Humboldt-Universität zu Berlin - Zu weiß, zu männlich

Nach anhaltender Kritik will die Humboldt-Universität zu Berlin ihre Galerie von Nobelpreisträgern ab 2020 neu gestalten. Weil die Protagonisten allesamt männlich und weiß sind, sollen künftig Wechselausstellungen stattfinden. Die erste soll heißen: „Humboldtianer*innen mit Zivilcourage“

Was wohl Humboldt dazu sagen würde? / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Das Wesen der Universität, schreibt Wilhelm von Humboldt, „besteht daher darin, innerlich die objektive Wissenschaft mit der subjektiven Bildung, äußerlich den vollendeten Schulunterricht mit dem beginnenden Studium unter eigener Leitung zu verknüpfen (…). Allein der Hauptgesichtspunkt bleibt die Wissenschaft.“

Man kann es auch moderner formulieren: Die Universitäten sollen persönliche Bildung mit objektiver Wissenschaft und die Schule mit dem Studium verbinden. Im Zentrum soll dabei jedoch die Wissenschaft und nichts anderes stehen.

Vom Ideal der Wissenschaftlichkeit entfernt

Insbesondere darf die Wissenschaft nicht durch äußere, nichtwissenschaftliche Anliegen eingeengt oder missbraucht werden. Etwa für Ideologien, Machtinteressen oder gesellschaftspolitische Ziele. Genau deshalb – und nicht aus Eskapismus oder Weltfremdheit – „sind Einsamkeit und Freiheit“ ihre vorwaltenden Prinzipien. Denn nur der unabhängige (einsame) und freie Wissenschaftler kann Wissenschaft betreiben. Wissenschaft, die nicht unabhängig und frei ist, ist keine Wissenschaft.

Wie weit sich Teile der deutschen Universitäten von dem Ideal der Wissenschaftlichkeit entfernt haben und sich umso entschlossener der Ideologisierung hingeben, demonstriert in diesen Tagen einmal mehr jene Universität, die sich den Namen der Brüder Humboldt gegeben hat.

Männliche und weiße Nobelpreisträger

Dort proklamiert ganz offen, dass herausragende wissenschaftliche Reputation allein kein Kriterium ist, um einen Wissenschaftler gebührend zu würdigen oder seiner zu gedenken. Denn ein vorbildlicher Wissenschaftler zeichnet sich nicht nur durch wissenschaftliche Exzellenz aus, sondern auch durch die richtige ideologische Haltung. Oder im verkitschten Jargon zeitgenössischer Erbaulichkeit: durch „Zivilcourage“.

Auslöser für dieses offene Bekenntnis zum ideologisierten Wissenschaftsbetrieb war die sogenannte Galerie vor dem Senatsaal im Hauptgebäude der Hochschule. Dort hängen die Porträts der 29 Nobelpreisträger, die die Universität in ihrer Geschichte hervorgebracht hat. Etwa von Fritz Haber, Otto Hahn, Werner Heisenberg, Erwin Schrödinger, Albert Einstein, Paul Ehrlich oder Theodor Mommsen. Doch oh Schreck, oh Graus: die porträtierten Nobelpreisträger sind – man ahnt es – alle männlich und weiß. Was nun?

Legitimer Ausdruck unserer Erinnerungskultur?

Für solche existentiellen Problemfälle unterhält die Universität eine historische Kommission. Diese berät laut Selbstdarstellung „die Universitätsleitung und die Abteilung Kommunikation bei Anfragen zur Geschichte der Universität“.

Seit einigen Jahren nun, so die Kommission, werde „immer wieder Kritik an der Galerie laut, weil in ihr nur eine kleine, ausschließlich weiße und männliche und daher von vielen als wenig repräsentativempfundene Gruppe erinnerungswürdiger Angehöriger der Universität vertreten ist.“ Und nicht nur das. Hinzu komme, dass fraglich erscheine, „ob das Kriterium „Nobelpreisträger“ allein für das stehen kann, was wir in der Universität heute für einen legitimen Ausdruck unserer Erinnerungskultur halten.“

„Neue, kritische Erinnerungskultur“

Das ganze hatte auch ein Vorspiel. Im Dezember 2014 hatte eine studentische Gruppe, die sich ,Wissen im Widerstand‘ nannte, ein dieser Galerie ebenfalls hängendes Porträt von Adolf Butenandt entwendet. Dieser hatte 1939 den Nobelpreis für Chemie zugesprochen bekommen. Sowohl die Beteiligung Butenandts an rassistischen Forschungen während der NS-Zeit, als auch seine NSDAP-Mitgliedschaft schlugen bitter auf. Seither stellte die historische Kommission sich dann folgende grundlegende Fragen: „Nach welchen Kriterien werden Persönlichkeiten ausgewählt, um die Universität zu repräsentieren?“, „Welche Menschen werden marginalisiert?“ Welche herausragenden Universitätsangehörigen kommen in der offiziellen Erinnerung bislang nicht vor?“

Man sei nun auf den „Weg zu einer neuen, kritischen Erinnerungskultur an der Humboldt- Universität“, teilte die Kommission 2016 mit. Kurz: Es herrschte offenbar dringender Handlungsbedarf. Entsprechend hatte es die historische Kommission der Humboldt Universität übernommen, besagte Galerie neu zu gestalten. Geplant sei nun, ab 2020 in zweijährigem Turnus Wechselausstellungen zu organisieren. Deren erstes Thema soll lauten: „Humboldtianer*innen mit Zivilcourage“

Moral gegen wissenschaftliche Leistung ausspielen

Was wie eine bösartige Satire auf den linken Universitätsbetrieb klingt, ist tatsächlich ernst gemeint. Dabei ist das Problem nicht die geplante Wechselausstellung. Und auch gegen Bilder von Wissenschaftler im antitotalitären Widerstand oder ähnliches ist nichts zu sagen. Ein Armutszeugnis für eine Forschungseinrichtung ist es jedoch, Moral und wissenschaftliche Leistung gegeneinander auszuspielen. Abgesehen davon, dass die Diversitäts-Ideologie, die dabei zugrunde gelegt wird, mehr als zweifelhaft ist.

Das eigentliche Problem ist jedoch die Moralisierung des Wissenschaftsbetriebes an sich. Wissenschaftler sollen exzellente Wissenschaft abliefern. Ob sie dabei Haltung zeigen, wofür und wogegen, ist Privatsache. Eine Universität hat sich an ihren wissenschaftlichen Leistungen zu messen, nicht an ihrer moralischen oder gar politischen Haltung. Zum einen, weil Moral allzu sehr dem Zeitgeist unterliegt. Vor allem aber, weil Politik, die im Mantel der Moral daherkommt, schnell zum Feind freier Wissenschaft werden kann. Humboldt im Übrigen wusste das schon.

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