Leipziger Buchpreis - Entscheidung für die Ästhetik

Die Jury der Leipziger Buchmesse hat mit den Gewinnern Tomer Gardi, Anne Weber und Uljana Wolfe eine vorzügliche Entscheidung getroffen. Am erfreulichsten ist der Belletristikpreis für Tomer Gardis Roman „Eine runde Sache“. Als so anspruchsvoll und so vergnüglich zugleich erweisen sich nur wenige Texte.

Die Preisträger 2022: Anne Weber (Übersetzung), Tomer Gardi (Belletristik) und Uljana Wolf (Sachbuch/Essayistik) / dpa
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Autoreninfo

Björn Hayer ist habilitierter Germanist und arbeitet neben seiner Tätigkeit als Privatdozent für Literaturwissenschaft als Kritiker, Essayist und Autor.

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An Listen kann man viel herummäkeln, manchmal zu Recht, oft genau angemessen. Wichtig ist jedoch immer, was nach der Vorauswahl am Ende dabei herauskommt. Im Falle des Preises der Leipziger Buchmesse hat die Jury nun eine exzellente und sehr konsequente Wahl getroffen. Mit Anne Weber wurde für Ihre Übertragung des Buches „Nevermore“ von Cécile Wajsbrot eine herausragende Übersetzerin geehrt, mit der Auszeichnung von Uljana Wolfs „Etymologischer Gossip: Essays und Reden“ in der Kategorie Sachbuch wurde nicht nur das Haus „kookbooks“ gewürdigt, sondern symbolisch wohl auch die Arbeit der Independent-Verlage insgesamt gestärkt. Am erfreulichsten fällt allerdings der Belletristikpreis für Tomer Gardis Roman „Eine runde Sache“ aus, der nach Iris Hanik zum zweiten Mal hintereinander die Auszeichnung für Droschl einbrachte – ein Verlag, der mittlerweile einen Leuchtturm in der deutschsprachigen Bücherlandschaft darstellt. 

Dass die Jury Gardi zum Gewinner erklärte, dürfte vor allem als Entscheidung für die Ästhetik, weniger für den breiten Publikumsgeschmack gewertet werden. Und das ist gut so. Denn derartig wichtige Auszeichnungen haben schließlich auch die Aufgabe, große Fische nicht noch größer zu machen, sondern aus dem Meer der Neuerscheinungen die wahren Perlen ausfindig zu machen.

Die Leipziger Buchmesse bleibt unverzichtbar

Keine Frage, „Eine runde Sache“ zeugt von Komplexität und stellt seine Leser vor hehre Herausforderungen. Dafür werden sie durchaus mit reichlich Komik und Ironie belohnt. Besonders verstörend mutet für viele sicherlich der bis dato einzigartige Stil im ersten der beiden Teile des Romans an. Er ist nämlich im gebrochenen Deutsch gehalten. Hierbei beobachten wir – mit Verweis auf den Beginn der „Göttlichen Komödie“ von Dante –, wie sich der nach dem Autor benannte Protagonist in einem verwunschenen Wald verirrt und mit skurrilen Gestalten, darunter der Deutsche Schäferhund Rex und der Erlkönig, eine aberwitzige Fantasiereise antritt. Das Dasein, das Denken, das Sprechen und insbesondere das, was wir abstrakt unter Identität verstehen – all dies wird fluid und prägt auch den zweiten Teil von „Eine runde Sache“, der auf einer aus dem Hebräischen übersetzten Story beruht. Diesmal steht eine andere Figur im Zentrum, nämlich der indonesische Maler Raden Saleh. Wie schon in Gardis herrlich surrealem Trip verschlägt es auch ihn auf eine Reise. Aufgewachsen auf Java, ergeben sich für den Protagonisten nach der Überfahrt nach Europa bald Chancen zum künstlerischen Studium. Allen voran seine im Laufe der Jahre entstehenden Porträts verhelfen ihm dazu, binnen kurzer Zeit an den Adelshöfen und Königshäusern zu reüssieren. Wir haben es also mit einer Art Bildungsroman zu tun, der zugleich eine Aufsteigergeschichte offenbart, allerdings weitaus ernster als der erste Part des Buches, weitaus mehr in einem epischen Stil verfasst, der dem 19. Jahrhundert voll und ganz Rechnung trägt.

Als so anspruchsvoll und so vergnüglich zugleich erweisen sich nur wenige Texte. Diesem sind also viele Buchliebhaber zu wünschen. Nach den Diskussionen um die Frage, wie ernst oder unernst die großen Verlage die Leipziger Buchmesse überhaupt noch nehmen, beweisen die drei Gewinnerinnen und Gewinner: Sie ist kostbar, nein, wir korrigieren: unverzichtbar.

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