Emine Sevgi Özdamar
Autorin eines profunden, aber wenig überraschenden Migrationsromans: Emine Sevgi Özdamar / dpa

Nominierungen für den Preis der Leipziger Buchmesse - Die Verfehlten

Nach der Absage der Leipziger Buchmesse fallen nun auch die Nominierungen für den Leipziger Buchpreis unambitioniert aus. Einzig Heike Geißler und Tomer Gardi halten ästhetische Qualität hoch. Emine Sevgi Özdamar und Katerina Poladjan schreiben solide, aber brav. Und Dietmar Dath war sowieso schon immer überschätzt.

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Björn Hayer ist habilitierter Germanist und arbeitet neben seiner Tätigkeit als Privatdozent für Literaturwissenschaft als Kritiker, Essayist und Autor.

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Viele Listen überzeugen durch jene, die draufstehen. Wenige enttäuschen durch jene, die in der Aufzählung fehlen. Und dieser Fall liegt nun bei den just bekanntgegebenen Nominierten für den Preis der Leipziger Buchmesse vor. Beginnen wir daher ausnahmsweise mit den Unerwähnten, ja, den geheimen und hypothetischen Siegerinnen: Esther Kinsky mit ihrem fantastischen Sprachkunstwerk über eine von Erdbeben erschütterte Landschaft, „Rombo“, Gisela von Wysockis „Der hingestreckte Sommer“, eine Liebeserklärung an die Literatur und das Kino, Angelika Klüssendorfs brillanter Untoten-Roman „Vierunddreißigster September“ oder Katharina Hackers ins fast Märchenhafte enthobene Parabel über die Krisen unserer Tage, „Die Gäste“ – all diese Autorinnen samt ihren beeindruckenden Büchern fehlen.

Stattdessen mutet die Auswahl der Jury, der nun noch ihre Messe abhandengekommen ist, uninspiriert bis in Teilen zweifelhaft an. Mit Emine Sevgi Özdamars „Ein von Schatten begrenzter Raum“ findet sich darunter zwar ein profunder, aber wenig überraschender Migrationsroman wieder. Mit Katerina Poladjan hat man eine Schriftstellerin gekürt, die in „Zukunftsmusik“ nicht minder solide-lakonische, aber im Großen und Ganzen recht brave Erzählprosa abliefert. Ein regelrechtes Debakel stellt die Nominierung des schon seit jeher überschätzten Dietmar Dath dar. Dass die Dicke der Bücher nur vermeintlich etwas über den Gehalt der Werke aussagt oder sogar darüber hinwegtäuschen kann, dafür scheint sein nominierter, gewohnt seitenstarker Text „Gentzen oder: Betrunken aufräumen: Kalkülroman“ geradezu beispielhaft zu sein. Berichtet wird darin von der Suche nach jenem vergessenen, titelgebenden Logiker, wobei der Autor immer wieder auch lebende und verstorbene Denker – von Jeff Bezos bis Frank Schirrmacher – anzitiert. Klingt schlau, ist aber letztlich pseudoavantgardistisches, sperriges Diskurs- und Philosophiegeklimpere.

Mehr literarischen Elan hätte man sich gewünscht

Wer unter den Nominierten hingegen noch ästhetische Qualität hochhält, sind Heike Geißler mit „Die Woche“ sowie Tomer Gardi mit „Eine runde Sache“. Was beide Entwürfe eint, lässt sich unter der Hinwendung zum Fantastischen subsummieren. Erstere beschreibt mit Bezug auf klassische Märchen ein Aufbruchszenario in der Gegenwart, letzterer spielt mit großer Verve eine Reise zweier Künstlerfiguren durch, die auf je eigene Weise bereichernde Begegnungen mit dem Fremden durchlaufen. Diese Bücher zeugen von Wagemut, lassen sich nicht in traditionelle Schubladen schieben und werfen mit Witz und einer unverbrauchten Sprache ein Schlaglicht auf die Gesellschaft der Spätmoderne. Mehr von derlei literarischem Elan hätte man sich bei den Preisanwärtern gewünscht. Nachdem nun schon das lange ersehnte Branchentreffen ausfällt, ist das Risiko leider nicht gering, dass eine unambitionierte Prämierung der Chose noch die Krone aufsetzt. 

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Dorothee Sehrt-Irrek | Do., 17. Februar 2022 - 17:03

einen "Gefallen" tue, wenn ich sie nenne, also deshalb meine Bitte, mich dem Autor nicht negativ zuzurechnen, aber wenn man gar nicht von den Schätzen dieser Welt sprechen würde...?
So sage ich nur, man schaue auf Herrn Christoph Danne, seines Zeichens vieles, aber wohl vor allem gelehrter Lyriker.
Eine unglaubliche poetische Gestaltungskraft.