Journalismus - Der Reporter als Missionar

Die aktuelle Berichterstattung deutscher Journalisten kommt einem wachsenden Teil der Leserschaft zunehmend belehrend, bevormundend und von persönlichen Motiven beeinflusst vor. Die nötige kritische Distanz lassen viele vermissen. Ein US-amerikanischer Medienwissenschaftler hat eine Erklärung dafür

Journalistin oder Aktivistin? Ferda Ataman tritt zusammen mit Angela Merkel auf / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Dieser Tage bekam ich Besuch von einem Journalistik-Professor der New York University. Im Rahmen eines Stipendiums der Robert-Bosch-Stiftung widmet sich der amerikanische Akademiker Jay Rosen dem Zustand des deutschen Journalismus. Und dabei treibt ihn die Frage um, weshalb dieser im Unterschied zum angelsächsischen Journalismus in Zeiten von Donald Trump, der AfD und anderem eher in Gefahr ist, aktivistische Tendenzen aufzuweisen, das ganze Gewerbe als Erziehungseinrichtung misszuverstehen und eine übergroße Nähe zum politischen Betrieb an den Tag zu legen. 

Es war erst wenige Tage her, dass sich die Kanzlerin in einem Sommerspaziergang namens Pressekonferenz vom Berliner Pressekorps verabschiedet hatte, und nicht nur im Eindruck dieser Veranstaltung fand ich die Fragestellung von Jay Rosen berechtigt. 

Amalgam aus Aktivismus und Journalismus

Es ist nämlich in der Tat seltsam, welches Amalgam aus Aktivismus und so genanntem Journalismus geduldet wird, wie ihm teilweise geradezu gehuldigt wird. Zu den Kolumnisten von Spiegel Online etwa gehört eine Autorin namens Ferda Ataman, die stets als „Journalistin“ firmiert, auch dann, wenn sie von Angela Merkel spontan mit zu einer gemeinsamen Pressekonferenz nach einem Integrationsgipfel im Kanzleramt genommen wird, vermutlich, um Horst Seehofer zu ärgern. Tatsächlich aber ist Ferda Ataman als Sprecherin des Netzwerkes „Neue Deutsche Organisationen“, eine lupenreine Aktivistin mit einer thematischen Mission. Was nicht schlimm ist, sogar ehrenwert, sich aber nicht mit einer journalistischen Tätigkeit verträgt. Denn Journalismus sollte eine kühle Äquidistanz allem und jedem gegenüber wahren. Auch einer Sache gegenüber, die allgemein als gut befunden wird. Das geht notwendigerweise nicht, wenn man sich offiziell einer Sache verschrieben hat. Es gab zu Bonner Zeiten einmal eine mächtige und finanzstarke Interessensorganisation namens Atomforum. Brettharte Kernkraftlobbyisten. Wäre je jemand bei Spon oder sonstwo auf die Idee gekommen, einem dieser Leute eine regelmäßige Kolumne zur Energiewirtschaft zu geben?

Auch etablierte deutsche Journalisten legen oft ein anderes Verständnis von angemessener Berichterstattung an den Tag als ihre angelsächsischen Kollegen. Statt Distanz zu wahren, suchen Journalisten Nähe. Kontakte pflegen“ ist der schöne Ausdruck dafür. Streben nach Anerkennung und Macht, einfach dazu gehören wollen – die weniger ehrenhafte Analyse. Ein Beispiel beschreibt Jan Fleischhauer im aktuellen Spiegel anhand des stellvertretenden Chefredakteurs der Zeit, Bernd Ulrich. Ulrich, einer der glühendsten Verteidiger der Kanzlerin im deutschen Politikjournalismus, sei auf dem Weg zum Staatsbesuch in Washington statt mit den anderen Journalisten in der Economy-Class im Business-Abteil der Regierungsmaschine mitgeflogen, schreibt Fleischhauer, und auf amerikanischem Boden wie ein Staatsgast empfangen worden. Embedded Journalism“ auf deutsche Art.

Ein weiteres Beispiel: Die taz hat jüngst eine Anleitung zum Ungehorsam” veröffentlicht. Darin erklärt eine Redakteurin anhand von vier Fällen, wie unter Protest noch im Flugzeug Abschiebungen verhindert oder zumindest hinausgezögert werden können. Damit fordert die taz also indirekt zu Straftaten auf.

Anfällig für Gefühligkeit

Jay Rosen hat mir einen Satz des Chefredakteurs der Washington Post, Marty Baron, in Erinnerung gerufen. Im schwierigen Umgang mit dem aktuellen amerikanischen Präsidenten hat Baron gesagt: „We are at work not at war“. Wir sind bei der Arbeit und nicht im Krieg mit Donald Trump. 

Besser kann man es nicht sagen, und eine besser Grundeinstellung gibt es nicht für unseren Beruf, der eine professionelle Einstellung erfordert. Das unterscheidet ihm vom Bloggertum.

Übrigens hat mir Rosen die erste plausible Erklärung gegeben, warum der hiesige Journalismus mehr als der angelsächsische anfällig ist für die subjektive Gefühligkeit in der Berichterstattung. Weil die angelsächsische Schule des professionellen Nachrichtenjournalismus zwar nach dem Zweiten Weltkrieg importiert wurde von den Alliierten. Aber keine Tradition hatte. Deshalb ist er auch nicht so nachhaltig verankert wie in Großbritannien oder den USA. 

Wie sagte so ewiggültig richtig Hajo Friedrichs über unseren Beruf? Sich mit keiner Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten. Wo ist der Mann ausgebildet worden? Bei der BBC. Jay Rosen wird in nächster Zeit einen Essay in der FAZ zu seiner Studie veröffentlichen. Man sollte das im Auge haben. 

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