Joko Winterscheidt bei „Fridays for Future“ - Pose statt Haltung

Der TV-Star Joko Winterscheidt war zu Gast bei bei „Fridays for Future“ in Dortmund. Er steht exemplarisch für eine linke Generation von Medienschaffenden mit weltanschaulichem Konformismus. Sie wirken wie die Gestalt gewordene Intoleranz in Slim-Fit-Klamotten

Joko Winterscheidt zu Gast in Dortmund bei „Fridays for Future“ / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Eines der absonderlichsten Phänomene der Mediengesellschaften ist die Gestalt des linken Medienprominenten. Egal ob Sänger, Schauspieler, Regisseur oder Moderator – im Milieu der Medienindustrie gibt man sich gerne progressiv, bunt und ökologisch. Jüngstes Beispiel: Joko Winterscheidt. Der trat am vergangenen Donnerstag auf dem Sommerkongress der „Fridays for Future“-Bewegung in Dortmund auf. Dort stellt er sich vor die versammelten Teilnehmer und formulierte munter einen Streikaufruf an alle: „Warum geht nur ihr auf die Straße? Warum sind es nicht die Leute, die am Freitag in einem Büro sitzen“, fragte Winterscheidt: „Warum legt man nicht einfach mal – steile These – dieses Land lahm an einem Freitag?“

Joko Winterscheidt heißt eigentlich Joachim, war jahrelang MTV-Moderator und kam dann bei der für ihre werteorientierten Qualitätsprodukte (Traumhochzeit, Big Brother) berüchtigten Agentur Endemol unter Vertrag. Bekannt wurde er durch die Late-Night-Show neoParadise, die er zusammen mit Klaas Heufer-Umlauf moderierte. Seitdem treten Winterscheidt und Heufer-Umlauf als Joko und Klaas auf. Derzeit haben sie eine Spielshow bei ProSieben.

Kreative Indivualisten

Winterscheidt steht exemplarisch für eine Generation von Medienschaffenden, die ihre Karriere häufig bei MTV oder Viva begannen und nun bei den großen Privatsendern oder im öffentlich-rechtlichen Rundfunk reüssieren – vergleichbar dem Satiriker-Aktivisten Jan Böhmermann, der die Tage stolz verkündete, zusammen mit Heufer-Umlauf eine Millionen Euro Spenden für die nicht umstrittene Organisation Sea-Watch eingesammelt zu haben.

Auffallend an diesem Milieu der kreativen Individualisten ist ihr weltanschaulicher Konformismus. Man ist irgendwie multikulturell, antiautoritär und nachhaltig und polemisiert gegen jeden, der im Verdacht steht, nicht so zu denken wie man selbst. Im Grunde ist man die Gestalt gewordene Intoleranz im Slim-Fit-Anzug. Man begreift sich als progressiv, als kulturellen Goldstandard, als Speerspitze der Zivilisation. So wie man selbst und wie das Milieu in dem man sich bewegt, sollen alle Menschen werden – das ist vollkommen unsubtil die Botschaft, die man vor sicher herträgt und massenmedial verbreitet. Mehr noch: So wie man selbst, werden früher oder später alle Menschen sein. Das ist sicher. Und so teilt man die Menschen ein in diejenigen, die das begriffen haben und diejenigen, die sich dieser Einsicht verweigern. Letztere sind dann zur Belustigung freigegeben. An ihnen kann man die eigene weltanschauliche Überlegenheit demonstrieren.

Dass man sich daher gerne auch politisch äußerst, ist kein Zufall. Denn das Konzept massenmedialer Unterhaltung und die zur Schau getragene politische Weltanschauung basieren beide auf der Idee andauernder Progression. Medial erfolgreich ist, wem es gelingt, das Neue zu bieten und Fortschrittlichkeit zumindest zu simulieren. „In“ ist, was das Gestern alt aussehen lässt und eine Aura von Modernität verbreitet. Hier erweisen sich die Geschäftskonzepte der Unterhaltungsindustrie und die Ideologie der politischen Linken als weitestgehend deckungsgleich. Entsprechend hängen sich die Protagonisten die Massenmedien instinktiv an alle politischen Bewegungen, die sich als progressiv inszenieren.

Die Bedingungen der Massenmedien

Hinzu kommt ein branchenbedingter individualistischer Opportunismus. Denn massenmediale Unterhaltung basiert auf der Inszenierung normierter Individualität und konfektionierter Normverletzung. Man ist nicht wirklich revolutionär oder gar individuell, aber das angepasste Anderssein, die Simulation von Aufsässigkeit gehört zu den eingeübten Ritualen der Medienindustrie. Entsprechend stehen Popstars, Schauspieler und Moderatoren Schlange, wenn es darum geht, sich wieder einmal gegen Ungerechtigkeit stark zu machen, gegen Diskriminierung oder eben für Umweltschutz. Der Einkommensmillionär mit dem übergroßen CO2-Fußabdruck als Vorkämpfer ökosozialer Konzepte ist hier kein Widerspruch.

Joachim Winterscheidts Aufruf zum freitaglichen Generalstreik war insofern nur eine besonders infantile Posse eines Betriebes, dem die Grenzen zwischen Unterhaltung und Politik abhandengekommen sind. Denn kaum etwas ist grotesker als ein gutdotierter Entertainer mit Samstagabendshow, der den durchschnittlichen Büroangestellten zum Streik aufruft. Doch unter den Bedingungen der Massenmedien fällt das schon kaum noch auf. Ideologie wird hier zum Lifestyle, Politik zum Wohlfühlformat. Man möchte Haltung zeigen, doch heraus kommt eine alberne Pose.

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