Liberalismus - Der alte Traum von Demokratie ohne Kapitalismus

Der Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller warnt in seinem neuen Buch vor einem „Fundamental-Antiliberalismus“, dem es beherzt entgegenzutreten gelte. Die eigentliche Herausforderung erblickt er aber im Gebaren der Finanzmärkte.

Kein Verständnis für Neoliberale: Jan-Werner Müller plädiert für einen Liberalismus von unten / picture alliance
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Prof. Ulrike Ackermann ist Politikwissenschaftlerin und Publizistin. Sie ist Direktorin des John Stuart Mill Instituts für Freiheitsforschung e.V. in Heidelberg. Foto: Jürgen Englert

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Weltweit sind die Freiheit und die Ideen des Liberalismus unter starken Druck geraten. Der Politologe Jan-Werner Müller konstatiert in seinem Buch einen „Fundamental-Antiliberalismus“, dem die Verteidiger der Freiheit recht zaghaft und verblüfft begegneten. Die Rede vom Postliberalismus hat sich ja schon länger verbreitet. Sie kommt von rechts wie von links. Die Selbstzweifel sind aber auch bei den sogenannten kosmopolitischen liberalen Eliten lauter geworden. Die Zeiten eines ungebrochenen Fortschrittsoptimismus, verbunden mit Stolz über die lang erkämpften freiheitlichen Errungenschaften sind vorbei. Die Auswirkungen wirtschaftlicher Krisen, die tief greifenden Folgen der Globalisierung und der digitalen Revolution sowie institutionelle Krisen der Demokratie sind unterschätzt worden. Die Selbstgewissheit über die eigene Erfolgsgeschichte hatte blind gemacht für neue Gefährdungen der Freiheit. 

Müller erwähnt in seinem Essay die verschiedenen Stränge liberalen Denkens, vom „Selbstvervollkommnungsliberalismus“ des 19. Jahrhunderts eines John Stuart Mill – den er gar nicht mag – über die kontinentale Variante, die die Freiheit durch Rechte sichern will, bis hin zu einem Liberalismus, der den Fokus auf individuelle Abwehrrechte gegenüber dem Staat legt. Müller möchte indes einen Liberalismus stark machen, der von unten kommt, in Anlehnung an den Essay der amerikanischen Politikwissenschaftlerin Judith Shklar, „Liberalismus der Furcht“.

Jan-Werner Müller

Worin Müller die gegenwärtige Herausforderung sieht

Von den antitotalitären Liberalen des Kalten Krieges, wie sie sich etwa im Kongress für kulturelle Freiheit versammelten, hält Müller wenig. Das ist umso erstaunlicher, als gerade der Antitotalitarismus das Rückgrat für einen profunden Liberalismus ist. Denn er hat die Erfahrungen des Kollektivismus und der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten, Faschisten und Kommunisten gleichermaßen im Blick. Der Liberalismus ließ auch Federn im Kontext des Neoliberalismus-Vorwurfs und in Kombination mit dem Elitebegriff. Müller weist die – nicht nur von populistischer Seite vorgetragene – Kritik an abgehobenen kosmopolitisch-liberalen Eliten zurück. Auch wenn Hillary Clinton mit ihrer Verächtlichmachung der Wähler Trumps das Muster bedient hatte. Das Narrativ vom Konflikt zwischen „Volk“ und „liberalen kosmopolitischen Eliten“ als Zeitdiagnose führe in die Irre, warnt Müller vor „Populismusverstehern“.

Müller favorisiert einen Verfassungspatriotismus und einen Liberalismus der Rechte, der für Opfer sensibilisiere, Einzelne und Gruppen effektiv schütze und für Gerechtigkeit sorgen soll. Deshalb hat er Sympathien für eine linke und liberale Identitätspolitik, die Diskriminierungen anprangert und im Unterschied zu rechter Identitätspolitik legitim sei. Müllers Schluss: „Das ‚private Regieren‘ durch Unternehmen – nicht zuletzt in Verbindung mit der Disziplinierungslogik des Neoliberalismus – weckt eine eigene Art von Furcht. Vermachtete Märkte und oligarchische Formen des Rentierkapitalismus“ seien die neuen Herausforderungen. Also doch wieder eine Reminiszenz an den alten Traum von links, die Demokratie ohne den Kapitalismus haben zu wollen?

Jan-Werner Müller „Furcht und Freiheit. Für einen anderen Liberalismus“ Suhrkamp, Berlin 2019. 171 Seiten, 16 €.

Dieser Text stammt aus der Juni-Ausgabe von Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

 

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