Leiter von Yad Vashem - Der Pragmatiker

Bundeskanzlerin Angela Merkel, die ausgewiesene Freundin des Staates Israel, hat ein letztes Mal offiziell Jerusalem und Yad Vashem besucht. Der neue Leiter der Holocaust-Gedenkstätte Dani Dayan verteidigt die israelische Siedlungspolitik, wird aber auch von der politischen Linken respektiert.

Dani Dayans wurde zum Leiter von Yad Vashem ernannt / Rina Castelnuovo
Anzeige

Autoreninfo

Mareike Enghusen berichtet als freie Journalistin über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Nahen Osten, vornehmlich aus Israel, Jordanien und den Palästinensergebieten. Sie hat Politik- und Nahostwissenschaften studiert und ihre journalistische Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule absolviert.

So erreichen Sie Mareike Enghusen:

Anzeige

Wie politisch darf der Leiter einer Holocaust-Gedenkstätte sein, der wohl berühmtesten der Welt zumal? Und wenn schon politisch, wie nationalistisch, wie rechts dürfen seine Haltungen sein, ausgerechnet? Die Ernennung Dani Dayans zum neuen Leiter Yad Vashems wirft Fragen wie diese auf. Sie spalten selbst seine ideologischen Gegner.

Dani Dayan, vor 65 Jahren in Buenos Aires geboren, wanderte im Alter von 15 Jahren nach Israel aus. Er studierte Informatik, Wirtschaft und Finanzen, diente in der Armee und gründete anschließend ein Softwareunternehmen. Noch heute rollt er im Hebräischen das R, ansonsten entspricht er kaum dem Klischee, das man auf der nördlichen Halbkugel mit Südamerika verbindet. Er spricht eloquent, aber oft monoton, sein pausbäckiges Gesicht lässt wenig Regung erkennen, und seine Neigung, die Schultern hochzuziehen, verleiht ihm zuweilen etwas Steifes. 

Zwischen links und rechts

Dayan ist untypisch, in vielerlei Hinsicht. In geopolitischen Fragen steht er rechts, in gesellschaftlichen jedoch vertritt er liberale Ansichten, in Israel keine geläufige Mischung. So unterstützt er die Ehe für alle und zeigt Sympathie für nichtorthodoxe Bewegungen des Judentums, die in Israel ein Schattendasein führen. In New York, wo er von 2016 bis 2020 als Generalkonsul diente, machte er sich so Freunde in linken jüdischen Kreisen.

Eigentlich hätte Dayan 2015 israelischer Botschafter in Brasilien werden sollen. Doch dort protestierten propalästinensische Gruppierungen gegen die Personalie, und die brasilianische Regierung weigerte sich, sie abzusegnen. Bis zu jenem Zeitpunkt nämlich war Dani Dayan der internationalen Öffentlichkeit in einer anderen Rolle bekannt: Von 2007 bis 2013 hatte er dem Yesha-Rat vorgesessen, der Dachorganisation israelischer Siedler im Westjordanland. 

Zionistischer Siedler

Nach vorherrschender Auffassung verstoßen die Siedlungen gegen internationales Recht, was Israel bestreitet, und erschweren eine mögliche Zweistaatenlösung im Konflikt mit den Palästinensern. In den Augen ihrer Fürsprecher dagegen sind sie Schutzwall des israelischen Kernlands und ein aus Stein gebautes State­ment: Dieses Land gehört uns.

Seit 1988 lebt Dani Dayan mit seiner Frau selbst in einer Siedlung. Doch anders als viele seiner Mitstreiter, die an ein biblisches Recht auf das Land glauben, lässt sich Dayan von weltlichen Gründen treiben. „Meine Religion ist Zionismus“, sagte er einmal. Wie Benjamin Netanjahu, Israels früherer Ministerpräsident, ist Dayan Anhänger Zeev Jabotinskys, eines zionistischen Vordenkers, der das Ringen zwischen Israelis und Palästinensern als Nullsummenspiel beschrieb. Die Araber, glaubte Jabotinsky, würden den Staat der Juden erst akzeptieren, wenn sie ihre eigene militärische Unterlegenheit einsähen. Zugeständnisse läsen sie als Zeichen der Schwäche.

Mit Pragmatismus ans Ziel

Trotz seines entschiedenen Eintretens für die Sache der Siedler hatte Dayan seinerzeit in der Bewegung viele Gegner: Er galt als zu pragmatisch, zu kompromissbereit, zu wenig getrieben von ideologischem Feuer.

Gerade diese Eigenschaften sind es nun, die Vertreter der politischen Linken dazu bewegen, seine Ernennung zum Leiter Yad Vashems zu begrüßen; Colette Avital etwa, die eine Organisation von Holocaust-Überlebenden in Israel leitet und früher für die linke Arbeitspartei im Parlament saß.

Nüchterner Diplomat

Zwar stören sich manche an seinen Überzeugungen. „Dayan ist in den jüdischen Gemeinden weltweit zu einem solchen Symbol der neuen Rechten geworden, dass es für viele junge Juden schwer wäre, Yad Vashem nicht als eine politische Institution zu sehen, die den unmittelbaren Bedürfnissen der israelischen Rechten dient“, schrieb ein Kommentator in der israelischen Zeitung Haaretz.

Doch selbst in linken Kreisen sind solche Stimmen selten. Es mag eine Rolle spielen, dass Israels vorherige Regierung ursprünglich einen noch weiter rechts verorteten Kandidaten für die Leitung der Gedenkstätte vorgesehen hatte: Effi Eitam, einen früheren General, der arabische Bürger Israels einmal mit „Krebs“ verglichen hatte. Doch es dürfte auch an der seriösen Art liegen, in der Dayan sein Amt in New York ausgefüllt hatte, „ohne irgendeine politische Agenda zu verbreiten“, wie Colette Avital lobend bemerkte.

Dayan hat keinen akademischen oder beruflichen Hintergrund auf dem Feld der Holocaust-Studien. Seine diplomatische Erfahrung aber könnte ihm in der neuen Rolle nützen. Israel streitet seit Jahren mit Polen über die historische Wahrheit, wobei Polens Regierung die Beteiligung mancher polnischer Bürger am Holocaust kleinzureden versucht. Es ist eine erhitzte Debatte, in der beide Seiten auch rhetorische Grenzen überschreiten. Ein wenig Nüchternheit, wie Dayan sie mitbringt, könnte ihr guttun.

 

Dieser Text stammt aus der Oktober-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

Sie sind Cicero-Plus Leser? Jetzt Ausgabe portofrei kaufen

Sie sind Gast? Jetzt Ausgabe kaufen

Anzeige