Lisa Eckhart und der große Knall - „Wir leiden sehr unter einem Idolmangel“

Die österreichische Kabarettistin Lisa Eckhart provoziert seit Jahren mit ihrem spielerischen Umgang mit bösartigen Klischees und begeistert mit ihren schillernden Sprachbildern. So auch in ihrem neuen Roman „Boum“.

Lisa Eckart auf der Werftbühne Korneuburg / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Ute Cohen ist Schriftstellerin und Journalistin.

So erreichen Sie Ute Cohen:

Anzeige

Frau Eckhart, Größenwahn scheint Sie zu reizen, um nicht zu sagen, zu befallen. Sie nannten ihren Sohn nach einer Vorstellung Le Dauphin und tragen ein Halstuch mit der Aufschrift „Napoleon“. Woher rührt dieser Hang zu Herrschaft und Monarchie?

Zu Napoleon fühle ich eine ganz spezielle Verwandtschaft. Bei ihm war es ja so: Napoleon ist durch Deutschland geritten, und die größten deutschen Denker haben sich ihm vor die Füße geworfen. Als er dann wieder weg war, fassten sich alle an den Kopf und fragten sich verwundert: „Was hat uns da nur befallen?" Vielen war es schrecklich peinlich. So ähnlich stelle ich mir das auch vor, wenn ich einmal nicht mehr da bin, hoffentlich auf eine ebenso pittoreske Insel verbannt wie Napoleon. Was die Monarchie betrifft, ist es einfach meine politische Einstellung. Ich bin und bleibe k.u.k., kaiserlich und kommunistisch. Eine Verbindung, von der ich erst dachte, dass ich sie kokett erfunden hätte. Dabei liegt sie voll im Trend. Der Bastard aus Kommunismus und Kaiserreich – wir sehen es in Russland, wir sehen es in China – scheint dort prächtig zu florieren.

Das halten Sie für erstrebenswert?

Nur in meiner Spielart davon. Wie ich es den Leuten versprochen habe, als Kaiserin Stasi die Erste, halb Stalin, halb Sissi. Einen unblutigen Sozialismus mit einer ganz klar aus dem Volk herausragenden Herrscherfigur als Idol. Einer, der ganz klar sagt: „Ich bin nicht einer von Euch. Und genau deshalb sollte ich herrschen.“ Ich will die Menschen aber nicht für dumm verkaufen. Ich werde ihnen von Beginn an sagen, dass ich sie als Kaiserin ausbeute und mich an ihnen bereichere. Dafür gebe ich ihnen jemanden, zu dem sie hochschauen können. Denn sie leider doch sehr unter einem Idolmangel. Dass jeder sein eigener kleiner Hausgott sein muss, hat den Menschen nicht gutgetan. Nur leider ist da oben niemand mehr. Kein Vater, kein Kaiser. Das verdammt sie zu konstanter Introspektion und Bauchnabelschau.

Schlägt das Imperium auch zurück?

Gewiss. Nicht ich persönlich, weil ich ein sehr friedfertiger Mensch bin. Vermutlich habe ich eine Abteilung, die sich die Hände schmutzig macht. Aber die werden angehalten, alles möglichst human zu gestalten. Es wird kein tödliches Regime. Und Verbannungen erfolgen an möglichst pittoreske Orte. Das wird auch schon das Schlimmste sein. Ich sperre Unfriedenstifter nicht ein, sondern aus. 

Wie schauen Ihre Untertanen denn aus? Bestialisch-animalisch grotesk wie die Bewohner der Unterwelt in „Boum“ oder diaphan-ätherisch wie die Wesen aus der Oberwelt?

Hoffentlich habe ich von allen etwas. Wenn ich aussortieren muss, dann eher in der Mitte. Da floriert das Ressentiment, das mir gefährlich werden könnte. Aber die Mittelschicht ist ohnehin im Schwinden begriffen. Die Menschen streben wirklich in diese beiden Richtungen. Ins Bestialisch-Tierische und Ätherisch-Göttliche. Tierisch werden sie, indem sie fordern, frei zu bluten, die Brüste zu entblößen, das infantile Bowl-Gefresse, welches an den Trog erinnert etc. Den Begriff der Cancel Culture finde ich erstaunlich passend, wenn man ihn wortwörtlich nimmt. Kultur wird als solche gecancelt. All das, was den Menschen vom Tier abhebt, seine vestiairen und rhetorischen Ritualen, ist ihnen plötzlich zu anstrengend. Sie schimpfen die Kultur zu manieriert und künstlich. Lieber würden sie sich gern wieder nackt und in polygamen Rotten fortbewegen in der Natur. Das sei ihnen auch vergönnt, aber ich glaube als Menschheit haben wir mehr zu bieten.

Wie lassen sich die Trans-Debatte und die Irrelevanz der Biologie darin einordnen?

Ja, das ist die andere Richtung. Völlig weg vom Tierischen, von allem Biologischen. Das scheint vielen ein großes Bedürfnis zu sein. In der Trans-Debatte wird nicht mehr darüber gesprochen, wer mit wem Sex hat, sondern nur mehr solipsistisch: „Wer bin ich? Was ist mein Geschlecht?". Wenn sich heute jemand, wie es so schön heißt, „für das andere Geschlecht" interessiert, bedeutet das längst nicht mehr, dass er jemanden erotisch findet, sondern dass er eher sein eigenes Geschlecht wechseln möchte. Mir kommen oft die Kugelmenschen aus dem Symposium in den Sinn. Nur verschmelzen sie nicht mehr mit anderen, sondern nur mit sich selbst.  

Auf der einen Seite haben wir eine Hinwendung zum Animalischen, auf der anderen Seite das Ätherische, die Auflösung der Körperlichkeit. Das sind ja zwei gegenläufige Bewegungen. Welche triumphiert?

Ich glaube, dass sich das dialektisch gut verträgt. Es geht animalisch ins Ätherische. Zurück auf allen vieren in den Himmel. Pathetisch ausgedrückt. Gerade ist es ganz wichtig, wer Männchen ist und wer Weibchen. Da ist kein Spiel, keine Maskerade, was Judith Butler ja einst subversiv hieß. Das Pronomen muss in Stein gemeißelt werden. Ich halte das für ein letztes Aufbäumen der Geschlechter, bevor es definitiv ins Körperlose geht. Ins Digitale. Die schönen Seelen schreien gegen das Binäre – und das ausgerechnet im Internet, wo es nur Nullen und Einsen gibt.

In „Boum“ wird der Mensch zum ungezieferigen „Gemensch“. Was passiert mit dem Menschen? Gehen wir alle unserer Individualität verlustig und im Kollektiv auf?

Viele scheinen das Bedürfnis zu hegen, im Kollektiv aufzugehen, weil ihnen die Individualität zu anstrengend geworden ist. Freiheit ist anstrengend. Machistischen Männern sagt man nach, sobald sie eine Frau haben, dann wollen sie sie nicht mehr. So halten wir es mit der Freiheit. Sobald sie da ist, wird sie mühsam wie nach einer langen Beziehung. Man würde sich wieder gern in diverse Fesseln legen oder am besten gleich ozeanisch auflösen in der Masse. Dazu werden jetzt unverdächtige Massen gesucht. Kleine Gruppen. Man spricht gerne von Tribalismus. Diese Stämme dürfen eine bestimmte Größe nicht überschreiten, denn dann wird es verdächtig. Sie müssen in der Minderheit bleiben, denn da verortet man die Tugend. Die Mehrheit dagegen gilt manchen als böse. Zugleich sind es dieselben Leute, die dauernd Angst haben um die Demokratie. Die wird angeblich von Rechten zerstört, welche nach direkter Demokratie grölen. Mir persönlich ist beides suspekt.

Das Aufgehen im Kollektiv geht auch mit einem Ruf nach Kommunismus einher ...

Aber in einer sehr grotesken, neoliberalen Form. Ich wäre sehr für Gleichheit in einem ökonomischen Sinne und für Besonderheit im Individuellen. Es wird einem aber genau umgekehrt verkauft, nämlich eine Diversität im Ökonomischen und eine Gleichheit im Kollektiv.

Was würde dieser Kommunismus denn ökonomisch bedeuten? Dass man das 9-Euro-Ticket auf alle Lebensbereiche ausdehnt?

Um Himmels Willen, nein! Bahnfahren wäre selbstverständlich gratis. Hätte man allen erlaubt, im Sommer gratis Bahn zu fahren, gäbe es dieses Chaos nicht. Doch Leute wollen nicht umsonst fahren, im wahrsten und übertragenen Sinne. Sie wollen nur günstig fahren. Ein Schnäppchen machen. Zur Not auch ziel- und sinnlos. Da glauben sie, das System zu überlisten. Wenn dagegen etwas gratis ist, trauen sie der Sache nicht. Dann wären wir viel weniger Bahn gefahren als sonst und stattdessen endlich mal daheim geblieben. Mobilität hat nicht einen Wert an sich. Reisen erweitert nicht zwangsläufig den Horizont. Wir alle wissen ja, dass Kant Königsberg nicht verlassen hat, aber weitergedacht hat als die meisten. 

Die Gestalten der Ober- und der Unterwelt in „Boum“ sind entstellt oder formlose Menschenmasse. Wie gestalt- und formbar ist der Mensch?

Ich glaube, dass er sehr formbar ist. Leider beschränkt man sich dabei oft auf das Äußere. Dass man, was das Innere betrifft, auch plastische Chirurgie betreiben könnte in Form von Bildung, gilt manchen als verpönte Idee. Das wird gerne verkauft als Chancenungerechtigkeit, weil nicht jeder den gleichen Bildungszugang hat, dient aber vielen gut betuchten Menschen als Ausrede, jeglicher Allgemeinbildung abzusagen. Den ungebildeten  und reichen Gören, denen würde ich gern sagen: „Lies gefälligst den Kant zu Ende! Die Kinder in Afrika haben gar nichts zu lesen!” Das Wissen ersetzen viele durch ihr Gefühl. Aber Wissen bleibt Macht, auch wenn eine spezielle Klientel behaupten würde: „Gefühl ist alles". Nein! Gefühl ist Ohnmacht, deshalb suhlen sie sich auch so gerne darin. Weil jede Macht etwas schmutziges sei. Der Mensch ist wunderbar formbar, deshalb gerade finde ich es so schade, wenn man darauf verzichtet, zu streben und zu wandeln. Stattdessen ruht man sich aus auf seinem Geschlecht oder seiner Herkunft und fühlt sich darin gefangen. Die Biologie legt einem Hürden auf, aber die lassen sich überwinden.

In Ihrem Roman spielen Sie mit der Doppeldeutigkeit des Begriffs „Boum“. Einerseits wird der Herzschlag damit lautmalerisch nachgeahmt, andererseits steht das Wort auch für den Knall, die Explosion. Braucht unsere Gesellschaft einen großen Knall, einen Big Bang?

Davon träumt man in jungen Jahren immer. Da stört einen Chaos und Unordnung nicht. Für Teenager könnte die Welt genauso ein Saustall sein wie ihr Zimmer. Aber wenn man dann etwas älter ist, dann weiß man: Revolution ist nicht alles. Was passiert nach dem großen Knall? Was macht man dann? Mehr als einen großen Knall braucht es einen großen Plan. Ansonsten finde ich: Es ist laut genug in dieser Welt. Ich würde mir auch ein bisschen mehr Ruhe wünschen. Dahingehend ist Boum auch Ausdruck dieser Lärmverschmutzung. Totale Stille, das wäre die größere Revolution.

Wird sich der Big Bang von selbst ereignen?

Ich persönlich fürchte, dass es ihn nicht geben wird. Ich fürchte, es wird eine ...

Implosion?

Es wird ein eher tragisches Siechen werden. Ich glaube, dass die Menschheit so zu Ende gehen wird, wie auch der einzelne Mensch dahingeht. Da gibt es in den seltensten Fällen einen Knall. Außer bei Selbstmordattentätern. Man wird schwächer. Man wird leiser. Und irgendwann ist es vorbei.

Das klingt fast nach Oswald Spengler und nach historischen Zyklustheorien.

Das mag durchaus sein. Der Spengler hat sich zwar in manchem geirrt, aber ich halte es für fruchtbar, ein Menschenleben mit dem Menschheitsleben zu vergleichen. Es versöhnt einen mit der Endlichkeit, von der ich nicht weiß, warum die Menschheit nicht genauso davon betroffen sein sollte oder dürfte wie jeder einzelne. Es stellt sich nicht zuletzt die Frage, ob es denn erstrebenswert ist, dass die Menschheit noch Abermillionen Jahre durchhält.

Das Gespräch führte Ute Cohen.

Anzeige