Woke und ideologisch - Jan Böhmermanns grobschlächtige Ironie der Angst

Das größte Problem für den Komiker unserer Tage besteht darin, dass Pointen eine Zuspitzung brauchen, die von immer mehr Menschen als Kränkung empfunden wird. Jan Böhmermann rettet sich mit hohlem Lachen. Dann doch lieber die Komik von Lisa Eckhart, findet Bernd Stegemann.

Schelmisches Grinsen, damit auch jeder weiß, dass es witzig sein soll: Jan Böhmermann / dpa
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Autoreninfo

Bernd Stegemann ist Dramaturg und Professor an der Hochschule für Schauspiel (HfS) Ernst Busch. Er ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschienen von ihm das Buch „Die Öffentlichkeit und ihre Feinde“ bei Klett-Cotta und „Identitätspolitik“ bei Matthes & Seitz (2023).

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Jede Zeit hat die Komiker, die sie verdient. Das dritte Reich und die fünfziger Jahre hatten Heinz Rühmann, der mit ewig belegter Stimme die Sorgen und Hoffnungen der kleinen Leute zum Klingen brachte. Das grundsätzliche Einverständnis mit der Schlechtigkeit der Welt zeigte sich in der leicht klagenden aber dennoch immer zuversichtlichen Sprechmelodie, für die er berühmt war. In jedem Satz wurden tapfer die Zähne zusammengebissen, und mit einem wehmütigen Schalk im Augenwinkel die Zuschauer mit ins schwankende Boot einer unsicheren Existenz geholt. Affirmation einer schlechten Zeit auf artistisch hohem Niveau. 

Wir Menschen der Spätmoderne haben es vergleichsweise besser und schlechter zugleich. Der Rühmann unserer Tage, an dem das ZDF über alle Quotentiefen hinweg eisern festhält, ist nicht mehr die Stimme des kleinen Mannes und der kleinen Frau, sondern er ist der Vorsprecher aller moralisch bewegten Studenten und Studentinnen. Unser Rühmann heißt Jan Böhmermann. Das Kennzeichen des ewigen Schülersprechers ist sein eigenes Lachen und die vorgeführte Ambitionslosigkeit, noch irgendetwas können zu wollen. 

Reinkarnation von Timm Thaler

Wer in den 1970er Jahren sozialisiert wurde, erinnert sich noch mit etwas Wehmut an die Geschichte von Timm Thaler. Das war der Junge, der ein so bezauberndes Lachen hatte, dass ein böser alter Mann es ihm abkaufen wollte. Und man ahnte schon als Kind, war das Lachen einmal weg, so ging es mit Timm unaufhaltsam bergab. Hat man das fehlende Lachen von Timm Thaler im Ohr, so klingt das Lachen von Jan Böhmermann, als wäre er eine späte Reinkarnation des armen Timm, der es irgendwie geschafft hat, sich ein neues Lachen zurückzukaufen. Sei es durch eine aufwändige Operation oder eine geschickte Simulation am Computer, das Lachen ist wieder da, und klingt seitdem wie eine Mahnung, dass eine verkaufte Seele für alle Zeiten heimatlos durch die Welt streifen muss. Denn zurückbekommen hat der Timm Böhmermann ein Lachen, so hart und meckernd, wie das eines Wehrmachtssoldaten in Stalingrad, und so entsetzt auftrumpfend wie von einem bekoksten Broker in der CoronaBaisse. 

Diese eigentlich interessanten, existentiellen Ausnahmezustände sind dem Polizistensohn jedoch nicht nur zutiefst suspekt, sondern vor allem völlig unbekannt. So liefert er zuverlässig die ironische Version seines herzlosen Gelächters. Und damit ist man beim Fundament der Böhmermannschen Unterhaltungsanstrengungen angelangt. Die Ironie ist Anfang und Ende aller seiner Bemühungen. Und das schlichte Zeichen, mit dem er signalisiert, dass hier, Achtung, gerade etwas ironisch gemeint ist, ist der kokette Kamerablick und das seltsam seelenlose Lachen. 

Grobschlächtige Form der Ironie

Wer bei Ironie an die feinen Satzkonstruktionen eines Thomas Mann denkt oder die zarten Pointen eines Loriot, wird dieser grobschlächtigen Form der Ironie wenig abgewinnen können. Wenn bei Loriot die Pedanterie des verklemmten Bürgers zugleich zelebriert und bloßgestellt wird, so wird bei Böhmermann in mechanischer Stupidität einfach um alles eine ironische Klammer gemacht. Man kennt die Zeitgenossen, die kaum einen Satz beenden können, ohne dass sie darin die Finger zu den pantomimischen Anführungszeichen erhoben haben. Sie möchten etwas sagen, möchten aber auf keinen Fall dafür verantwortlich gemacht werden. 

Der spätmoderne Mensch sieht sich offensichtlich von unzähligen Fallen umstellt, in die er hineinstürzen könnte, wenn man ihn einmal mit einer Aussage dingfest machen könnte. So wird aus der Ironie, die einst ein Mittel der intellektuellen Annäherung und subtilen Kritik war, ein Schutzschild, hinter dem sich die Ängstlichen und Nassforschen sammeln. Würden sie es bei dieser sorgenvollen Kommunikation bewenden lassen, so möchte man ihnen helfend die Hand reichen und vergewissern, dass man heute eine eigene Meinung haben darf. Doch die 63 Prozent, die in einer Umfrage zugaben, Angst zu haben, diese zu äußern, bilden inzwischen eine verschreckte Mehrheit. 

Angst vor der eigenen Pointe

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Die Dialektik der Böhmermannschen Ironie besteht nun darin, dass sie die Angst vor der eigenen Pointe zur Methode erklärt hat, und zugleich dafür sorgt, dass die Angst vor dem falschen Zungenschlag immer mehr zunimmt. Zum einen wird durch das reflexhafte eigene Lachen jeder langweilige Satz mit dem Signal versehen: Hier ist es lustig. Zum anderen soll sich durch die Anführungszeichen der Ironie wirklich niemand mehr durch irgendeinen Witz gekränkt fühlen. Denn das größte Problem für den Komiker unserer Tage besteht darin, dass Pointen eine Zuspitzung brauchen, und dass genau diese Zuspitzung von immer mehr Menschen als Kränkung empfunden wird. Was bleibt dem Komiker also übrig, als auf die Pointe zu verzichten, und sie durch eigenes Lachen zu ersetzen? Affirmation einer schwierigen Zeit auf bescheidenem Niveau. 

So wie die leise Klage und das tapfere Durchhalten von Heinz Rühmann einer autoritären Gesellschaft entsprach, so verkörpert der Komiker Typus von Jan Böhmermann den Untertanen unserer Tage. Wollte man ihn mit einem neuen Wort bezeichnen, so würde man ihn „woke“ nennen. Damit ist eine paradoxe Mischung gemeint, die eine zur Schau gestellte Sensibilität mit hoher Aggressionsbereitschaft allen gegenüber verbindet, die nicht ins eigene Weltbild gehören. Der woke Untertan ist ständig darauf bedacht, in seiner Umwelt Regelverstöße zu entdecken, die er dann lautstark beklagen kann.

Propagandisten einer woken Weltanschauung

Zugleich ist ihm nichts wichtiger, als alle anderen davon zu vergewissern, dass er selbst zu den Guten gehört. Der Woke sendet unaufhörlich Tugendsignale an die eigene Meinungsblase und Warnungen an die Bösen. Darin gleicht er dem autoritätshörigen Rühmann-Untertan. Der Unterschied besteht darin, dass der alte Untertan einem Staat gegenüber hörig war. Der Böhmermann-Untertan lebt in der Illusion, dass er sein eigener Herr ist, und dass es seine eigenen Empfindlichkeiten sind, nach denen er die Welt richtet. 

Hier beginnt die Dialektik des selbstlachenden Komikers als Propagandisten einer woken Weltanschauung. Der woke Mensch ist ängstlich darauf bedacht, keinen Anstoß zu erregen, weil er weiß, dass um ihn herum auch woke Psychen auf der Lauer liegen. Die woke Komik ist dadurch im Gefängnis ihrer eigenen Methode eingesperrt. Sie muss jede ihrer Pointen mit Ironie rahmen, damit sich keine Gruppe davon gekränkt fühlen kann. Zugleich richtet sich ihre Kritik gegen die Gruppen, die sie gefahrlos lächerlich machen darf, weil sie von ihrer eigenen Community auch abgelehnt werden. Die woken Fans finden Trump und die AfD böse, also sind sie andauernd Ziel des Spottes. Die woken Fans finden Identitätspolitik und die Grünen toll, also macht man hier besser keine Witze, und wenn doch, so wird eine doppelte Portion keckerndes Lachen darüber gestreut, damit sich auch wirklich niemand davon gekränkt fühlen kann. 

Kraft zur Selbstverstärkung

Der woken Weltanschauung wohnt also wie jeder robusten Ideologie eine Kraft zur Selbstverstärkung inne. Wie verbreitet sie inzwischen ist, zeigt der gerade hochkochende Skandal um die Wortakrobatin Lisa Eckhart. Wollte man auch sie in die kleine Genealogie der Komiker einreihen, so wäre sie eine Mischung aus Marlene Dietrich und Falco. Damit steht sie in jeder denkbaren Hinsicht quer zur woken Erwartung an kränkungsfreie Pointen und kindersicheren Humor. Lisa Eckhart ist eine reine Kunstfigur, die mit exzentrischer Kleidung und aufwändiger Frisur kunstvoll komponierte Sätze prononciert vorträgt. 

Nun ist ein Video aus der Hochzeit der Metoo-Debatte 2018 aufgetaucht, wo sie in den ihr eigenen Schachtelsätzen für woke Ohren skandalisierbare Worte sagt. Zusammengefasst weist sie darauf hin, dass mit Harvey Weinstein, Woody Allen und Kevin Spacey drei Vertreter von identitätspolitisch „unantastbaren“ Personen in den Fokus der Anklage gerückt sind. Zwei Juden und ein Schwuler werden öffentlich der sexuellen Gewalt angeklagt, und Lisa Eckhart legt den darin enthaltenen „politisch korrekten Albtraum“ aller Identitätspolitiker offen, wenn sie bemerkt, dass die vormals unantastbaren Opfer nunmehr selbst zu Tätern geworden sind. 

Aufklärerin im klassischen Sinn

Eine solche Pointe hätte auch aus der Feder von Slavoj Zizek kommen können, der ebenso wie sie einen diabolischen Spaß daran hat, wenn die moralischen Gewissheiten sich gegenseitig in unlösbare Widersprüche verstricken. Die Komik von Lisa Eckhart besteht in ebendieser Darlegung verborgener, weil obszöner Widersprüche. Mit Marx könnte man ihr bescheinigen, dass sie die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen bringt, indem sie ihnen ihre eigene Melodie vorspielt. Sie ist damit im klassischen Sinne eine Aufklärerin. Und genau diese Geste wird ihr nun zum Verhängnis. 

Die woke Öffentlichkeit, die von den Böhmermanns dieser Welt ständig darauf gedrillt wird, jede Kränkung mit größtmöglichem Aufschrei anzuprangern, reagiert mehr als ungnädig, wenn sie aus ihrem ironischen Schlaf geweckt wird. Und da die woken Zeitgenossen bei Kränkung nur noch die Reaktionsweise kennen, den Kränkenden vernichten zu wollen, haben sie gleich zur größten Anklage gegriffen, die in der deutschen Öffentlichkeit zur Verfügung steht: Sie haben Lisa Eckhart des Antisemitismus beschuldigt. 

Doppelte Standards

Wir werden also in den kommenden Wochen Zeuge sein, wie rigoros die Empörten vorgehen werden, und wie weit ihr Arm reicht, um unliebsame andere Meinungen aus der Öffentlichkeit verbannen zu können. Wie sehr die doppelten Standards der Identitätspolitik die Debatten beherrschen, kann in dem ebenfalls aktuellen Fall des Postkolonialismus Theoretikers Achill Mbembe beobachtet werden. In zahlreichen Texten hat er das Existenzrecht Israels in Frage gestellt, und den Holocaust mit dem Apartheitsregime in Südafrika verglichen, was ihm berechtigte Kritik eingebracht hat. Doch zu seiner Verteidigung haben sich inzwischen weltweit Intellektuelle von einigem Einfluss zusammengefunden, deren Argumentation lautet, Mbembe mag zwar kein Freund Israels sein, aber als schwarzer Intellektueller darf er das, und wer ihn dafür kritisiert ist ein Rassist. 

Lisa Eckhart ist im identitätspolitischen Ranking weit darunter: Sie ist eine weiße Frau aus Österreich. Und ihr Vergehen besteht darin, dass ihre Komik keine Tugendsignale vor sich herträgt, niemandem vorschreibt, wann gelacht werden soll, und niemanden damit beruhigt, dass sie das alles schon nicht ernst so gemeint habe.

Albtraum der woken Zeitgenossen

Stattdessen ist ihr ganzes Auftreten von einer furchteinflößenden Perfektion und abgründigen Dialektik. Sie ist der Albtraum der woken Zeitgenossen. Und was die mit Leuten machen, von denen sie sich irritiert fühlen, ist inzwischen bekannt: Skandalisieren bis zum Boykott. Dass Mbembe zum Boykott Israels aufruft, wiegt für die Woken in aller Welt dabei deutlich weniger schwer, als dass eine blonde Frau die Ungereimtheiten der Identitätspolitik dem Gelächter preisgibt. 

Mit Genugtuung geben sich währenddessen Rühmann und Böhmermann die Hand und halten dem Motto aller erfolgreichen Opportunisten die Treue: Du musst mit den Wölfen heulen, nur etwas anders dabei klingen. Ob wir noch etwas von Lisa Eckhart zum Casus Mbembe und ihrem eigenen Skandal hören werden, ist hingegen offen. Jede Zeit hat eben die Komiker, die sie verdient. 

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