Johnny Depp gewinnt Prozess gegen Amber Heard - Warum ich trotzdem auf ihrer Seite bin

Das Justizspektakel um Schauspieler Johnny Depp und dessen Ex-Frau Amber Heard hat ein Ende: Das Gericht in Fairfax County entschied den Verleumdungsprozess zu Gunsten des 59-Jährigen, der mit zwei Millionen Dollar Schadensersatz deutlich glimpflicher davonkam als die 36-Jährige - denn nicht alle Formen von Gewalt werden bestraft.

Amber Heard hatte ihrem Ex-Mann und Schauspielerkollegen Johnny Depp 2018 in der Washington Post Missbrauch vorgeworfen / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Sophie Dannenberg, geboren 1971, ist Schriftstellerin und lebt in Berlin. Ihr Debütroman „Das bleiche Herz der Revolution“ setzt sich kritisch mit den 68ern auseinander. Zuletzt erschien ihr Buch „Teufelsberg“

So erreichen Sie Sophie Dannenberg:

Anzeige

Sieben Wochen lang haben Amber Heard und Johnny Depp die Welt mit der Geschichte ihrer unappetitlichen Ehe unterhalten, jetzt haben die sieben Geschworenen im Gerichtssaal von Fairfax County, Virginia, das Urteil gefällt: Johnny Depp hat in fast allen Punkten recht, Amber Heard hat ihn laut Jury in böswilliger Absicht verleumdet.

Es war wie bei der Oscarverleihung, als die Kamera während der Urteilsverkündung auf das Gesicht von Heard und ihren Anwälten hielt, indiskreter als jeder Paparazzo: Sie trug schwarz, aber eigentlich war sie nackt, und man hätte sie, die durchgeknallte Lügnerin, hinterher auch ganz klassisch zum Scheiterhaufen führen können, unter dem weltweiten Gejohle der Internet-Gemeinde – und Johnny Depp feierte cool in irgendeinem Pub in England. Ich habe mich fast täglich in den Livestream des Prozesses geklickt und mir dann selbst, ähnlich wie die Richterin der Jury, ein paar Fragen gestellt:

Glaube ich, dass Amber Heard gelogen hat, als sie Johnny Depp sexuellen Missbrauch und häusliche Gewalt vorwarf? Ja.

Glaube ich, dass sie ihn mit ihrem Kommentar „Ich habe mich gegen sexuelle Gewalt ausgesprochen – und mich dem Zorn unserer Kultur gestellt. Das muss sich ändern.“ in der Washington Post verleumdet hat? Ja.

Glaube ich, dass Amber Heard sich wichtigtuerisch in die #metoo Debatte eingeklinkt hat, um für sich ein größeres Publikum zu generieren? Ja. 

Glaube ich, dass Amber Heard unter anderem unter einer histrionischen Persönlichkeitsstörung leidet, also dazu neigt, zu erfinden und zu dramatisieren, um im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen? Ja.

Glaube ich, dass das Gericht richtig geurteilt hat? Ja.

Finde ich Amber Heard unsympathisch und Johnny Depp saucool? Ja.

Und trotzdem: Ich bin auf ihrer Seite. 

Gewalt hat viele Ebenen 

Eines unserer vielen Probleme mit dem Thema der sexuellen Gewalt besteht ja darin, dass sie mehrere Ebenen hat, die reale Ebene und die metaphorische, und dann natürlich die popkulturelle, und dass wir diese Ebenen nur schwer unterscheiden können. Sexuelle Gewalt ist böse, keine Frage, aber darüber hinaus ist sie längst zur Metapher für das Böse schlechthin geworden, zum Hype. Es ist noch ein bisschen so wie damals im Mittelalter, als der Teufel sein Zielobjekt als incubus oder succubus heimsuchte, also sexuell.

Wir sind davon nicht so weit weg, wenn wir, im Film oder im Comic oder in der Literatur oder eben auch in der Verleumdung, den Bösewicht regelmäßig und sehr unsubtil als sexuellen Täter erfinden und die Heldin als Opfer. Die Geschichte von der sexuellen Gewalt ist eine der großen Erzählungen der Moderne, und mir scheint, dass Amber Heard sich dieser Erzählung als Metapher bediente, um etwas auszudrücken, wofür wir noch keine ausgeprägte Sprache haben. Selbstverständlich gilt vor dem Gericht die Wahrheit der realen Taten, nicht die der Metaphern. Aber wir dürfen die Frage zulassen, warum eine Frau darauf angewiesen ist, solche Metaphern zu verwenden, wenn sie sich eine Stimme verschaffen, wenn sie gehört werden will. Denn natürlich hat Johnny Depp seiner jungen Ehefrau Gewalt angetan, nur wohl eben nicht jene Form der Gewalt, die sie dem Gericht vortrug.

Urteil verhöhnt Heard

Ja, sehr schade, Depp wird wohl nie mehr im „Fluch der Karibik“ mitspielen, und darum hatte er Heard ja auf die 50 Millionen Dollar verklagt (von denen sie jetzt laut Urteil immerhin knapp ein Fünftel zahlen muss). Aber braucht jemand, der zum Beispiel eine Insel in der Karibik und ein ganzes Dorf in Südfrankreich besitzt, wirklich 50 Millionen Dollar zusätzlich – und braucht er sie ausgerechnet von einer jungen Frau, die laut Gutachten unter einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leidet, schauspielerisch hundertmal weniger begabt ist als er und jetzt sowieso nie wieder einen Fuß auf den Boden kriegt?

Warum war er (der offenbar so gern und großzügig andere Künstler unterstützt, dass sie vor Gericht für ihn heulen) bei der Scheidung ihr gegenüber eigentlich so geizig? Sieben Millionen Dollar? Es gibt inzwischen Frauen, die bekommen 38 Milliarden. Und das Geld war noch nicht mal für sie gedacht, sondern laut Scheidungsvereinbarung als Spende zu guten Zwecken. Als würde man einem kleinen Mädchen zum Trost Schokolade geben und ihm verbieten, sie zu essen. Das ist psychische Gewalt vom Feinsten. Dass sie den Großteil des Geldes wohl behielt, wurde vor Gericht entsprechend ausgeschlachtet, nicht aber, dass Johnny Depp ihr offenbar keine Abfindung gönnte.

Wieso konnte er nicht selbst etwas spenden und ihr etwas schenken? Man darf doch als ultrareicher gealterter Superstar, der überhaupt nichts mehr nötig hat, nicht mal mehr eine gute Figur, auch mal über seinen Schatten springen? Oder nach einer gescheiterten Ehe sowas wie Selbstkritik üben, statt mit einem Freund darüber zu fabulieren, wie man Amber Heard erst ertränken und dann als verbrannte Leiche vergewaltigen will? Oder wie ihre Leiche im Kofferraum eines Honda Civic verrotten soll?

Ungestrafte Frauenverachtung

Vielleicht wusste sie während oder nach der Ehe nicht, dass er so über sie zu sprechen bereit sei. Aber das Gift der Frauenverachtung, die unsichtbare Gewalt, war ja da und hat sie die ganze Zeit umgeben und umhüllt. Vielleicht stimmt es nicht, dass er gedroht hat, ihr das Gesicht zu zerschneiden. Aber trotzdem hat er genau das getan, als er darauf bestand, den Prozess in aller Öffentlichkeit stattfinden zu lassen – wohl wissend, dass diese junge und nicht besonders kluge Frau damit ins offene Messer rennt.

Über ihre verzerrten Züge während ihrer Aussagen macht sich jetzt die ganze Welt lustig, für immer. Und vielleicht hat er sie nicht wirklich mit der Flasche vergewaltigt. Aber metaphorisch gesehen hat er das getan – jeder, der einmal die Nähe eines aufgedunsenen Alkoholikers ertragen musste, der aus jeder Pore stinkt, dummes Zeug lallt und aus verwaschenen Augen durch einen durch glotzt, weiß, wie entsetzlich das ist.

Ich finde durchaus, dass Amber Heard die richtigen Metaphern gefunden hat, und es wäre wirklich groß von Johnny Depp, wenn er bereit wäre, diese Metaphern zu entschlüsseln und Amber Heard den Quatsch ihrer Anklage öffentlich zu vergeben. Denn wir können den Auftritt von Heard vor Gericht auch als Zerrspiegel für etwas betrachten, das real da ist und das wir ohne diesen Spiegel gar nicht sehen. Wir alle sollten uns deshalb bemühen, die vielen Formen der Gewalt, auch die subtilen, denen Menschen immer wieder ausgesetzt sind, wahrzunehmen und ernst zu nehmen – auch dann, wenn sie nicht den Körper, sondern nur die Seele zerstören. Das macht uns doch aus, nur die Seele.

Anzeige