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(picture alliance) 100 Jahre Babelsberg - 100 Jahre Film

100 Jahre Babelsberg - Fabrik der Illusionen

Im Kaiserreich gegründet, in der Weimarer Republik zu Weltruhm gekommen, von den Nazis missbraucht, zu DDR-Zeiten geknebelt und vom Wildwestkapitalismus nach der Wende durchgeschüttelt: Nur wenige Orte verkörpern deutsche Geschichte so beispielhaft wie die Filmstudios in Babelsberg

Ein nasskalter Wind pfeift durch das Märchendorf. Die Häuschen auf dem Gelände des Babelsberger Filmstudios, von den Ausstattern für die amerikanische Großproduktion „Hansel and Gretel: Witchhunters“ dem Augsburg des 17. Jahrhunderts nachempfunden, ducken sich im Kreis zusammen. Als lägen sie im Dornröschenschlaf. Keine Spur von der Hollywood-Action, die hier noch vor kurzem bei den Dreharbeiten für einen etwas abstrus anmutenden Fantasy-Film, in dem Hänsel und Gretel als Erwachsene zu Hexenjägern werden, getobt haben muss.

Noch immer gilt für die Tristesse solch verlassener Filmkulissen, was der Großfeuilletonist Alfred Polgar notierte, als er in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Babelsberger Studios besuchte: „Eine Welt, die von ihrer Maske das Gesicht fallen ließ.“ Dass auch damals, in der bedeutendsten Ära Babelsbergs, nicht nur Meisterwerke gedreht wurden, verrät Polgars bissiger Nachklapp zu seiner Beschreibung der Kulissenstadt: „Niemand wohnt in ihr, nur in den öden Fensterhöhlen, wenn man sich der dazugehörigen Filme erinnert, das Grauen.“

Trotz derlei Polemik erlebte Polgar die goldenen Zeiten der Babelsberger Filmstudios, die jetzt ihr hundertjähriges Jubiläum feiern. Damals galt der deutsche Film etwas in der Welt. Und er traute sich alles – vom expressionistischen Kinoentwurf bis zum Monumentalfilm. Ob Vampirhorror, Psychothriller, mythische Superhelden oder Science Fiction: Was heute meist als US-Produktion in jedem Multiplexpalast dieser Welt läuft, wurde damals in Deutschland gedreht. Von „Metropolis“ bis „Nosferatu“, von den „Nibelungen“ bis zum „Cabinet des Dr. Caligari“.

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Entdeckt wurde Babelsberg vom Kameramann Guido Seeber. In Berlin hatte die Feuerpolizei den Filmleuten die Hölle heiß gemacht. Mit ihrem leicht entflammbaren Zelluloid, den Pappdekors und den heißen Scheinwerfern waren sie gefährlich für die menschengefüllte Stadt. Seeber stieß im Provinzort Babelsberg auf das verwaiste Gelände einer ehemaligen Papierblumenfabrik. Und im neu errichteten „Glashaus“ fiel dort am 12. Februar 1912 die erste Klappe für den Film „Totentanz“.

Vor der Kamera stand damals die dänische Diva Asta Nielsen. Noch waren die Geschichten grob gestrickt – aber Nielsen hatte es sich zum Ziel gesetzt, den Scheinwelten der Leinwand realistische Feinheiten abzuringen, „in diesem verlogenen Orgelbrausen“ einen echten Ton „zum Klingen zu bringen“, wie sie später einmal sagte. Für ihre Darstellungskünste wurde sie sogar vom französischen Dichter Guillaume Apollinaire gerühmt. „Wenn der Hass aus Asta Nielsens Augen leuchtet“, schrieb er, „dann ballen wir die Fäuste, und wenn sie ihre Augenlider aufschlägt, dann sind es Sterne, die leuchten.“

Aber auch mit technischen Innovationen machte die Babelsberger Illusions­manufaktur auf sich aufmerksam. Spätestens als das Kameragenie Karl Freund für Mur­naus „Der letzte Mann“ 1924 die „entfesselte Kamera“ erfand – er platzierte sie auf einem Fahrrad, schnallte sie sich vor die Brust oder seilte sie in einem Korb ab –, schickte sogar Hollywood seine Leute nach Babelsberg. Solche Tricks musste man sich abschauen.
Anders in jüngster Vergangenheit: Da war man froh, von den Amerikanern lernen zu können. Christoph Fisser, der seit 2004 gemeinsam mit Carl Woebcken die Studio Babelsberg AG leitet, sagt: „Die deutschen Set-Designer und Visual-Effects-Spezialisten haben unheimlich profitiert von den internationalen Produktionen, weil da oft mehrere Oscar-Gewinner dabei waren.“

Wie entscheidend solches Handwerk hinter den Kulissen zur großen Imaginationsmaschine Kino beiträgt, hatte man in Babelsberg frühzeitig verstanden. Dieses Bewusstsein, mit dem sich das Studio heute noch der oft billigeren internationalen Konkurrenz erwehrt, ließ den Filmarchitekten Robert Herlth in den zwanziger Jahren schwärmen: „Wie einst Dome erbaut wurden“ würden nun in Babelsberg „zeitüberdauernde Gebilde für die Leinwand“ entstehen.

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Mittlerweile klingt das nüchterner, aber nicht weniger selbstsicher: „Jetzt sagt wieder jeder, der hierherkommt: Das sind die besten Crews auf der Welt“, erklärt Fisser. „Wenn in Rumänien zehn Leute für drei Euro die Stunde arbeiten, dann schafft bei uns einer, der vielleicht 30 Euro bekommt, trotzdem mehr. Weil Ausbildung, Maschinen und Material besser sind.“

Nostalgikern, die vom Studio Babelsberg erwarten, dem deutschen Film zu alter Größe zu verhelfen, erteilt Fisser eine Absage: „Vom deutschen Kinofilm könnten wir nicht mehr leben. Wenn wir es nicht schaffen, amerikanische Produktionen hierherzuholen, müssten wir arbeiten wie die Bavaria oder Studio Hamburg und uns mehr auf das Fernsehen konzentrieren.“

Die Zeiten, sie sind halt nicht mehr so wie in den zwanziger Jahren. Damals hatte Hollywood noch nicht die Allmacht über die Kinos der Welt inne. Und das Babelsberger Bilderlabor, in dem für die stummen Streifen eine immer wagemutigere visuelle Sprache ausgetüftelt wurde, lag zwar draußen vor den Toren Berlins, aber es wurde mit entscheidenden Impulsen aus der rasanten Weltstadt nebenan unter Strom gesetzt: mit den neuesten Kunstströmungen, modernen Lebensstilen und auch den düsteren Weltkriegserfahrungen. Nichts fehlte damals im Spektrum der deutschen Lichtspiele. Sie konnten aufregend, melodramatisch, mythisch, abgründig, zart, verführerisch und pathetisch sein.

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Und sogar für einen guten Schuss Größenwahn, wie ihn Regisseur Fritz Lang mit seinen epischen „Nibelungen“ und vor allem seiner „Metropolis“Fantasie pflegte, räumte ein risikofreudiger Produzent wie Erich Pommer den Weg frei. Über Pommer, der 1923 nach der Übernahme der Studios durch die Ufa zum wichtigsten Mann in Babelsberg wurde, sagte Lang später: „Die deutsche Filmindustrie verdankt ihren Aufstieg und ihre damalige Weltgeltung nur ihm.“
Während einer Amerikareise mit Pommer hatte Fritz Lang vom Dampfer aus erstmals die Wolkenkratzer New Yorks erblickt – ein Eindruck, der Lang zu seiner berühmten, über zwei Jahre unter gigantischem Aufwand gedrehten Science-Fiction-Fabel inspirierte. Die Arbeiten an „Metropolis“ verschlangen Millionen. Im Stil der gewaltigsten Hollywood-Produktionen von heute wurde damals im Programmheft für „Metropolis“ mit dem irrsinnigen Aufwand geprotzt: „25000 Komparsen“ zählte man, „11000 Komparsinnen, 1100 Kahlköpfe, 750 Kinder und 100 Neger“. Doch das später als Meilenstein der Filmgeschichte geadelte Werk erwies sich bei seinem Start als Kassenflop.

„Metropolis“ brachte die UFA an den Rand des totalen Ruins. Auch schlechtes Management und die immer heftiger werdende Konkurrenz der amerikanischen Filme verschärfte die Krise der Filmgesellschaft und zwang sie in unvorteilhafte Knebeldeals mit den USStudios Paramount und MGM. Medienmogul Alfred Hugenberg, Besitzer des rechtsgerichteten Scherl-Verlags und Vorsitzender der Deutschnationalen Volkspartei, löste die Ufa 1927 mit seinem Geld aus und übernahm sie.

Schon ihre Entstehung hatte die Ufa nationaler Gesinnung zu verdanken gehabt. Während des Ersten Weltkriegs erkannte General Ludendorff die Macht der bewegten Bilder und forderte in einem Brief an das Kriegsministerium, es sei „dringend erforderlich, dass die deutsche Filmindustrie vereinheitlicht wird, um nicht eine wirkungsvolle Kriegswaffe durch Zersplitterung wirkungslos zu machen“. Auch Streifen mit Titeln wie „Dem Feind ans Leder“, „Kein schönerer Tod“, „Die Grenzwacht im Osten“ konnten die Niederlage am Ende nicht verhindern. Aber das nach Ludendorffs Appell unter Staatsbeteiligung gegründete Unternehmen überlebte das Kaiserreich als Kriegsgewinnler.

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Unter Hugenberg war ein neuer nationalkonservativer Einfluss im Babelsberger Alltag zunächst kaum zu spüren. Stattdessen enterte Marlene Dietrich mit Strapsen die Filmbühne und sang: „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“. In „Der blaue Engel“ raubte sie den Zuschauern den Atem und stahl ihrem Leinwandpartner Emil Jannings, der eben in Hollywood den ersten Schauspiel-Oscar gewonnen hatte, die Show.

Bei den Dreharbeiten zum „Blauen Engel“ gab sich die Prominenz die Klinke in die Hand. Nicht nur Heinrich Mann, Autor der Vorlage „Professor Unrat“, George Grosz oder Max Reinhardt kamen vorbei: Buster Keaton setzte sich neben Komponist Friedrich Hollaender ans Klavier, und Sergei Eisenstein verwickelte Josef von Sternberg in Diskussionen über Freud und den Sexualtrieb. Dietrichs Schauspielrivalin Leni Riefenstahl soll die Arbeit an der „Von Kopf bis Fuß“-Gesangsszene der Diva übrigens ganz genau beäugt haben, was diese immer wieder aus dem Konzept brachte und dazu führte, dass sie Riefenstahl vom Set zickte – woraufhin die verruchte Revuenummer endlich gelang.
Marlene Dietrich ging nach Hollywood, die Nazis marschierten zur Macht. Sofort hechelte die Ufa den Braunen hinterher wie der Professor Unrat seiner Lola. Noch bevor Goebbels sich zum verkappten Studiochef von Babelsberg aufschwang, entstanden dort Filme wie „Hitlerjunge Quex“ mit dem bezeichnenden Untertitel „Ein Film vom Opfergeist der deutschen Jugend“. Und im U-Boot-Drama „Morgenrot“ erklärte Rudolf Forster als Kommandant: „Zu leben verstehen wir Deutschen vielleicht schlecht, aber sterben können wir jedenfalls fabelhaft.“ Goebbels vermerkte sich den Ausspruch, der bereits den ganzen Wahn von der Untergangsglorie vorwegnahm, begeistert in sein Tagebuch. Babelsberg, das „deutsche Hollywood“, wurde zur Albtraumfabrik.

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Ende März 1933 beschloss der Ufa-Vorstand auf einer Sondersitzung, sich aus Rücksicht auf die „nationale Umwälzung in Deutschland“ möglichst rasch von jüdischen Mitarbeitern zu trennen. Ein Großteil der deutschen Filmszene wurde ins Exil getrieben. Viele scheiterten in der Fremde, manche machten wie Billy Wilder eine Weltkarriere. Der deutsche Film erholte sich nie wieder von diesem Aderlass.
Bei einem Auftritt vor den verbliebenen Ufa-Mitarbeitern versicherte Goebbels, dass ihm „die Filmkunst ganz besonders ans Herz gewachsen“ sei. Natürlich schwebte ihm speziell der Film als „Vorkämpfer deutscher Kultur“ vor – auch wenn er Hitler 1937 noch 18 Mickey-Mouse-Filme zu Weihnachten schenkte. Goebbels verkündete triumphal, dass der nationale Film nun nicht mehr wie bisher unwürdige „Schuhputzerdienste“ in einem „verrotteten System“ leisten müsse.

Der Propagandaminister betrachtete das Kino als hoch zu dosierendes Medikament, wahlweise als Aufputsch- oder Beruhigungsmittel für das Volk. Er hofierte die Stars, besonders die weiblichen, nicht umsonst wurde er auch der „Bock von Babelsberg“ genannt. Auf die Wirkung der Bilder setzte Goebbels auch nach Kriegsbeginn, um die Menschen bei Laune zu halten. Draußen strahlten die Scheinwerfer der Luftabwehr und im Kinosaal Stars wie Marika Rökk oder Zarah Leander. Sie lieferten zuverlässig Glanz bis in die dunkelsten Kriegstage hinein. Die Schwedin Leander sang „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn“, ihre spöttisch „Reichswasserleiche“ genannte Landsfrau Kristina Söderbaum verkörperte schwülstige Todessehnsüchte. Hans Albers gab den Draufgänger und Heinz Rühmann den sanft gewitzten Jedermann.

Der Großteil der Leinwandlieblinge machte es sich in der Arbeit an Unterhaltungsfilmen bequem. Hauptsache, man musste nicht bei den üblen Hetzwerken mitmischen. Solchen wie Veit Harlans „Jud Süß“, jenem filmischen Verbrechen, das Goebbels als das i-Tüpfelchen der judenfeindlichen Propaganda ansah.
Auch Hollywood wollte Goebbels es zeigen. Für das teure Prestigeprojekt „Münchhausen“ gestattete er 1943 sogar dem unter Schreibverbot stehenden Erich Kästner, versteckt hinter dem Pseudonym Berthold Bürger das Drehbuch zu liefern. Kästner nahm das Angebot an – nicht ohne gegenüber Vertrauten sarkastisch zu bemerken: Das passe ja nur zu gut, vom größten Lügner der Welt, Goebbels, beauftragt zu werden, einen Film über einen Lügenbaron zu schreiben.

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Vier Wochen nach der vernichtenden Schlacht von Stalingrad ritt so Hans Albers als Münchhausen in prächtigen Agfacolor-Farben auf der Kanonenkugel durch die deutschen Kinos. Und als die Zuschauer bei der Premiere der „Feuerzangenbowle“ über die harmlosen Streiche der Schüler um Heinz Rühmann lachten, waren einige der Primaner-Darsteller schon längst an der Front gefallen. Babelsberg sorgte bis zum bitteren Ende für Eskapismus – und schließlich für ein letztes nationales Durchhalteepos: In „Kolberg“ sprach Heinrich George das Schlusswort des Nazi-Films: „Lieber unter Trümmern begraben als kapitulieren“.

Als die DDR in Babelsberg die Regie übernahm, versuchte man zunächst vor allem, sich der unter den Trümmern begrabenen Moral wieder anzunehmen. Bertolt Brecht vermerkte hinsichtlich der staatlichen Filmproduktionsfirma Defa schon 1949 in seinem Arbeitsjournal: „die leitung notiert themen von bedeutung (…), dann sollen schriftsteller dazu geschichten erfinden … das missglückt natürlich regelmäßig.“

Dabei war der Anfang vielversprechend gewesen: Wolfgang Staudte hatte 1946 in den Babelsberger Althoff-Ateliers – das eigentliche Studiogelände war verwüstet und demontiert worden – den aufwühlenden Trümmerfilm „Die Mörder sind unter uns“ inszeniert. Noch vor Gründung der Defa genehmigte die sowjetische Militäradministration die Dreharbeiten – während Amerikaner und Engländer Staudte zuvor die Erlaubnis verweigert hatten. Der amerikanische Filmoffizier Peter van Eyck, später ein Star im westdeutschen Kino, hatte Staudte versichert, die Deutschen könnten sich das Filmedrehen erst mal abschminken: „In den nächsten fünf Jahren wird in diesem Land überhaupt kein Film gedreht, außer von uns.“

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Staudte und seiner kleinen Truppe, darunter Hauptdarstellerin Hildegard Knef, knurrten die Mägen; man bibberte in der Kälte der wenig geheizten Ateliers. Kameramann Friedel Behn-Grund hatte am letzten Kriegstag durch eine Granatenexplosion ein Bein verloren. Man meint die Unbehaustheit, die Verlorenheit der Stunde null, auch die Unbeholfenheit im Umgang mit dem Ausmaß des deutschen Grauens in diesem Film mit Händen greifen zu können.
Später führte die staatlich verordnete Häufung antifaschistischer Filme gelegentlich zu künstlerischen Erfolgen wie „Nackt unter Wölfen“, „Ich war neunzehn“ oder „Jakob der Lügner“; doch oft blieben sie starre Pose, blutleer. Und als „Das Beil von Wandsbek“ 1951 den Henker als komplexen Charakter zu zeigen wagte, wurde der Film gleich verboten.

Noch heikler war der Umgang mit der sozialistischen Gegenwart. Auf einer Filmkonferenz verlangte 1952 ein SED-Vertreter: „Fangen Sie diese aufgehende Sonne der sozialistischen Arbeit, des sozialistischen Bewusstseins in Ihren Scheinwerfern und Kameralinsen auf.“ Die Gesellschaft kritisch zu beleuchten, war dementsprechend unerwünscht – Ähnliches galt allerdings auch für das Nachkriegskino in der Bundesrepublik, das mit seinen Heimatfilmen durch den Silberwald und die grüne Heide wanderte und kaum unter die glänzende Oberfläche des Wirtschaftswunders blickte.
Spätestens Anfang der sechziger Jahre hatte Babelsberg beim Publikum den Ruf eines Ladens, der nicht mehr ganz frische Ware verkauft. Nicht von ungefähr scherzte der von Manfred Krug gespielte Baustellen-Brigadier Balla 1965 in „Spur der Steine“ beim Flirt mit seiner Angebeteten: „Mit Ihnen würde ich mir sogar einen Defa-Film angucken.“

Nach dem 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965 wurden fast ein Dutzend Filme verboten, die für neuen Schwung und sanfte Kritik standen. Schon der eher gemütliche Drive und Veränderungswille des jungen Krug in „Spur der Steine“ war zu viel für den lahmenden DDR-Staat. Was nach diesem im Keim erstickten Aufmucken der Filmemacher folgte, war vor allem ein Wegducken in den Alltag. Dem rangen die schönsten Defa-Filme immer wieder lebendige Momente ab, in „Die Legende von Paul und Paula“ etwa oder in Konrad Wolfs „Solo Sunny“: Nach der gemeinsam verbrachten Nacht verklickert Sunny ihrem Liebhaber: „Is’ ohne Frühstück.“ Er mault, sie erwidert: „Is’ auch ohne Diskussion.“

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Ohne Diskussion marschierte nach der Wende dann auch der Kapitalismus in Babelsberg ein. Die Defa wurde abgewickelt, viele Mitarbeiter entlassen, die ostdeutschen Regisseure an den Rand gedrängt. Die Treuhand verkaufte das Studio an den französischen Konzern Vivendi. Von 1992 bis 2004 hatte das Studio Babelsberg dann weit mehr Geschäftsführer als es im selben Zeitraum an erinnernswerten Filmen hervorbrachte. Immerhin gelang mit Roman Polanskis bewegendem „Der Pianist“, der drei Oscars gewann, ein Ausrufezeichen.

Doch Vivendi versäumte es, daraus Kapital zu schlagen. Der heutige Babelsberg-Geschäftsführer Christoph Fisser erinnert sich: „Vivendi hatte einen französischen Kontaktmann in den USA, der hat eineinhalb Millionen Dollar im Jahr bekommen. Als wir das Studio übernahmen und uns das erste Mal bei Warner in Los Angeles vorgestellt haben, haben sie über den nur lachend erzählt: ‚He was a nice guy, but he never meant business.‘“
Fisser und Woebcken, die nicht als ausgewiesene Kinoexperten antraten und sogar verdächtigt wurden, sie könnten das ehrwürdige Studio in eine „Techno-Meile“ verwandeln, brachten den Draht nach Hollywood zum Glühen. Stars wie Brad Pitt, Tom Cruise, Matt Damon und Tom Hanks drehten seither in der märkischen Provinz. „Seitdem wir da sind, haben die hier produzierten Filme 28 Oscar-Nominierungen gesammelt“, erwähnt Fisser stolz. Dass auf jedes Renommierprojekt wie Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ oder die Verfilmung von Bernhard Schlinks „Vorleser“ ein gutes Maß an hohler Dutzendware wie „Ninja Assassin“ oder „Speed Racer“ kommt – vielleicht lässt es sich wirklich nicht verhindern, will man die Studios auslasten und für die Region den Standort sichern.

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Der deutsche Film hat dabei nur einen kleinen Anteil. Vielleicht so klein wie der rekonstruierte Guantánamo-Zellenblock, der sich im Halbdunkel der riesigen Marlene-Dietrich-Halle ausnimmt wie ein Schuhkarton. Hier dreht Nachwuchsregisseur Stefan Schaller gerade einen Spielfilm über den fünf Jahre in Guantánamo inhaftierten Murat Kurnaz. Schallers kleines Team wirkt fast verloren unter der hohen Studiodecke. Alles drängt sich hinter dem Regiemonitor zusammen, während die Klappe für eine Verhörszene fällt.

In der Studiohalle nebenan wird man geblendet von einem Greenscreen, einer grellen grünen Rückfläche, auf die später am Computer künstlich erzeugte Hintergrundbilder gelegt werden können. Set-Mitarbeiter von „Cloud Atlas“ wuseln umher. Mit einem Budget von 100 Millionen Euro wird „Cloud Atlas“ als teuerste deutsche Produktion aller Zeiten vermarktet. Aber vor allem steht der Film für ein globalisiertes Kino, von dem Babelsberg pragmatisch zu profitieren versucht: Die Wachowski-Brüder („Matrix“) und Tom Tykwer teilen sich die Regie, die Finanzierung kommt zum größten Teil aus Asien. Dass die eben abgedrehte Szene später eine Explosion beinhalten wird, davon zeugen nur ein Tor und ein paar versprengte Brocken vor dem Greenscreen. Die seien für die Schauspieler „zum Anspielen“, erklärt Michael Düwel, Leiter des Art Departments.

Wenn man dann das Studiogelände verlässt, vorbei an den Kulissen der Serie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, erscheint es einem überfällig, sich von Babelsberg als Projektionsfläche für den Traum vom neuen alten Glanz des deutschen Films zu verabschieden. Nach hundert Jahren ist Babelsberg nun mit seinem Reichtum an handwerklichem Know-how eben nicht mehr oder weniger als ein gut funktionierender Greenscreen: Ihn mit eindrucksvollen Bildern zu füllen, vielleicht sogar mit welchen für die zukünftige Galerie der Filmgeschichte – das müssen am Ende fantasievolle Regisseure und kühne Produzenten schon selber übernehmen.

John Gebhardt ist freier Kulturjournalist und Drehbuchautor. Er lebt in Berlin

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