Louise Schroeder, Berlins erste Bürgermeisterin - Für die Berliner war sie „Königin Louise“

Franziska Giffey (SPD) wird nicht die erste Frau im höchsten Bürgermeisteramt Berlins sein. Das war Louise Schroeder (SPD), die 1947 kommissarisch Oberbürgermeisterin Berlins wurde. Die Berliner zollten ihr Respekt und Achtung, weil sie sich mit Aufmerksamkeit und Zähigkeit ihrer Sorgen annahm.

Berlins Oberbürgermeisterin Louise Schroeder / dpa
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Ulrike Moser ist Historikerin und leitet das Ressort Salon bei Cicero.

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Nein, sie wird nicht die erste Frau im höchsten Bürgermeisteramt von Berlin sein, wie man derzeit überall lesen kann. Denn Franziska Giffey hat eine eindrucksvolle Vorgängerin, die SPD-Politikerin Louise Schroeder, die nach dem Krieg die Geschicke West-Berlins in den dramatischen Monaten der sowjetischen Blockade lenken musste.

60 Jahre ist sie alt und gesundheitlich angeschlagen, als Louise Schroeder am 8. Mai 1947 an die Spitze der Gesamtberliner Verwaltung berufen wird. Die Stadt liegt nicht nur in Trümmern, sie ist auch innerlich zerrissen. Aufgeteilt in vier Sektoren, die je einer Siegermacht unterstehen, wird sie dominiert von der Alliierten Hohen Kommandantur, deren Tätigkeit von den Vorboten des Kalten Krieges belastet wird. Als der erste gewählte Nachkriegsbürgermeister von Berlin, der SPD-Politiker Otto Ostrowski, im Mai 1947 nach einem Misstrauensvotum seiner Partei seinen Rücktritt erklärt, übernimmt Schroeder als seine Stellvertreterin die provisorische Vertretung für das schwierige Amt. Zum ersten Mal steht nun eine Frau an der Spitze Berlins.

Aus Pflichtgefühl gegenüber der Stadt

Aber das Interregnum dauert länger als geplant. Zwar wird im Juni Ernst Reuter zum neuen Oberbürgermeister gewählt, doch die sowjetische Besatzungsmacht verweigert die Bestätigung des populären Sozialdemokraten: der einstige Kommunist Reuter hat mittlerweile eine antikommunistische Gesinnung. Louise Schroeder bleibt auf ihrem Posten. Und nimmt die Herausforderung an. Aus Pflichtgefühl gegenüber der Stadt und ihren Menschen.

Louise Schroeder ist in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Geboren am 2. April 1878 in Hamburg-Altona als jüngstes von acht Kindern. Der Vater ist Bauarbeiter, die Mutter verkauft Gemüse. Nach Abschluss der Mittelschule wird sie Angestellte in einer Hamburger Versicherung. Ihr Vater weckt die Begeisterung für die Sozialdemokratie, 1910 tritt Schroeder in die SPD ein, wo sie sich für Sozialpolitik und Frauenrechte engagiert. Als nach Novemberrevolution und dem Ende der Monarchie auch Frauen das aktive und passive Wahlrecht erhalten, wird sie 1919 nicht nur Stadtverordnete in Altona. Im selben Jahr zieht sie als eines der jüngsten Mitglieder in die Verfassunggebende Nationalversammlung ein und wird 1920 in den Deutschen Reichstag gewählt, dem sie bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten angehört.

Arbeitsverbot und Schikanen

Die Nationalsozialisten zwingen Schroeder, die gegen das „Ermächtigungsgesetz“ gestimmt hat, alle politischen Ämter niederzulegen. Sie erhält Arbeitsverbot, aber keinerlei Arbeitslosenunterstützung und zieht sich nach Hamburg zurück. Anfangs muss sie sich zweimal in der Woche auf dem Polizeirevier in Altona melden. Einmal in der Woche steht die Gestapo vor ihrer Tür. In Hammersbrock bei Hamburg versucht sie als Filialleiterin eines kleinen Brotladens ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Weil sie sich weigert, ihre Kunden mit „Heil Hitler“ zu begrüßen, wird der Laden boykottiert. Mit Hilfe von Freunden findet sie in Berlin eine Wohnung und Anstellung als Bürokraft in einem Bauunternehmen. Mehrmals wird sie ausgebombt. Schwer krank rettet sie sich 1944 im Auftrag ihres Arbeitgebers nach Dänemark, wo sie bis zum Zusammenbruch des NS-Regimes bleibt.

Nach dem Krieg kehrt Louise Schroeder nach Berlin zurück und wird in das Amt des Dritten Bürgermeisters berufen, um am Wiederaufbau der zerstörten Stadt mitzuwirken – bis sie 1947 schließlich das höchste Amt der Stadt übernimmt. Als Oberbürgermeisterin will sie nicht verwalten, sondern helfen. Sozialpolitik ist für sie die Königsdisziplin. Der tägliche Kampf geht um Kohle, Gas- und Stromzuteilung, um ausreichende Lebensmittelrationen. Die Kinderlähmung breitet sich aus. Und es zeigt sich, dass Schroeder in diesen Zeiten ein Glücksfall für Berlin ist.

Charismatisch und volksverbunden

Besonders kümmert sie sich um notleidende Berliner und Flüchtlinge aus dem Osten. Stets ist sie bemüht, Gegensätze auszugleichen. Sie ist charismatisch und volksverbunden. Ihre Reden sind klar und sachlich, uneitel und weitgehend frei von der Rhetorik des Kalten Krieges. Die Berliner achten und mögen die schmalgliedrige Frau, weil sie sich mit Aufmerksamkeit und Zähigkeit ihrer Sorgen annimmt. Bald nennen sie sie, in Erinnerung an die einst so populäre preußische Monarchin, liebevoll „Königin Louise“.

Dabei ist für Verklärung eigentlich kein Raum in dieser Zeit. Berlin steht vor der Zerreißprobe. Die westlichen Alliierten setzen in ihren Sektoren eine separate Währungsreform durch, die Sowjetunion zieht ihren Vertreter aus dem gemeinsamen Kontrollrat zurück und verhängt am 24. Juni 1948 eine totale Blockade gegen West-Berlin. Betroffen sind zweieinhalb Millionen Westberliner, denen von sowjetischer Seite zeitweise sogar der Strom abgeschaltet wird. Es beginnt die Zeit der Luftbrücke, über die Berlin fast ein Jahr lang mit Brennstoffen, Lebensmitteln, Medikamenten und allem anderen Lebensnotwendigen versorgt wird. Diese zerrissene, strauchelnde Stadt regiert Louise Schroeder.

„Wenn es in der Welt eine Aufgabe gibt, deren Lösung einen ‚ganzen Mann‘ benötigt, so ist es sicher die, die zerstörte, hungrige Stadt Berlin zu regieren“, schreibt im Mai 1948 voller Hochachtung der Korrespondent der New York Times. „Niemals hat bis jetzt eine deutsche Frau eine so wichtige Stellung innegehabt, noch wurde jemals eine Stadt von vergleichbarer Größe irgendwo in der Welt von einem Mitglied des ‚zarten Geschlechts‘ verwaltet. (…) Da, wo Männer aller Parteien Fehlschläge erlitten, gelang es ihr, Erfolge zu erzielen. (…) Ihre außergewöhnliche Gemütsveranlagung ist von solcher Art, dass sie fähig ist, mit fast jedermann fertig zu werden (…) unter welchen Umständen dies auch immer sein mag.“

Mutter von Berlin

Keine deutsche Frau ist damals bekannter als die „Mutter von Berlin“. Zeitweise hindert sie ihre angeschlagene Gesundheit, die Amtsgeschäfte wahrzunehmen. Im Herbst 1948, als sich die Lage in Berlin gefährlich zuspitzt und die Teilung der Stadt nicht mehr zu verhindern ist, ist sie viele Wochen schwer krank und muss sich von CDU-Politiker Ferdinand Friedensburg vertreten lassen.

Durch die Blockade in zwei Teile getrennt, wird Berlin bald auch politisch zur geteilten Stadt. Am 30. November 1948 erklärt die Stadtverordnetenversammlung von Ost-Berlin den Gesamt-Berliner Magistrat für abgesetzt und wählt einen neuen Oberbürgermeister. Wenige Tage später stimmen auch die Bürger in den Westsektoren ab. Die SPD kommt auf sagenhafte 64,5 Prozent der Stimmen, neuer Bürgermeister wird Ernst Reuter.

Es ist nicht das Ende der politischen Karriere von Louise Schroeder. Sie wird Berliner Abgeordnete im Bonner Bundestag und im Europa-Rat in Straßburg. Als Louise Schroeder am 4. Juni 1957 in Berlin an einem Herzleiden stirbt, nehmen bei einem Staatsbegräbnis Tausende von ihr Abschied. Beerdigt wird sie zwischen den Gräbern ihrer Eltern auf dem Friedhof in Altona-Ottensen.

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