Imam-Ausbildung an deutschen Universitäten - „Mehr solide ausgebildetes Religionspersonal täte gut“

Im Dezember startet ein Studienprogramm, das Lehrer auf Imam-Tätigkeiten vorbereiten will, in Teilzeit. Doch können „Imame made in Germany“ im Kampf gegen Islamismus helfen? Ein Gespräch über den westlichen Super-Imam, die Unzufriedenheit der Muslime in Deutschland mit ihren Vorbetern, politische Einflussnahme aus dem Ausland und alternative Finanzierungsmodelle.

Ein Imam spricht in der Milli-Görüs-Moschee Hannover während eines Gottesdienstes / dpa
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Dr. Pascale Anja Dannenberg hat Medienwissenschaft studiert. Sie ist Online-Redakteurin bei Cicero.

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Dr. Raida Chbib ist Geschäftsführerin der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft (AIWG) an der Goethe-Universität Frankfurt. Chbib studierte Politikwissenschaft, Völkerrecht und Islamwissenschaft mit dem Fokus auf Migration und Religion, Politik und Islam in Deutschland. Dr. Jan Felix Engelhardt ist ebenfalls AIWG-Geschäftsführer. Er promovierte zur Etablierung der Islamischen Theologie in Deutschland.

Seit diesem Jahr gibt es an den Universitäten Osnabrück und Münster erste Projekte zu einer Imam-Ausbildung. Innenminister Seehofer sieht darin einen „Beitrag zur Prävention“ gegen Islamismus. Wie ist Ihre Einschätzung?

Das ist eine religionspolitische Angelegenheit, und als solche sollte diese auch kommuniziert und behandelt werden. Und nicht als sicherheitspolitische Maßnahme. Damit schürt man nur Ressentiments in der Öffentlichkeit und trifft nicht auf Akzeptanz in der religiösen Community.

Sollte der Aufbau von Studiengängen Islamischer Theologie im Jahr 2010 auch schon eine Imam-Ausbildung beinhalten?

Das war von Anfang an politisch angedacht. Es ging darum, Voraussetzungen zu schaffen für akademisch ausgebildete Imame. Allerdings haben die Universitäten schnell klargestellt, dass es nicht ihre Aufgabe ist, die praktische Ausbildung zu leisten, das ist ja auch bei Priestern und Pfarrern die Aufgabe der Kirchen. So war bald klar, dass es nicht nur darum gehen konnte, Imame in Deutschland auszubilden.

Jan Felix Engelhardt und Raida Chbib/AIWG

Die Erwartungshaltung an im Inland ausgebildeter Imame ist in Politik und Gesellschaft hoch. Sie werden nicht nur als Vorbeter und Seelsorger, sondern auch als Sozialarbeiter, Familienberater, Integrationslotsen, Übersetzer und Lehrer gesehen. Ist das eine Überhöhung?

Das ist in der Tat eine Überhöhung, einen solchen Super-Imam zu erwarten halte nicht nur ich für unrealistisch. Diese Sichtweise findet man nicht nur in Deutschland, sie ist vielmehr eine europäische, kanadische, amerikanische Sicht, die vielerlei soziale und integrationsbezogene Aspekte mitbedacht haben will bei den Aufgaben eines Imams. In der wissenschaftlichen Diskussion wird angesichts dessen angeregt, die Aufgaben eines Imams nicht mit einer zu hohen Erwartungshaltung zu überfrachten und differenzierter den Nachwuchs für verschiedene Tätigkeiten in Gemeinden und darüber hinaus auszubilden, sodass die Aufgaben auf mehrere Personen mit entsprechender Qualifikation verteilt werden. Viele der in Deutschland lebenden Muslime wollen in ihren Moscheen einen deutschsprachigen, akademisch ausgebildeten Imam haben.

Nach deutschem Religionsrecht unterliegt die praktische Ausbildung und Finanzierung religiösen Personals den Religionsgemeinschaften. Das heißt aber auch, die Universitäten können nicht ohne die meist von politischen Funktionären statt von Theologen geführten Islamverbände Islamische Theologie lehren sowie eine Imam-Ausbildung initiieren.

Es gibt hohe Hürden für den Staat, sich strukturell, inhaltlich und finanziell in Religionsangelegenheiten einzumischen. Gleichzeitig gibt es die sogenannten „gemeinsamen Angelegenheiten“, in denen Staat und Religionsgemeinschaften kooperieren, etwa beim Religionsunterricht und eben auch in den Theologien an den Universitäten. Da muslimische Glaubensgemeinschaften über die großen Islamverbände organisiert sind, haben viele, nicht alle, Universitäten im Hinblick auf die Islamische Theologie konfessionelle Beiräte geschaffen, in denen die islamischen Organisationen ein Mitspracherecht haben. Sie geben etwa eine Lehrerlaubnis für Professorinnen und Professoren aus religiöser Perspektive und segnen das Curriculum ab. Doch sollte man den Einfluss nicht überschätzen: Bis auf wenige Ausnahmen halten sich die Verbände bei Eingriffen in Forschung und Lehre zurück. Das liegt auch an den Fällen Kalisch und Khorchide in Münster.

Der Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM) beendete 2008 seine Mitarbeit im Beirat an der Universität Münster als Zeichen des Protests gegen Sven Kalisch, Inhaber des ersten Lehrstuhls für die Ausbildung islamischer Religionslehrer in Deutschland. Nach Lesart des KRM ziehe Kalisch Lehren des Islam in Zweifel. Kalisch blieb jedoch auf seinem Lehrstuhl, bis er 2010 kundtat, kein Muslim mehr zu sein. Gegen Kalischs Nachfolger, Mouhanad Khorchide, intervenierten 2013 islamische Verbände gleichfalls. Er habe den Islam als „Religion der Barmherzigkeit“ interpretiert und damit eine unzulässige Annäherung an das Christentum vorgenommen. Khorchide ist heute noch auf dem Lehrstuhl.

Das zeigt, der Einfluss der Beiräte ist gering, sie tagen zwei- bis dreimal im Jahr.

An dem vom Bund und dem Land Niedersachsen mit gut fünf Millionen Euro gefördertem Imam-Projekt in Osnabrück beteiligen sich das Bündnis Malikitische Gemeinde, der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD), Muslime in Niedersachsen, die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken sowie der Zentralrat der Marokkaner. Kritiker werfen der Bundesregierung nun vor, sie setze in Osnabrück auf konservative Islamverbände.

Das sind etablierte, aus sich heraus gewachsene Glaubensgemeinschaften, die die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit und das religiöse Knowhow weitgehend mitbringen. Anstatt sie pauschal als „konservativ“ zu etikettieren, wäre es wichtig, die „Schattierungen“ in den religiösen, aber auch religionspolitischen Ausrichtungen sowie die Diversität im Inneren zur Kenntnis zu nehmen, die es durchaus gibt.

Bräuchte es dann in Osnabrück nicht eher fünf verschiedene Imam-Ausbildungen?

Das ist eine gute Frage. Es gibt aber nur ein Ausbildungsmodell. Da soll auch gar nicht auf theologische Traditionen abgehoben werden, sondern auf methodische Fragestellungen der Imame: Wie sieht eine gute Predigt aus? Dass nun also so verschiedene Verbände sich zu einem Gemeinschaftsprojekt zusammentun, das ist schon eine bemerkenswerte Entwicklung.

Was aber ist beispielsweise über eine Zusammenarbeit mit dem ZMD zu halten, der eine streng konservative, scharia-orientierte Koranauslegung befürwortet und über seine Mitglieder mit der islamistischen Muslimbruderschaft verbunden ist?

Was genau eine solche „scharia-orientierte Koranauslegung“ bedeuten soll und ob der ZMD eine solche befürwortet, kann ich mit wissenschaftlicher Evidenz nicht beantworten. Der ZMD ist einer von mehreren Dachverbänden, zu dem sich mehrere islamische Gemeinschaften unterschiedlicher Ethnien und Ausrichtungen, unter anderem ein der Bewegung der Muslimbruderschaft zuzurechnender kleiner Verband, zusammengeschlossen haben. Er ist noch viel diverser aufgestellt als etwa türkisch-islamische Verbände, wie etwa der Verband Islamischer Kulturzentren oder die Ditib. Es täte seinen Gemeinden gut, mehr solide ausgebildetes Religionspersonal zu erhalten. Über theologisch und fachlich gut ausgebildetes Personal hätten religiöse Stätten des ZMD und darüber hinaus in Deutschland eine bessere Perspektive, sich für die Zukunft in eine islamtheologisch fundierte, gesellschaftszuträgliche gute Richtung zu entwickeln.

Münster hingegen kooperiert bislang einzig mit dem Bündnis Malikitische Gemeinde. Ist der Verband liberaler, freier von Politisierung?

Das ist eine Selbsteinschätzung der Akteure. Wir können darüber nicht urteilen.

Die Mehrheit der Muslime in Deutschland identifiziert sich nicht mit einem Verband, hat ein liberaleres Verständnis von Religion, besucht keine Moschee. Braucht es dann noch Imame?

Christen entrichten Kirchensteuer und erhalten im Gegenzug kirchliche Dienstleistungen. Das ist bei Muslimen nicht der Fall, sie müssen nicht über eine Moscheensteuer zahlende Mitglieder islamischer Dachverbände sein, um am Freitagsgebet teilnehmen oder die Dienste eines Geistlichen bei einer Eheschließung oder einer Bestattung in Anspruch nehmen zu können. Generell wird die „Mitgliedschaft“ der Muslime zu Verbänden wissenschaftlich kontrovers diskutiert. In jedem Fall aber sollten Imame die Bedürfnisse der in Deutschland aufgewachsenen Muslime in ihrer Gemeinde und von weiteren Menschen, die sich sporadisch dieser Dienste bedienen, decken können.

Absolventen Islamischer Theologie in Deutschland wollen lieber Lehrer werden als Imam, auch wegen der Bezahlung. Lediglich die aus Ankara gesteuerte Ditib stellt Imame als Staatsbeamte ein. Andere Imame, wie die des Verbands der Islamischen Kulturzentren (VIKZ), leben in äußerst prekären Verhältnissen. Könnte Deutschland analog zu Belgien die Gehälter seiner ausgebildeten Imame zahlen – oder würde das hierzulande gegen den Grundsatz der Trennung von Staat und Religion verstoßen?

Imame in Belgien werden, anders als in Deutschland, in den vom Staat anerkannten Moscheen bezahlt, nachdem sie ein Auswahlverfahren durchlaufen haben. Hierbei bewertet ein Ausschuss der örtlichen Moschee Kompetenzen und legt die Empfehlung dem übergreifenden islamischen Theologenrat vor, der in Zusammenarbeit mit der Exekutive der Muslime in Belgien (EMB) eingerichtet wurde – dem Kooperationsgremium für den belgischen Staat. Der deutsche Staat kennt ein solches System nicht, kann jedoch zahlen für den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen oder für soziale Dienste wie Seelsorge im Krankenhaus oder im Gefängnis. Moscheendienste der Imame zahlt der deutsche Staat nicht.

Münster plant nun, in Deutschland ausgebildete islamische Religionslehrer als Teilzeit-Imame zu gewinnen. Dafür sollen von Dezember an einjährige Zertifikatsstudienprogramme angeboten werden. Auch Osnabrück sieht die Kooperation mit Lehrern als eine Möglichkeit. Wäre das ein sinnvolles Finanzierungsmodell – durch den deutschen Staat?

Ob ausgebildete Religionslehrer vom Staat für Moscheetätigkeiten bezahlt werden können, wäre eine juristische Knackfrage, die auch hinsichtlich ihrer Praktikabilität zu hinterfragen wäre. Lehrer als Beamte des deutschen Staates brauchen die Erlaubnis ihres Dienstherrn, einer Nebentätigkeit nachgehen zu dürfen, die er dann aber nicht finanzieren würde. Zwar plädieren manche Experten, auch aus europäischen Nachbarländern, dafür, die Glaubensgemeinschaften ins Boot zu holen, indem man mit ihnen gemeinsam über die bessere Qualifizierung und Finanzierung von Imamen nachdenkt. Was dabei aber nicht außer Acht gelassen werden darf, ist, dass es Verbände gibt, die seit Jahrzehnten ihr Religionspersonal hierzulande ausbilden, wie der VIKZ seit den 1970er-Jahren, oder solche, die Fortbildungsangebote geschaffen haben wie die Ditib erst seit Kurzem. Beide Verbände senden Signale an die Politik, dass sie die Ausbildungs- und Fortbildungsmaßnahmen verbessern, sich reformieren, sich an Deutschland anpassen wollen.

Sollte Deutschland analog zu Frankreich Bedingungen wie Sprachkenntnisse, politische Selbstverpflichtungen und finanzielle Transparenz für die Entsendung von Imamen mit ausländischen Regierungen verhandeln, um als gefährlich eingestufte Prediger an der Einreise zu hindern?

Während Deutschlands Verfassung keine strikte Trennung zwischen Staat und Religion, sondern ein korporatives Verhältnis vorsieht, ist Frankreich zentral-laizistisch organisiert. Bislang hat unser Nachbarstaat insbesondere auf Imame aus Algerien und Marokko über außenpolitische Verträge mit dortigen Institutionen gesetzt, wobei diese Konstruktion zurzeit überdacht wird mit dem Ziel, stärker innenpolitisch zu agieren. Ein solches „Auslaufmodell“, das auf Entsendung und Kontrolle von Religionsbediensteten setzt, würde ich nicht empfehlen. Ob generell die Gefahr von einreisenden Predigern ausgeht, würde ich zudem mit einem Fragezeichen versehen wollen.

Ausgerechnet der umstrittene salafistische Imam von Brest hatte einen der staatlich geförderten Laizität-Studiengänge absolviert, die Imame aus Algerien, Marokko und der Türkei absolvieren müssen. Also doch „gefährlich“?

Ja, aber aufgrund eines Pauschalverdachts zu glauben, dass ein Laizitätskurs zur Prävention ausreichen würde, ist meiner Ansicht nach kurz gedacht. Klar gibt es Defizite und schwarze Schafe. Aber statt auf kosmetische, auf Misstrauen basierende Maßnahmen zu setzen, gilt es vielmehr, grundsätzlich auf die Umsetzung nachhaltiger inländischer Ausbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen im islamreligiösen Bereich zu bauen, die durchaus auf internationale Wissensbestände mit zurückgreifen könnten, so wie es in anderen Fachbereichen auch geschieht. Dies sollte in Kooperation mit den bestehenden Religionsgemeinschaften geschehen, damit Absolventen und Absolventinnen dort unterkommen können. Und das geht nur, wenn dies primär unter religions- und gesellschaftspolitischen statt unter sicherheitspolitischen Vorzeichen geschieht.

Warum ist bislang kein tragfähiges und allgemein akzeptiertes Modell der Ausbildung und Beschäftigung von islamischen Geistlichen in Sicht? An was fehlt es – am Willen der Moscheegemeinden, auf aus dem Ausland entsandte politisch gesteuerte Imame zu verzichten, am Willen der Lehrer, in die Moscheen zu gehen, oder am politischen Willen?

Ein solches einheitliches Modell zu erwarten, erscheint mir nicht realistisch, unter anderem, weil die strukturelle und lehrbezogene Verfasstheit des islamreligiösen Felds nicht uniform ist. Man könnte sich aber durchaus auf gemeinsame Nenner verständigen. Warum immer noch eine große Zahl an Imamen aus dem Ausland kommt, hat verschiedene Gründe: Erstens sind die islamischen Religionsgemeinden in Deutschland ehrenamtlich getragene Vereine, für die es schwierig ist, Geld zu akquirieren; das heißt, sie sind heute noch auf die aus dem Ausland entsandten Imame angewiesen. Zweitens ist es unter den Absolventen Islamischer Theologie in Deutschland attraktiver, in den verbeamteten Schuldienst zu treten, statt in den Dienst in Moscheen, zumal drei Viertel der Absolventen weiblich sind, die ja bisher wegen ihres Geschlechts gar nicht als Imam tätig werden dürfen; auch müssen Imame gefühlt 24 Stunden täglich für ihre Gemeinde erreichbar sein und sich mit dem Vereinsvorstand auseinandersetzen, was für junge Leute unattraktiv ist, worauf sich aber ausländische Imame einlassen. Drittens müssen die Imame aufgrund der Heterogenität der Religionsgemeinschaften von diesen selbst ausgebildet werden, zum Teil existieren unterschiedliche Sprachen im Gemeindeleben.

Aber es geht doch darum, dass die in Deutschland ausgebildeten Imame auch in den Moscheen Deutsch sprechen, auch weil immer wieder gesagt wird, die hier aufgewachsenen Muslime hätten diesen Anspruch?

Ja, das sollten sie, zumal dies besonders für die jüngere Generation sehr wichtig ist, um überhaupt die Inhalte nachzuvollziehen. Alles in allem braucht es ein wenig mehr Zeit für eine Umstrukturierung, das ist kein Unwille. Es kommt auf vertrauensbildende Maßnahmen an. Was wird benötigt? Wie kann der finanzielle Bedarf gedeckt werden, wenn politisch keine Auslandsfinanzierung gewünscht wird? Da ist man ziemlich weit gekommen in den vergangenen Jahren, auch in den Gemeinden selbst. So gibt es jetzt seit gut zehn Jahren die Islamische Theologie als Universitätsstudiengang, Imam-Ausbildungen einzelner Islamverbände und die Imam-Projekte an den Universitäten Münster und Osnabrück.

Die Fragen stellte Pascale Anja Dannenberg.

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