bronzen belegen allerdings, dass sich die Beziehungsgeschichte zwischen Afrika und Europa doch ein bisschen anders angeleiert hatte. 

Auf unserer Bronze-Tafel (s.u.) steht Oba im Vordergrund, der König von Benin; Brustpanzer und Helm aus kostbaren Blutkorallen trägt er, vor ihm knien zwei ebenso behelmte Wachen, alle drei tragen den landesüblichen Kinnschutz aus Korallen. Im Hintergrund, ganz klein, hampeln scharwenzelnd zwei krummnasige Gestalten, beide langhaarig mit merkwürdig gefiedertem Helm: Portugiesen sind’s. Der eine hält einen Krummstab aus Bronze, dem Material, aus dem die Tafeln kunstfertig gegossen wurden, zum Herrscherlob und dem Königspalast zum Schmuck. 

Sklaverei kommt nicht aus Europa

Die Benin-Bronze Der König empfängt zwei Portugiesen
(16. Jh.) im British Museum, London / Creative Commons

Jenen Bronzeriegel hält der Portugiese bereit als Zahlungsmittel für Elfenbein, Palmöl und künftige Arbeitskräfte, welche die schwarzen Häscher des Königs im Reich aufgegriffen haben, um sie dem Sklavenmarkt zuzuführen. Mit der kostbaren Fracht würden sodann die Seefahrer vom Golf von Guinea zum Kap der Guten Hoffnung Kurs auf Goa im Indischen Ozean nehmen, Portugals Handelsstützpunkt. Die Ware fand Abnehmer im Mogulreich, dem märchenhaft reichen Land, wo Wein, Opium, Seide und erlesene Gewürze aus aller Welt zusammenkamen.

Sklaverei ist keine westliche Erfindung. Das uralte kleine Königreich Benin trieb Menschenhandel seit dem elften Jahrhundert, als die Europäer im kalten Norden noch in Hütten wohnten. Mit der Ausbreitung des Islam im siebten Jahrhundert rund um das südliche Mittelmeerbecken verliefen die Sklavenzüge aus Afrika auf den Pfaden der Römerzeit über den Landweg durch die Sahara, wo die muslimischen Reiche im Maghreb und im Mittleren Osten bedient wurden. Vom Frühmittelalter bis in die frühe Neuzeit versorgte der globale Südwesten den globalen Südosten mit Sklaven. Dass an den muslimischen Haremshöfen auch hochpreisig schöne, weiße Sklavinnen willkommen waren, sei Stoff für eine der nächsten Kolumnen. 

Erst nach der Entdeckung der beiden Amerikas begannen portugiesische, spanische, britische, niederländische, schwedische und französische Kolonisten, sich um 1500 in den seit der Antike bestehenden Sklavenmarkt einzuklinken. Allerdings waren die Ansprüche an das erworbene Personal verschieden. Diente es im muslimischen Haushalt und im Harem der Höfe vorwiegend als Diener, Wachen, Eunuchen und Konkubinen, so brauchten die Kolonisten ihre Sklaven als Arbeiter, mit denen Geld zu verdienen war. 

Dem Leid der nigerarianischen Sklaven

Das British Empire war nicht nur größte Kolonialmacht, sondern auch Vorreiter der industriellen Revolution. Hier reifte, volkswirtschaftlich, die Einsicht, dass Sklaverei nicht mehr zeitgemäß sei in einer Epoche der Ökonomie, wo sich das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital durchsetzt. 1807 beschloss das britische Parlament, englischen Staatsbürgern den Sklavenhandel zu verbieten. Um diesen auch an der Quelle zu unterbinden, versuchte Großbritannien, über Freihandelsabkommen Einfluss auf die Küstenregion Nigerias zu nehmen.

Dem König von Benin konnte solches Ansinnen nicht gefallen, denn sein Reichtum beruhte seit alters ausschließlich auf Menschenhandel. Am 4. Januar 1897 wurde eine britische Delegation auf dem Weg, mit dem Oba über gebrochene Übereinkünfte zu verhandeln, in einem Hinterhalt niedergemetzelt. Dem Vorfall folgte, innert Monatsfrist, die britische Strafexpedition, die dem Königreich Benin ein Ende setzte. Bezeichnend für eine auf Postkolonialismus gestimmte Literatur ist, dass der Grund für die drakonische Vergeltung der Briten nicht benannt wird: Sklavenhandel endlich zu stoppen!

So kamen denn die Bronzen nach Europa. Einen Teil der Beute verkaufte London, um mit dem Erlös die Kosten der Strafaktion wieder einzuspielen. Selbstverständlich haben koloniale Trophäen in europäischen Museen nichts zu suchen. Doch was tun mit jenen Zeugen archaisch-ritueller Gewaltherrschaft? Sind sie vorzeigbar als Kulturdenkmal für den Nationalstaat Nigeria heute? An den Bronzen kleben das Blut und der Schweiß vom Stamm der Igbo, einst leichte Beute der Häscher im Regenwald nördlich vom Nigerdelta. Deren Leid zum Mahnmal mögen die Tafeln gewidmet sein! 

 

Dieser Text stammt aus der Februar-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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