Karfreitag - Ohnmacht als Alleinstellungsmerkmal

Kolumne: Grauzone. Der Osterglaube an die Auferstehung hat die Botschaft des Karfreitags versüßlicht. Umso wichtiger, dass sich das Kreuz als Symbol des Christentums durchgesetzt hat

Das Kreuz hat sich als Symbol des Christentums durchgesetzt, obwohl es für Ohmacht und Verlassenheit steht / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Es macht das Christentum zum Christentum und begründet dessen singuläre Stellung unter den Religion: das Karfreitaggeschehen, der Tod Christi. Denn keine andere Religion liefert ein vergleichbar starkes Bild: den gekreuzigten Gott, der zugleich – und insbesondere hier – ganz Mensch ist.

Götter, das waren und sind in den meisten bekannten Religionen entweder unberechenbare Wesen, launisch, selbstgefällig und allzu menschlich. Oder sie sind wahre Himmelsfürsten, Inkarnationen des Absoluten, herrliche Schöpfer, allmächtig und allwissend.

Kleine jüdische Sekte wurde zur römischen Staatsreligion

Auch das Christentum konnte den Verlockungen dieses triumphalistischen Gottesbildes nicht lange widerstehen. Und so ist sein Aufstieg von einer kleinen jüdischen Sekte zur römischen Staatsreligion zugleich die Geschichte der Erhebung und Ästhetisierung Gottes zum antiken Himmels-Cäsaren.

Ermöglicht wurde diese monarchistische Umdeutung durch die Ostererzählung. In ihr wird aus dem Gefolterten und Gemarterten der Triumphator über den Tod, der schließlich in den Himmel entrückt.

Der Erfolg dieser Geschichte ist religionsgeschichtlich einleuchtend und psychologisch gut nachvollziehbar. Sie gab den Jüngern ihren Glauben zurück, eine Perspektive, die Gewissheit, sicht nicht geirrt zu haben. Ohne Ostererzählung hätte es die Jüngerschar in alle Winde zerstreut. Das Christentum wäre nie entstanden.

Umdeutung mit fatalen Folgen

Langfristig jedoch, bis in unsere Tage, hatte diese historisch notwendige Erzählung fatale Folgen. Das Geschehen am Karfreitag wurde zur Episode umgedeutet. Zu einem zwar unvermeidbaren, letztlich aber sekundären Ereignis, dessen ganze heilsgeschichtliche und theologische Funktion es ist, das Ostergeschehen umso heller strahlen zu lassen. Aus dem Gefolterten wurde der Himmelsherrscher. Nicht Kreuzigung und Martertod standen im Zentrum christlicher Spiritualität, sondern Auferstehung und Überwindung des Todes.

Man kann die Menschen verstehen. Insbesondere in den Jahrhunderten, in denen Leid, Gewalt und Elend zur Alttagwirklichkeit gehörten, war die Sehnsucht nach jenseitiger Erlösung größer als das Bedürfnis nach existentieller Versenkung. Und doch nahm diese religionshistorische Entwicklung dem Christentum die Spitze, noch ehe es Christentum wurde.

Denn der Osterglaube versüßlichte die Kreuzesbotschaft. Das Christentum wurde – in den giftigen Worten Heinrich Heines – zum Eiapopeia vom Himmel umgedichtet. Aus der unnachgiebigen Kreuzesbotschaft, der radikalen Absage an menschliche Hybris und weltliche Erlösungsphantasien, wurde der kitschige Gedanke an eine heile Welt am Ende aller Zeiten.

So gesehen verdrehte der Osterglaube den Ernst der Karfreitagsbotschaft nicht nur ins Infantile und Pagane. Er stiftet auch die gedankliche Grundlage für die verhängnisvollen Erlösungsideologien, die in Gestalt säkularer Religionen das Himmelreich schon im Hier und Jetzt errichten wollten – koste es, was es wolle.

Gott selbst ist ratlos

Doch die Botschaft des Karfreitags ist das Gegenteil von Gewissheit. Am Ende steht nur ein Wort: Warum?

In diesem Wort steckt die eigentliche Sensation des Christentums. Hier ist eine Religion, die keine Antwort gibt. Gott selbst ist ratlos. Das Elend der Welt, das Leid, die Verzweifelung – all das ist unergründlich, von brutaler Faktizität, aber ohne erkennbaren Sinn. Selbst der Gottessohn weiß keine Antwort und hat nur diese eine Frage: Warum nur, warum?

Das ist das Gegenteil von Triumphalismus. Das ist unendlich weit weg von der Selbstherrlichkeit und Selbstgewissheit, mit der andere Religionen gerne auftreten. Es ist diese karfreitagliche Verzweiflung, ja der Selbstzweifel des sterbenden Gottes, der das Christentum zum Christentum macht.

Als Symbol des Christentums hat sich das Kreuz durchgesetzt. Wie kein anderes Zeichen steht es für Ohmacht, Ratlosigkeit und Verlassenheit. Gott selbst leidet und fragt warum. Das ist die Karfreitagbotschaft. Genauer: Sie liegt in der Stille, die auf den Verzweiflungsschrei des Jesus von Nazareth folgt, dem Schweigen.

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