Humboldt-Forum Berlin - Wohlfeil wird es schnell

Land unter in Berlin? Politiker, Professoren und Journalisten kritisieren das Museumskonzept für das Humboldt-Forum im Stadtschloss. Es verharre im kolonialen Blick auf seine Objekte. Der Leiter der Stiftung Preußischer Kulturbesitz widerspricht

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In der neuen Ausstellung des Humboldt-Forums sind Artefakte aus verschiedensten Kulturen zu sehen / picture alliance
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Hermann Parzinger steht der Stiftung Preußischer Kulturbesitz vor und ist einer der drei Gründungsintendanten des Humboldt-Forums.

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Seit der Entscheidung, die Sammlungen der Staatlichen Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz aus Afrika, Asien, Australien, Ozeanien und Amerika in einem wiederaufgebauten Barockschloss in der Mitte Berlins zu präsentieren, reißen die Diskussionen darüber nicht ab, ob dies an diesem Ort so sein dürfe. Das Schloss wurde von seinen Gegnern stets als Symbol für Militarismus, Krieg und koloniale Expansion gesehen, aber nie als Kunstkammer, Keimzelle der Museen und als Ort akademischen Lebens in den 1920er-Jahren. 

Ein Ort politischer Machtpräsentation

Das alte Berliner Schloss war ein Ort politischer Machtpräsentation und steht auch für jene Jahre, in der das Kaiserreich zur Kolonialmacht geworden war und sich an der Aufteilung der Welt angemessen beteiligen wollte. Profitgier und Großmannssucht waren die Triebfedern, rücksichtslose Ausbeutung und brutale Unterdrückung bis hin zum Genozid die Folgen. Deutschlands Zeit als Kolonialmacht war kurz, aber folgenreich, wenn man an den Völkermord an den Herero und Nama im heutigen Namibia und an den Maji-Maji-Krieg in Tansania denkt.

Auch bei der Niederschlagung des Boxeraufstands in China gingen die Deutschen nicht gerade zimperlich vor und fanden sich dabei in bester Gesellschaft mit anderen europäischen Kolonialmächten. Das koloniale Großmachtstreben ging dabei einher mit der kulturellen Erschließung der Welt durch ein weit ausgreifendes Sammeln von Kunst- und Kulturgütern bis hin zu menschlichen Überresten in völkerkundlichen Museen, die zu jener Zeit regelrecht aus dem Boden schossen. Auch wenn dieses Sammeln schon in vorkolonialer Zeit einsetzte, wissenschaftlich begründet wurde und vom Forscherdrang angetrieben war, müssen wir es als Teil dieses europäischen Aneignungsprozesses betrachten.

Kein Museum des deutschen Kolonialismus

Das Humboldt Forum im neuen Berliner Schloss muss sich dieser Geschichte auf angemessene Weise stellen. Nur so kann es sich als Ort des Dialogs der Kulturen auch den Fragen der Gegenwart und Zukunft widmen. Doch wie machen wir das? Wichtig ist, dass wir in vermittelnder Weise über die Herkunftsgeschichte der Objekte aufklären und die Ergebnisse der Provenienzforschung auch in die Ausstellungsgestaltung einfließen lassen; genau das ist das Ziel der laufenden Planungen. Das Humboldt Forum muss ein Ort sein, an dem die politischen, sozialen und ökonomischen Folgen jener europäischen Weltaneignung thematisiert und verhandelt werden, die gerade heute stärker denn je spürbar sind. Denken wir nur an die den afrikanischen Kontinent durchziehenden Migrationsbewegungen, die immer massiver Europa erreichen.

Und doch soll das Humboldt Forum kein Museum des deutschen Kolonialismus werden. Das wäre zu wenig, weil ausschließlich rückwärtsgewandt. Freilich, wenn wir die Gegenwart besser begreifen wollen, müssen wir die weiter zurückreichenden Wurzeln dieser Entwicklung verstehen. In einigen deutschen Museen wird derzeit versucht, den Besuchern die weltgeschichtliche Dimension des Kolonialismus einschließlich seiner Folgen deutlich zu machen. Das Humboldt Forum wird darauf ebenfalls eine Antwort geben, aber allein kann es keine gesellschaftliche Debatte über jahrzehntelange Versäumnisse führen.

Die aktuelle Diskussion dreht sich dabei immer wieder um die Frage, wie die Geschichte der Sammlungen im Humboldt Forum erzählt wird. Gerade die postkoloniale Kritik ist in der Regel sehr harsch, stark ideologisiert und verwirft gerne in Bausch und Bogen, wo unsere Planungen und die laufende Forschung sich um Differenzierung bemühen. Natürlich ist die Ungeduld berechtigt, zwei Jahre vor der Eröffnung des Humboldt Forums zu erfahren, was denn nun passieren soll. Work in Progress lässt sich bisweilen schlecht vermitteln, aber die Diskussion war auch schon einmal offener und konstruktiver. Derzeit heißt es: Die Verantwortlichen des Humboldt Forums wüssten nicht, was sie da zeigen, sie würden die volle Tragweite des Kolonialismus nicht einmal ansatzweise verstehen, die Museumsverantwortlichen verschleierten die Herkunft ihrer Objekte, anstatt sie aufzuklären und zugänglich zu machen. Das sind schwerwiegende Vorwürfe, die am wissenschaftlichen Selbstverständnis der Museen rühren. Aber ist es wirklich gerechtfertigte Kritik oder nur wohlfeile Selbstprofilierung?

Provenienzforschung nur eine Perspektive

Wie sieht der Alltag in ethnologischen Museen denn heute aus? Vertreter von Herkunftsgesellschaften aus aller Welt sind immer häufiger zu Gast. Die Bestände werden digitalisiert und öffentlich zur Verfügung gestellt. Jede Kuratorin und jeder Kurator betreibt selbstverständlich Provenienzforschung zu den Objekten, die ausgestellt werden sollen. Ja, man könnte dabei noch mehr tun, zumal die Sammlungsbestände riesig sind und noch tief greifender untersucht werden müssten. Zudem ist Provenienzforschung ein hochkomplexes Unterfangen und im Bereich der völkerkundlichen Sammlungen eine sehr junge Spezialdisziplin. Die Politik hat das erkannt und weiß, dass sie die Museen mit dieser Aufgabe nicht allein lassen kann. Wir müssen dafür Geld und Forscherstellen bereitstellen, um systematische Grundlagenforschung betreiben zu können, wie wir sie von der Aufklärung zur NS-Raubkunst kennen.

Die bisweilen geäußerte Aussage, die ursprüng­liche Funk­tion eines Objekts innerhalb seines kulturellen Kontexts sei belanglos und nur seine Provenienz, also sein Weg ins Museum, zähle, macht in seiner Einseitigkeit allerdings fassungslos und irritiert selbst Vertreter von Herkunftsgesellschaften, denen solch paternalistisches Gebaren ohnehin reichlich suspekt erscheint. Ebenso wie Ethnologen wissen sie sehr genau, dass die Provenienzforschung eine zwar wichtige, aber eben nur eine Perspektive auf einen Gegenstand ist. Fragen von Funktion, Kontext und Bedeutungswandel sind weitere zentrale Aspekte, die vielfach nur in der engen Zusammenarbeit mit den Communitys umfassend erschlossen werden können. Die Herkunftsgemeinschaften haben dabei vor allem ein vordringliches Interesse: Dass sie bei der Erforschung und Präsentation der Dinge beteiligt werden und auch ihre Geschichte der Objekte erzählen können. Das Ethnologische Museum der Staatlichen Museen zu Berlin kann hier auf einschlägige Erfahrungen und Projekte verweisen. Aus jeder dieser Kooperationen lernt man ungemein viel, und die diversen Formen von Kooperation werden immer mehr zu gleichberechtigten Koproduktionen und gemeinsamer Verantwortung. Natürlich kann es dabei am Ende auch zu Rückgaben kommen. Doch am Anfang steht die Forschung.

Differenziertere Haltung zum Umgang mit Sammlungen

Nicht die pauschale – und im Übrigen historisch unzutreffende und unwissenschaftliche – Aburteilung jeglicher völkerkundlicher Sammlung als in ihrer Gesamtheit unrechtmäßig stellt die Augenhöhe mit den Communitys her. Eine wirkliche Dekolonisierung des Museums wird erst dadurch erreicht, dass die Kuratorinnen und Kuratoren der Sammlungen lernen, dass ihnen die Dinge nur anvertraut sind und sie die Deutungshoheit über die Objekte mit den Vertretern der Herkunftsgesellschaften zu teilen haben. Nur so lässt sich der eurozentrische Blick auf die Welt drehen. 

Die Möglichkeiten für die Zukunft sind dabei vielfältig und reichen von dem bereits gewährten umfassenden Zugang zu den Sammlungen über temporäre oder längerfristige Leihgaben bis hin zur Aufbewahrung von Objekten durch Museen für Communitys und schließlich auch Restitutionen. Das muss der Weg für das Humboldt Forum sein, und in dieser Hinsicht kann es innovativ und vorbildlich werden. Und ja, völkerkundliche Museen stehen hier vielleicht noch am Anfang, eine differenziertere Haltung zum Umgang mit ihren Sammlungen zu entwickeln, aber das Bewusstsein, dass hier Handlungsbedarf besteht, ist bei Museumsverantwortlichen wie in der Politik in den letzten Jahren enorm gewachsen. Diese Entwicklung ist richtig und wichtig, und es ist wohlfeil, diese Anstrengungen jetzt mit dem Verweis auf Versäumnisse in der Vergangenheit zu diskreditieren.

Populisten keine Chance geben

Gerade nach den tragischen Erfahrungen der Kolonialzeit, in der Deutschland und die anderen europäischen Kolonialmächte unfassbare Schuld auf sich geladen haben, hilft uns postkolonialer Institutionenhass, der sich derzeit gerne auf Völkerkundemuseen kapriziert, nicht weiter. Es muss das vordringliche Ziel sein, die in den Köpfen der Menschen vorhandenen Reste kolonialen Denkens zu bekämpfen, wenn wir künftig in einer friedfertigen Gesellschaft leben und Populisten jeglicher Couleur keine Chance geben wollen. Hier wartet eine entscheidende Aufgabe auf das Humboldt Forum: Es geht um Toleranz und Respekt gegenüber Menschen anderer Herkunft, Religion, Kultur oder Hautfarbe. So kann das Humboldt Forum seiner historischen Verantwortung in ganz besonderer Weise gerecht werden.

 

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